Steigende Einkommen gepaart mit einer sinkenden Inflation dürften ihre Kaufkraft steigen lassen, nachdem sie drei Jahre in Folge geschrumpft ist. Die Chancen stehen daher nicht schlecht, dass die Verbraucher Europas grösste Volkswirtschaft aus der Rezession herausshoppen. "Der private Konsum sollte seine Talsohle durchschreiten", erwarten etwa die Ökonomen der Bundesbank. "Denn dank kräftig steigender Löhne stabilisieren sich die realen verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte trotz der noch sehr hohen Inflation."
Das sah im Winterhalbjahr noch ganz anders aus, als die Energiekrise infolge des russischen Kriegs gegen die Ukraine Kaufkraft und Konsumstimmung drückte. Von Januar bis März sanken die privaten Konsumausgaben um 1,2 Prozent zum Vorquartal, weil sowohl für Nahrungsmittel und Getränke als auch für Bekleidung und Schuhe sowie für Einrichtungsgegenstände weniger ausgegeben wurde. "Daneben wurden weniger neue Pkw von privaten Haushalten gekauft, was unter anderem auf den Wegfall der Prämien für Plug-in-Hybride und die Reduzierung der Prämien für Elektrofahrzeuge zum Jahresbeginn 2023 zurückzuführen sein dürfte", so das Statistische Bundesamt. Die Folge: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte um 0,3 Prozent und damit das zweite Quartal in Folge, nachdem es Ende 2022 sogar um 0,5 Prozent gefallen war. Ökonomen sprechen in diesem Fall von einer "technischen Rezession".
Im zu Ende gehenden zweiten Quartal dürfte ein Aufschwung ausgeblieben sein, wie im Juni der erneute Rückgang des Ifo-Geschäftsklimaindex - dem wichtigsten deutschen Konjunkturbarometer - signalisiert. "Die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen, dass das Bruttoinlandsprodukt auch im zweiten Quartal schrumpft", warnt der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe.
Mehr Geld auch für Rentner
Das könnte sich in der zweiten Jahreshälfte mit steigenden Einkommen ändern. Ab Juli bekommen beispielsweise die gut 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner mehr Geld: Ihre Bezüge werden im Westen um 4,39 Prozent und im Osten um 5,86 Prozent angehoben. Vielen Beschäftigten winken ebenfalls kräftige Zuwächse: Die 2,5 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst von Bund und Ländern etwa erhalten im zu Ende gehenden Monat eine steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung von 1240 Euro. Ihr folgen weitere 220 Euro von Juli bis Februar 2024 - also 3000 Euro insgesamt. Ähnlich sieht die Tarifeinigung für die 160'000 Beschäftigten der Deutschen Post aus. Für die gut 800'000 Beschäftigten in der Leiharbeit gibt es eine zweistufige Lohnerhöhung von bis zu 13 Prozent.
Die Bundesbank geht davon aus, dass die Effektivverdienste - bei denen auch bezahlte Überstunden und aussertarifliche Leistungen mitgezählt werden - in diesem Jahr mit 6,0 Prozent so stark steigen werden wie seit 1992 nicht mehr. "Ein Teil des drastischen Preisauftriebs, der zunächst die Gewinnmargen steigen liess, kommt nun in Form von höheren Löhnen bei den Arbeitnehmerhaushalten an", erwartet der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths.
«Löhne steigen stärker als Preise»
Gleichzeitig dürfte die Inflation merklich nachlassen. Kraftstoffe wie Benzin und leichtes Heizöl kosteten bereits im Mai weniger als ein Jahr zuvor. Auch bei Lebensmitteln zeichnet sich ein Ende des enormen Preisauftriebs ab. "Unter anderem hatten Anfang des Monats alle grossen Händler angekündigt, stark gesunkene Erzeugerpreise für Molkereiprodukte an die Kunden weiterzugeben", sagt der Ökonom des Vermögensverwalters Bantleon, Jörg Angelé. Angelé. Bei Milch, Joghurt, Sahne, Käse und anderen Produkten habe es Preisabschläge von bis zu 15 Prozent gegeben. Angelé rechnet daher im Herbst mit Inflationsraten von unter drei Prozent, Anfang 2024 dann nur noch von knapp über zwei Prozent. Zum Vergleich: Zu Jahresbeginn lag die Teuerung noch bei 8,7 Prozent, im Mai bei 6,1 Prozent.
