Viele Anleger halten Aktien weniger als ein Jahr lang. Dabei empfehlen Investoren-Legenden wie Warren Buffett seit Jahr und Tag das Gegenteil: "Eine Aktie, die man nicht 10 Jahre zu halten bereit ist, darf man auch nicht 10 Minuten besitzen", sagte er einst.

Über kurze Zeit Aktien zu handeln, bedeutet: Nach einem Kursrückschlag kaufen und nach der Erholung wieder verkaufen. Entscheidend ist, den richtigen Zeitpunkt für den Ein- und Ausstieg zu finden. Wer so investiert, muss die Kursentwicklung eng verfolgen und kann in kurzer Zeit grosse Gewinne oder Verluste machen. Aber den "richtigen" Zeitpunkt findet kaum jemand. Kurzfristig orientierte Investoren fokussieren sich auf die aktuelle Konjunkturlage und wie diese Unternehmen beeinflusst. 

Beim schottischen Anlagenverwalter Baillie Gifford etwa hält man Aktien im Schnitt sieben Jahre lang. Um vom Trend hin zu den erneuerbaren Energien zu profitieren, würde Stuart Dunbar, Partner beim 115 Jahre alten Vermögensverwalter Baillie Gifford, heute zum Beispiel kaum Aktien von Meyer Burger kaufen.

"Aktuell befinden wir uns in der Phase, in der die Infrastruktur für Solaranlagen aufgebaut wird - doch die wird in einigen Jahren vorbei sein", sagte Dunbar an einem Medienanlass in Edinburgh. Spätestens ab diesem Zeitpunkt dürften Dunbars Meinung nach etwa Softwareunternehmen gefragt sein, welche die Stromnetze vor Über- oder Unterauslastung bewahren. "Ich würde deshalb eher zu Investitionen in Unternehmen wie Solaredge, Nexans oder Cloudflare raten."

Vorteile des langfristigen Investierens

So weit in die Zukunft zu blicken birgt natürlich die Gefahr, auf das falsche Unternehmen zu setzen. Im Gegenzug bietet sich die Chance, günstig bei einem künftigen Börsenüberflieger einzusteigen. Die Aktie von Cloudflare etwa hat sich seit Ende 2021 geviertelt. "Selbst wenn wir in über der Hälfte der Fälle falsch liegen, lohnt sich diese Strategie", sagt Dunbar. Denn meistens würden wenige Firmen überproportional von Makroentwicklungen profitieren.

Als Beispiel nennt Baillie Gifford den japanischen Klimaanlagenspezialisten und Marktführer Daikin Industries. Zwar gebe es Bemühungen, den Klimawandel einzudämmen, doch so oder so werde es bis zum Ende des Jahrhunderts wärmer. Mit den steigenden Temperaturen, wird es an immer mehr Orten ohne Klimaanlage unaushaltbar, weshalb Baillie Gifford langfristig bei Daikin investiert sei.

Durch diesen Anlagehorizont, liessen sich die Schotten auch weniger von Kursschwankungen und Unternehmenskennzahlen beirren. Wer lange auf Cash verzichten kann, hat gute Gewinnaussichten, denn der langfristige Trend an den Aktienmärkten zeigt nach oben. Dazu kommen Dividendenzahlungen und der Zinseszinseffekt. Über einen Anlagehorizont von 15 Jahren beispielsweise, haben Anleger in Schweizer Aktien in den letzten 100 Jahren noch nie Geld verloren. Die verstorbene Investorenlegende John Bogle sagte nicht ohne Grund: "Zeit ist dein Freund, Impulse sind dein Feind."

Auf Veränderung statt Wachstum setzen

Während kurzfristig orientierte Investoren Angst haben, zu spät zu verkaufen, fürchten sich Anleger mit langfristigen Anlagehorizont davor, zu früh zu verkaufen. Baillie Gifford ist beispielsweise seit zehn Jahren in Tesla investiert. Hätten die Schotten 2021 beim bisherigen Kurshöhepunkt bei 414 Dollar verkauft, hätten ihre Investition mit 5'000 Prozent vergoldet.

"Aber werden wir in Zukunft eher mehr oder weniger Elektroautos sehen?", fragt Dunbar rhetorisch. Obwohl der Aktienwert seit dem Höhepunkt auf 267 Dollar gefallen ist, vertraue er darauf, dass sich die Geduld auszahlt. Ähnlich verlaufe die Investition beim Präzisionswaagenhersteller Mettler Toledo.

Wegen der Überalterung der Gesellschaft in den Industrienationen werden laut Dunbar Prävention und massgeschneiderte Medikamente zum nächsten Megatrend. Sind das gute Aussichten für die Schweizer Pharmabranche? Nicht laut Baillie Giffords Healthcare-Expertin Rose Nguyen. "Schweizer Unternehmen fehlen die Ambitionen, um durchzustarten. Ihr Ziel ist es eher, von Novartis oder Roche übernommen zu werden", sagt Nguyen.

Die "richtigen" Ambitionen hat für Nguyen beispielsweise das belgische Bio-Tech-Unternehmen Argenx. Das Unternehmen entwickelt Antikörpertherapien für die Bekämpfung von Autoimmunerkrankungen und Krebs. Auch die beiden Hersteller von Coronaimpfstoffen, Moderna und Biontech, traut sie dank der mRNA-Technologie einiges zu.

Bottom-up-Prinzip in Schwellenländern

Wer in grösseren Zeithorizonten denkt und investiert, kann Unternehmen lange beobachten. Baillie Gifford verfolgt deshalb eine Bottom-up-Strategie. Besonders riskant aber auch spannend sei das in Schwellenländern, meint Dunbar. Ausgezahlt habe sich das etwa in Indonesien, wo die Schotten seit längerem in Bank Rakyat investiert sind.

Die Bank verfolgt ihrerseits einen Bottom-up-Ansatz: Sie gehört zu den grössten Microfinance-Anbieterinnen weltweit und hat insbesondere in ländlichen Gebieten ein dichtes Filialnetz. Seit dem Corona-Tiefpunkt hat die Aktie um knapp 250 Prozent zugelegt. Ähnliches versprechen sie die Schotten von MercadoLibre in Lateinamerika. Dort tritt das aus Argentinien stammende Unternehmen als eine Mischung aus Ebay und Paypal auf. 

Dieser Artikel entstand in Zusammenhang einer Medienreise, zu der nebst anderen Journalisten aus Europa auch ein Vertreter von cash.ch eingeladen wurde.