Der durchschnittliche Schweizer konsumiert etwa 12 Kilogramm Schokolade pro Jahr. Das ist viel. Weltweit belegt das Land damit die Spitzenposition. Doch Durchschnittswerte können täuschen. Nicht alle essen derart viel Schokolade, einige Schweizerinnen und Schweizer mögen Schokolade gar nicht.

Was hat der Schokoladenkonsum nun mit Finanzplanung zu tun? Genauso wie manche Menschen trotz der allgemeinen Beliebtheit keine Schokolade mögen, weichen viele Personen bei ihren finanziellen Vorlieben stark von den Durchschnittswerten oder den üblichen Annahmen der Finanzprofis ab. 

Einige Anleger legen beispielsweise wenig Wert auf Liquidität. Sie möchten ihr Geld lieber fest anlegen - es muss nicht jederzeit verfügbar sein. Wiederum andere reagieren kaum auf Kursverluste. 

Wie das «Wall Street Journal» (WSJ) kürzlich berichtete, übersehen Finanzberater solche «Ausreisser» oft. Die gängigen Methoden zur Feststellung der Kundenkenntnisse und -bedürfnisse sind laut der Zeitung meist zu eng gefasst, um solche Unterschiede wirklich festzustellen. Die Bandbreite reicht dabei von Zartbitter- bis Vollmilchschokolade. Dass ein Kunde gar keine Schokolade will, wird gar nicht erst in Betracht gezogen.

Liquidität

Es scheint selbstverständlich: Jeder möchte jederzeit Zugriff auf sein Geld. Studien ergeben jedoch ein differenzierteres Bild. 

Das WSJ verweist auf eine Studie, bei der Teilnehmer Geld auf zwei Sparkonten verteilten. Eines war jederzeit verfügbar, beim anderen gab es eine Strafgebühr bei vorzeitigem Zugriff. Das Resultat: Je höher diese Strafgebühr, umso höher das investierte Kapital auf das Konto mit beschränktem Zugriff. Wurde die vorzeitige Abhebemöglichkeit komplett eliminiert, flossen knapp 60 Prozent des Kapitals der Probanden auf das Konto.

Warum sollte jemand sein Geld freiwillig blockieren? Eine mögliche Erklärung: Viele Menschen wissen um ihre eigene mangelnde Selbstkontrolle. Für sie ist eingeschränkter Zugang ein Schutzmechanismus - eine Art Absicherung gegen spätere Reue. Doch dieses Bedürfnis findet in der Finanzberatung bislang kaum Beachtung.

Der Zugang in illiquide Anlagen wie Private Equity, Private Debt oder Infrastruktur wird durch die regulatorischen Rahmenbedingungen vielen Anlegern erschwert und Finanzberater ziehen solche Anlagen vielfach zu wenig in Betracht. 

Dabei ist Illiquidität nicht für alle Anleger ein Nachteil, sondern ein gewünschtes Merkmal. Das bedeutet nicht, dass ein Portfolio nur aus solchen Anlagen besteht. Aber diese Anlagen sollten nicht pauschal ausgeschlossen werden, nur weil sie als «hochkomplex» gelten und meist nur qualifizierten Investoren offenstehen oder angeboten werden.

Solche Anlagen können die Diversifikation verbessern – wie Pensionskassen eindrücklich zeigen. Zudem sind die Renditen teilweise trotz höherer Kosten attraktiver als bei liquiden Pendants.

Verlustaversion

Ein weiteres Beispiel sind Verluste. Niemand mag sie. Die Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky prägten den Begriff «Verlustaversion»: Verluste schmerzen etwa doppelt so stark, wie gleich hohe Gewinne erfreuen. 

Doch auch hier täuscht der Durchschnitt. Die vom WSJ erwähnten Studien zeigen: Während 72 Prozent der Menschen Verluste nicht mögen, weichen rund 28 Prozent von diesem Muster ab. Sie behandeln Verluste und Gewinne gleich oder sind gewinnorientiert - potenzielle Gewinne sind ein stärkerer Motivator als mögliche Verluste schmerzen. Das sind 12 Prozent der Gesamtpopulation.

Besonders für letztere Gruppe sind klassische Risikofragebögen kaum geeignet. Viele der Kontrollfragen erfassen nur ein Spektrum im Bereich der Verlustaversion. Liegt man ausserhalb dieses Bereichs, fällt man komplett durch das Raster.

Ein Beispiel sind sogenannte Pufferfonds. Sie bieten einen gewissen Schutz vor Verlusten, indem sie einen Teil der Aufwärtschancen begrenzen. Der Grad dieses Schutzes lässt sich individuell anpassen. 

Für die 72 Prozent mit Verlustaversion sind solche Produkte attraktiv. Für alle anderen hingegen nicht. Sie bezahlen einen Schutz, den sie gar nicht brauchen oder wollen. Sie würden stattdessen lieber auf höhere Gewinne setzen.

Auch hoch volatile Anlagen wie Kryptowährungen sind für viele Berater tabu. Doch für bestimmte Anleger sind Volatilität und die Aussicht auf überdurchschnittliche Gewinne wichtiger als das Verlustpotenzial.

In der Finanzberatung wird die Existenz solcher «Ausreisser» häufig ignoriert. Dabei gilt: Was für viele untypisch ist, kann für manche völlig normal sein. Deshalb braucht es neue Instrumente, die die gesamte Bandbreite menschlicher Präferenzen erfassen - und nicht nur das enge Fenster bisheriger Standards.

(cash)