Die Aktien des Zugbauers Stadler Rail haben auf Jahressicht 20 Prozent verloren. Der Titel setzt 2024 den Abwärtstrend fort, der ihn in die Nähe des Rekordtiefs vom Oktober 2022 führen könnte. Seit Februar 2020 tendiert der Kurs mehrheitlich nach unten. Einzig Hedgefonds, die Stadler Rail mit Vorliebe «shorten», freuen sich über diese Entwicklung.

Nur an der Geschäftsentwicklung kann es nicht liegen: Nach dem Einbruch im Vorjahr hatte der Zughersteller Stadler Rail im ersten Semester wieder deutlich mehr Gewinn erzielt. Umsatz und Bestellungseingang konnten allerdings mit dem aussergewöhnlichen Vorjahressemester nicht mithalten. 

Verwaltungsratspräsident Peter Spuhler sah Stadler Rail Anfang November «gut auf Kurs». Das Unternehmen dürfte demnach seine Jahresziele für 2023 einhalten können und sich dann schrittweise in Richtung des mittelfristigen Zielbands bewegen. Aber warum kommt die Aktie nicht vom Fleck?

Alstom nimmt Branche in Geiselhaft

«Stadler Rail ist an der Börse ungerechtfertigt abgestraft worden», sagt Stefanie Scholtysik, Analystin bei Mirabaud Securities, gegenüber cash.ch. Hintergrund der schlechten Stadler-Kursentwicklung: Im Herbst kam der Hauptkonkurrent Alstom in eine finanzielle Schieflage. Der französische Zugbauer kaufte Bombardier für über 5 Milliarden, braucht jetzt mehr Kapital und hat Verspätungen bei den Bestellungen. Das mündete in der Gewinnwarnung, die den Sektor an der Börse unter Druck setzte.

Mit dieser Nachrichtenlage rücken die Risiken wieder mehr ins Bewusstsein, welche ein solches Geschäft beinhalten. Es sind extrem lange Zyklen, bis man schlussendlich einen Zug gebaut hat. «Für mich sind es primär hausgemachte Probleme, die Alstom hat. Und Verspätungen in der Auslieferung sind in diesem Geschäft das Schlimmste, was passieren kann», so Scholtysik.

Die meisten Züge werden in der Branche im vierten Quartal ausgeliefert und damit auch der Umsatz gebucht, weil per Dezember meist der Fahrplanwechsel für das neue Jahr erfolgt. Verspätungen sind daher von den Abnehmern nicht gern gesehen und natürlich für die Hersteller selbst auch nachteilig.

Schweizer Franken als «Hauptproblem»

Im neuen Jahr hat auch die doppelte Herunterstufung durch die UBS die Aktie zusätzlich belastet. Die Cashflow-Erholung habe sich weitgehend erledigt, schrieb der zuständige Analyst Mitte Januar. Zudem berge die anhaltende Aufwertung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro erneut Risiken für die Margen im Jahr 2024 und darüber hinaus. Das neue Kursziel wurde durch die UBS bei 25 Franken veranschlagt (derzeit: 27,50 Franken).

Klar ist, der starke Schweizer Franken fällt bei Stadler Rail stark ins Gewicht. Das Unternehmen hat mit Bussnang und St. Margrethen zwei Werke in der Schweiz. «Einerseits spürt Stadler Rail den Schweizer Franken bei den Löhnen, andererseits beim EBIT bei der Auslieferung ins Ausland», so Scholtysik von Mirabaud.

Immerhin wird aber beim bestehenden grossen SBB-Auftrag, der tiefe Euro für Stadler von Vorteil sein, da die Rechnung in Schweizer Franken gestellt wird, die Züge zwar in der Schweiz zusammengebaut werden, aber der Einkauf in Euro stattfindet.

Ergebnis 2023 im Fokus

Jetzt rückt das Ergebnis für 2023, das am 13. März publiziert wird, in den Fokus. Das Auftragsmomentum wird nach wie vor gut sein. Die Bücher sind für die nächsten drei bis vier Jahre gefüllt. Stadler hat eine starke Saisonalität: Das erste Halbjahr macht ein Drittel des Umsatzes aus, das zweite Halbjahr der Rest. Das zweite Halbjahr ist daher viel wichtiger. 

Die Guidance für das Gesamtjahr 2023 liegt bei 3,7 bis 4 Milliarden Franken Umsatz für 2023. «Wegen der Währungsentwicklung rechne ich mit 3,7 Milliarden Franken. Ich prognostiziere aber gleichzeitig eine starke Cash-Generierung dank Meilensteinzahlungen und Auslieferungen bei Projekten im zweiten Halbjahr», sagt Scholtysik, die den Titel mit einem Kursziel von 39 Franken zum Kauf empfiehlt..

Auch der Ausblick dürfte nicht zu negativ ausfallen: Die Elektrifizierung des Schienenverkehrs bleibt langfristig ein Wachstumsmarkt. Im Ausland werden noch viele Lokomotiven mit Diesel angetrieben. Ein anderes Wachstum erfolgt durch den Kapazitätsengpass auf dem europäischen Schienennetz. Weil neue Schienentrassen politisch eher schwierig sind, geht der Lösungsweg des Problems über die Digitalisierung, also das höhermargige Signalisationsgeschäft.

Neben der Nachfrage nach rollendem Material gibt es einen Trend zu Serviceverträgen, da Kunden zunehmend das Gesamtpaket suchen. Die Gewinnspannen für rollendes Material liegen im einstelligen Bereich, während die Dienstleistungen deutlich höher sind. Dienstleistungen machen etwa 20 Prozent des gesamten Auftragseingangs und 10 bis 15  Prozent des Gesamtumsatzes aus. Die Dienstleistungen wachsen um etwa 10 Prozent pro Jahr. 

Ein guter Zeitpunkt für mutige Anleger

«Zu den Risiken bei einem Investment gehört weiterhin die Aufwertung des Schweizer Frankens», warnt Scholtysik. Auch könnte Peter Spuhler (mit 41,5 Prozent Hauptaktionär) einen Teil seiner Aktien am Markt platzieren, was aber auch den Free Float erhöhen würde.

Bei der Projektabwicklung kann natürlich auch immer etwas schiefgehen, was Garantieleistungen nach sich ziehen kann. Und im Werk in Weissrussland können nur noch gewisse Produktionsschritte vorgenommen werden wegen der Sanktionen - ein unvorteilhafter Zustand.

Kaufen, halten oder verkaufen? Die von Bloomberg befragten Analysten sind in dieser Frage gespalten (drei «Buys», sechs «Holds» und drei «Sells»). Das durchschnittliche Kursziel liegt dagegen 16 Prozent über dem aktuellen Kurs. Den eher mutigen Anlegerinnen und Anleger, die Stadler Rail zu tiefen Preisen kaufen wollen, bietet sich jetzt sicherlich ein guter Zeitpunkt. So oder so dürfte aber Stadler Rail langfristig eine Wachstumsstory bleiben.

ManuelBoeck
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