Seit Ende April hat die Aktie von Implenia fast 19 Prozent an Wert verloren, wodurch sich das Kursplus seit Jahresbeginn in ein Kursminus verwandelt hat. Im Vergleich zum Mehrjahreshoch im Frühsommer 2023 beträgt der Abschlag 38 Prozent.
Dabei hat der Baukonzern zuletzt überzeugt: Im ersten Halbjahr stieg der Umsatz um 1,2 Prozent auf 1,74 Milliarden Franken, wie das Unternehmen Ende August bekanntgab. Der starke Franken belastete das Ergebnis; währungsbereinigt wäre der Umsatz um 2,7 Prozent gestiegen. Der Betriebsgewinn (EBIT) erhöhte sich um 1,0 Prozent auf 50,5 Millionen Franken, während der Reingewinn um knapp 20 Prozent auf 26,4 Millionen Franken sank. Der Auftragsbestand erreichte Ende Juni 7,08 Milliarden Franken und übertraf damit das Niveau von Ende 2023. Implenia erfüllte die Umsatzerwartungen der Analysten und übertraf bei den Gewinnzahlen selbst die optimistischsten Prognosen.
«Implenia wird aus unserer Sicht fälschlicherweise aufgrund des schwächelnden Bausektors, insbesondere in Deutschland, in Sippenhaft genommen», erklärt Anja Felder, Analystin bei der St. Galler Kantonalbank. «Implenia sollte jedoch nicht mit Bauzulieferern wie Geberit oder Zehnder verglichen werden, die stark von der Entwicklung im Wohnungsbau abhängig sind.»
Laut Felder ist Implenia in diesem Bereich nicht stark vertreten und engagiert sich hauptsächlich in grossen Projekten wie ganzen Überbauungen oder Arealentwicklungen mit gemischter Nutzung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Solche Projekte ermöglichen es dem Unternehmen, attraktivere Margen zu erzielen als bei kleineren Bauvorhaben. Im Hochbau hat sich Implenia zudem auf Spitäler, Datenzentren und Logistikzentren spezialisiert, die ein hohes Mass an Know-how erfordern und nur von wenigen Konkurrenten angeboten werden. Im Tiefbau fokussiert sich der in Opfikon beheimatete Konzern auf komplexe Infrastrukturprojekte.
«Ich denke, dass der Aktienkurs die Volatilität des Umfelds widerspiegelt, insbesondere die Politik und die Schwäche auf dem Wohnungsmarkt. Bei vielen Akteuren - wie Vinci, Eiffage, Bouygues, FCC - war derselbe Trend zu beobachten, da Unsicherheiten hinsichtlich der Zinssenkungen und der Wahlen zum Europäischen Parlament herrschten», so Chaima Ferrandon, Analystin bei ODDO BHF Securities. Implenia verzeichnete in der ersten Jahreshälfte einen rückläufigen Auftragsbestand im Baubereich und konnte keine Immobilien verkaufen. Der Aktienkurs wird jedoch weiterhin durch die Auswirkungen des Plans zur Wiederherstellung der Margen aus dem Jahr 2022 gestützt.
Chefwechsel und Raymond Cron
Die Ankündigung des Chefwechsels mit den Halbjahreszahlen hat wohl manche überrascht. Nach über sechs Jahren tritt Konzernchef André Wyss per Ende März 2025 zurück. Sein Nachfolger wird Jens Vollmar, der zurzeit die Hochbaudivision Buildings leitet.
Weniger erfreulich findet Chaima Ferrandon, Analystin bei ODDO BHF Securities, die Ernennung von Raymond Cron als unabhängiges Verwaltungsratsmitglied im Jahr 2023 und seine Mitgliedschaft im Nominations- und Entschädigungsausschuss des Verwaltungsrats. Zur Erinnerung: Im November 2005 gestand Raymond Cron, sieben Mitarbeitern rund 180'000 Schweizer Franken in bar und als Entschädigungen gezahlt zu haben - entgegen dem Rat eines Vorgesetzten. Die Vorfälle ereigneten sich zwischen Januar 2002 und Juli 2003, als er Leiter der Bausparte der Batigroup war (die durch die Fusion mit Zschokke zu Implenia wurde). Das Basler Strafgericht befand ihn der Veruntreuung, Untreue und Urkundenfälschung für schuldig. Trotz der Anklage der Staatsanwaltschaft wegen Betrugs wurde er letztlich nur der Veruntreuung für schuldig gesprochen.
Ein Vorteil für den Baukonzern ist, dass Implenia in den vergangenen Jahren erfolgreich ein integriertes Geschäftsmodell mit einem umfassenden Produkt- und Dienstleistungsportfolio aufgebaut hat, das es ermöglicht, Bauprojekte über den gesamten Lebenszyklus zu begleiten. Die Übernahme von Wincase hat das Margenprofil verbessert und die Abhängigkeit vom zyklischen Bausektor verringert. Zudem profitiert Implenia von Megatrends wie Bevölkerungswachstum, Urbanisierung und Energiewende.
«Auf dem Schweizer Markt kann Implenia dank ihrer historischen Präsenz und ihrer Marktkenntnis als führend betrachtet werden, was der Gruppe ermöglicht, bei zahlreichen Grossprojekten - Immobilien, Gesundheitsgebäude, Rechenzentren - als Generalunternehmerin aufzutreten», sagt Chaima Ferrandon, Analystin bei ODDO BHF Securities.
Auf anderen Märkten ist Implenia zwar einer der kleinsten börsennotierten Akteure, kann jedoch bei grossen europäischen Projekten mitwirken. Implenia ist beispielsweise beim Brenner- und Gotthardtunnel sowie bei den Tunnelprojekten Semmering (Österreich) und Lyon-Turin (Frankreich-Italien) beteiligt, und damit das einzige Unternehmen, das bei allen vier aktuellen transalpinen Projekten präsent ist.
Rentabilität im Fokus
Für Anja Felder ist die EBIT-Marge eine wichtige Kennzahl bei der Beurteilung von Implenia. Im Geschäftsjahr 2023 lag diese bei 3,4 Prozent. Mittelfristig strebt Implenia eine Marge von über 4,5 Prozent an. Die Analystin ist überzeugt, dass Implenia durch den Fokus auf «Qualität vor Quantität», die Spezialisierung auf grosse und komplexe Projekte und die geografische Fokussierung das angestrebte Profitabilitätsziel erreichen wird.
Der Geschäftsbereich Specialties strebt mittelfristig eine hohe Rentabilität an, sowohl absolut als auch mit einer EBIT-Marge nahe 10 Prozent. Seit 2020 restrukturiert Implenia diesen Bereich, trennt sich von unprofitablen Aktivitäten und entwickelt die verbleibenden sowie neue ergänzende Geschäftsfelder weiter. Gezielte lokale Akquisitionen in den Bereichen Baustellenlogistik, Bauplanung und Fassadentechnologien werden in Betracht gezogen. Grössere Übernahmen sind ebenfalls nicht ausgeschlossen, so Ferrandon.
Felder sieht bei einem Investment in Implenia deutlich mehr Chancen als Risiken, weshalb die Analystin die Aktie zum Kauf empfiehlt.