Chinas Diplomatie gilt als wenig experimentierfreudig und nicht spontan. Wenn am selben Tag Staatspräsident Xi Jinping US-Außenminister Antony Blinken in Peking trifft und Ministerpräsident Li Qiang Kanzler Olaf Scholz in Berlin, dann ist dies alles andere als Zufall.

Vielmehr demonstriert Peking nach Monaten der Spannung aller Welt, dass das kommunistische Land nicht isoliert ist: Stattdessen gibt es ein Gespräch mit der Supermacht USA und dem wichtigsten EU-Staat Deutschland. Dies passt zu der Ansage, nun international auch politisch verstärkt mitspielen zu wollen.

"Es wird ein Erfolg für Peking ... sein. Das Meeting ist sozusagen die Message", sagt der Chef des China-Thinktanks Mercis, Mikko Huotari, zu den am Dienstag folgenden deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Dass allzu kontroverse Themen die Besuche überschatten, ist nicht zu fürchten. Denn die Fernsehkameras und Fotografen fangen zum einen vor allem das Händeschütteln ein. Und zum anderen überwog bei dem mehrfach verschobenen Besuch Blinkens in China ohnehin die Erleichterung, dass er überhaupt stattfinden konnte.

De-Coupling kein sinnvolles Ziel?

Die Parallelgespräche sind dabei auch aus amerikanischer und deutscher Sicht interessant. Denn noch vor wenigen Monaten hatte es deutliche Spannungen zwischen beiden Ländern über den richtigen China-Kurs gegeben. Während die kleinen Ampel-Koalitionspartner Grüne und FDP ebenso wie etliche US-Senatoren eine harte Linie gegen Peking forderten, war das Kanzleramt deutlich zurückhaltender. Aber bereits der G7-Gipfel im japanischen Hiroshima hat gezeigt, wie sehr die wichtigsten westlichen Industriestaaten mittlerweile zusammengerückt sind.

"Auch die US-Regierung hat nach Druck von amerikanischen Unternehmen verstanden, dass ein De-Coupling kein sinnvolles Ziel ist", heisst es in Regierungskreisen in Berlin zu der Dauer-Debatte über den richtigen Umgang mit dem kommunistischen Wirtschaftsriesen. Kanzler Olaf Scholz verwies beim BDI-Kongress am Montag zufrieden auf die G7-Erklärung der wichtigsten westlichen Industriestaaten in Hiroshima.

In dieser hatten sie ausdrücklich festgehalten, dass man Chinas Wachstum nicht bremsen, sondern nur mehr Unabhängigkeit in den Bereichen wolle, in denen es eine gefährliche Abhängigkeit von dem autoritär geführten Land gibt. "Da gibt es mittlerweile eine gemeinsame Haltung und Sprache der G7-Staaten, auch der EU und USA", sagte Scholz.

Deshalb macht Scholz auch deutlich, dass er wenig von scharfen Vorschlägen aus Brüssel hält, wo die EU-Kommission am Dienstag Ideen zur "Wirtschaftssicherheit" vorlegen will. Scholz betonte am Montag, dass die verschärften Gesetze in Deutschland eigentlich ausreichend für den Schutz seien. Man müsse sicherlich aufpassen, dass man China nicht Schützenhilfe etwa auf dem militärischen Sektor oder bei Überwachungstechnik leiste.

"Aber deshalb muss man nicht das ganze wirtschaftliche Geschehen einer Verwaltung unterwerfen", mahnte er Richtung Brüssel. Das dürfte man in Peking gerne hören - zumal Ministerpräsident Li nach seiner Ankunft in Berlin den Wunsch verbreiten ließ, man möge doch bitte bei allen Differenzen nach Gemeinsamkeiten suchen. Ähnlich harmonisch fielen am Montag die Kommentare über den Blinken-Besuch aus.

Pekings Führung hält an den Kontakten mit Russlands Präsident Wladimir Putin eisern fest

"Chinas Botschaften waren ziemlich positiv", sagt auch Wu Xinbo, Professor und Direktor des Zentrums für Amerikastudien an der Fudan-Universität in Shanghai. "China hat gezeigt, dass es immer noch hofft, mit den USA zusammenzuarbeiten, um die Beziehungen zu stabilisieren und zu verbessern." Dabei wissen die Akteure sowohl in Washington als auch in Peking, dass sich nichts an der Rivalität der bisherigen Supermacht mit der aufstrebenden Supermacht ändern wird.

Was hilft ist derzeit der Eindruck zumindest in Berlin, dass China über den russischen Angriff auf die Ukraine alles andere als glücklich ist. Zwar hält Pekings Führung an den Kontakten mit Russlands Präsident Wladimir Putin eisern fest. Aber eine offene Unterstützung Russlands in dem Krieg hat China vermieden - wohl auch mit Blick auf die Wunschpartner im globalen Süden, die sich nicht vom Westen, aber eben auch nicht von Russland für Konflikte im fernen Europa vereinnahmen lassen wollen.

Dass der freundliche Ton den Grundkonflikt mit einem zunehmend selbstbewusster auftretenden China beseitigt, glaubt auch in Berlin niemand, zumal die Gefahr eines Krieges um Taiwan weiter schwelt. "Die Risiken und Herausforderungen für die Unternehmen sind deutlich gewachsen", sagt DIHK-Präsident Peter Adrian zu Reuters. Allerdings verweist er darauf, dass viele Betriebe weiterhin Chancen auf dem chinesischen Markt sähen. "Sie werden allein wegen der Größe an dem Land nicht vorbeikommen", erläutert Adrian. Denn dort lebe fast ein Fünftel der Weltbevölkerung.

Diese Rolle eines Landes, an dem niemand mehr vorbeikommt, hat der neue chinesische Ministerpräsident schon längst verinnerlicht: Als Bundesregierung und BDI am Montag keine Zeit oder Lust für ein hochkarätiges Wirtschaftstreffen hatten, lud Li selbst ein - die Chefs von Mercedes & Co. kamen auch so.

Und Li hatte ausgerechnet für jene beiden Bundesministerinnen keine Counterparts an Bord, denen in Peking die China-kritischsten Haltungen vorgeworfen werden - Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sowie Bildungs- und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

(Reuters)