"In der zweiten Jahreshälfte dürften die Löhne stärker zulegen als die Preise", erwartet deshalb Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Davon profitieren vor allem die Dienstleistungsbranchen, also etwa der Einzelhandel oder das Hotel- und Gaststättengewerbe, sagt das Kieler IfW voraus: "Sie können wieder kräftige Anstiege in der Wertschöpfung erwarten und die zuvor erlittenen Einbussen allmählich wettmachen". Da der Konsum etwa zwei Drittel der Wirtschaftsleistung ausmacht, könnte das die Rezession beenden.
Flaute bei Exporten und am Bau
Die Hoffnungen der Wirtschaft ruhen umso mehr auf den Verbrauchern, da andere Konjunkturmotoren stottern. Bei den Exporteuren etwa ist die Stimmung derzeit so schlecht wie seit Ende 2022 nicht mehr, wie die Wirtschaftsforscher vom Münchner Ifo-Institut bei ihrer Unternehmensumfrage herausfanden. "Neben der inländischen Nachfrageschwäche zeichnen sich jetzt auch noch weniger Aufträge aus dem Ausland ab", sagt Ifo-Experte Wohlrabe. "Dies sind keine guten Nachrichten für die deutsche Exportwirtschaft." Die weltweiten Zinserhöhungen dämpften die Nachfrage nach Waren "Made in Germany". Die Auftragspolster der Industrie würden zunehmend dünner. Noch düsterer sieht es am Bau aus, der von steigenden Zins- und Materialkosten in die Zange genommen wird. Das Bauhauptgewerbe meldete von Januar bis April einen Auftragseinbruch von 16,9 Prozent.
(Reuters)
2 Kommentare
"Tatsächlich, wie Frau Lagarde wiederholte, „hat die EZB noch einiges zu tun.“ Obwohl die eigenen Untersuchungen der Zentralbank (siehe hier, Folie 6) zeigen, dass die Stückgewinne im Laufe des Jahres 2022 in allen Wirtschaftszweigen gestiegen sind, macht die EZB weiterhin die Arbeitnehmer für die hohe Inflation verantwortlich. Laut Frau Lagarde ist die Revision der Kerninflation zu einem großen Teil auf die Lohnstückkosten zurückzuführen, stellte jedoch auch schnell fest, dass die EZB noch keine Lohn- und Preisspirale sieht, die einen Zweitrundeneffekt auslösen würde. Obwohl also die meisten Arbeitnehmer noch keine realen Lohnsteigerungen verzeichnen konnten, werden sie bereits aufgefordert, sich mit diesem Wohlfahrtsverlust abzufinden und den Verteilungsschmerz zu ertragen."
"Investors Want (Read: Have) To Add More Risk As The VIX Falls To A Three Year Low"
BY TYLER DURDEN
FRIDAY, JUN 16, 2023 - 03:45 PM
By Stefan Koopman, Senior Macro Strategist
"Um es mit Churchill zu sagen: Wenn du keine Macht mehr hast, dann rede so, als ob du sie hättest, und manchmal funktioniert das eine gewisse Zeit. Das ist, was sie tun
werden. Sie werden reden. Dieses Reden kann auf kurze Sicht durchaus effektiv sein. Aber am Ende ist es wie im letzten Kapitel des Zauberers von Oz, wenn sie entdecken, dass der mächtige Zauberer nur ein winzig kleiner Mann hinter einem Vorhang ist, der eine Orgel spielt. Die Zentralbanken werden
reden, um die Tatsache zu kaschieren, dass sie keine Macht mehr haben. Das funktioniert, bis es nicht mehr funktioniert."
Nehmen wir also das Drehbuch ab 1945: Etwa zwanzig Jahre lang hatten wir damals ein hohes nominales Wachstum. Was ist daran schlecht?
"Für den Durchschnittsmenschen kann finanzielle Repression ganz gut aussehen. Sagen wir, Ihr Lohn steigt um 5%, und Ihr Hypothekarzins liegt bei 3%. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist das keine schlechte Welt, selbst wenn ihre Löhne nur im Einklang mit der Inflation steigen. Den Preis bezahlen die Sparer."
Russell Napier: «Wir treten in eine Zeit der finanziellen Repression ein»
INTERVIEW
Mark Dittli
14.07.2021, 05.19 Uhr