Präsident Emmanuel Macron will heute den gescheiterten Premier François Bayrou empfangen, um den Rücktritt von dessen Minderheitsregierung anzunehmen, wie es aus dem Élysée-Palast hiess. Schon in den nächsten Tagen wolle der Staatschef dann einen Nachfolger bestimmen. Weil die politische Krise auch Macron selbst unter Druck setzt und das Land vor einer Streik- und Protestwelle steht, will der Staatschef bei der Entscheidung wohl auf Tempo setzen.
Bayrou hatte am Montag in der Nationalversammlung im Streit über seinen Sparhaushalt die Vertrauensfrage gestellt und versucht, die Abstimmung mit einem Bekenntnis zum Sparen in dem hoch verschuldeten Land zu verbinden.
Der Sturz der französischen Regierung sorgt für Unruhe. Droht angesichts der steigenden Verschuldung und wenig Reformeifer eine Euro-Krise 2.0 wie um das Jahr 2010 herum, als Griechenland mit Milliarden vor der Staatspleite bewahrt werden musste? Wichtige Fragen und Antworten zum Thema:
WIESO REAGIEREN DIE FINANZMÄRKTE GELASSEN?
Der französische Aktien-Leitindex CAC 40 legte am ersten Handelstag nach dem Bayrou-Aus um 0,7 Prozent zu. Auch französische Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten blieben weitgehend stabil. «Die Kapitalmärkte begleiten die Entwicklungen in Frankreich seit geraumer Zeit kritisch», sagt der Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der DekaBank, Joachim Schallmayer. So stieg die Rendite für französische Staatsanleihen im August auf den höchsten Stand seit 2011. «Somit hat sich der Kapitalmarkt auf das Scheitern der Vertrauensabstimmung vorbereitet, entsprechend unaufgeregt verlief der Handelsverlauf bei französischen Staatsanleihen zum Wochenstart», betont Schallmayer.
TRÜGT DIE RUHE?
Das kann sein. Spätestens am Freitag könnten die Finanzmärkte erneut aufgeschreckt werden. Die US-Ratingagentur Fitch will dann ihre Bonitätsbewertung für Frankreich bekanntgeben. Beobachter erwarten eine Herabstufung, da die Note AA- bereits mit einem negativen Ausblick versehen ist - in der Regel der Vorbote einer Herabstufung. «Der Zusammenbruch der französischen Regierung - der zweite in weniger als einem Jahr - wirkt sich negativ auf die Bonität Frankreichs aus», erklärt Analyst Thomas Gillet von der in Berlin ansässigen Ratingagentur Scope. Bislang wird Frankreich von Scope mit der viertbesten Note «AA-» bewertet, bei einem stabilen Ausblick. Eine Herabstufung könnte dazu führen, dass Investoren höhere Risikoaufschläge für den Kauf französischer Staatsanleihen verlangen und damit die Kreditkosten des Landes steigen.
WIESO WIRD FRANKREICH VON INVESTOREN KRITISCH BEÄUGT?
Wegen der vergleichsweise hohen Neuverschuldung und der Altschulden. Im vergangenen Jahr lag das Defizit der nach Deutschland zweitgrössten Volkswirtschaft der Euro-Zone bei 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die europäischen Regeln sehen eigentlich eine Grenze von drei Prozent vor. Experten zufolge dürfte der gesamte Schuldenstand steigen, der im Vorjahr bei 113 Prozent lag. Hier sehen die EU-Regeln eine Obergrenze von 60 Prozent vor. «Unseren Berechnungen zufolge könnte die Schuldenquote des französischen Staats in den kommenden zehn Jahren ohne jegliche Reformen deutlich über 150 Prozent steigen», warnt Commerzbank-Ökonom Vincent Stamer.
WAS BEDEUTET DIE STEIGENDE VERSCHULDUNG?
Sie zieht eine höhere Zinslast nach sich: Ein grösserer Posten des Staatshaushaltes kann dann nicht in Investitionen oder Soziales gesteckt werden, sondern fliesst in den Schuldendienst. Der Handlungsspielraum des Staates wird eingeschränkt. «Ohne schnelle Konsolidierungsmassnahmen könnte sich die Zinslast gemessen am Bruttoinlandsprodukt von derzeit zwei Prozent in den kommenden sieben Jahren auf über vier Prozent mehr als verdoppeln», warnt Commerzbank-Ökonom Stamer. «In der Zukunft wären somit noch drastischere Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen nötig, um die Schuldenquote stabil zu halten.»
DROHT EINE EURO-KRISE 2.0?
Noch geben die meisten Wirtschaftsvertreter und Experten Entwarnung. «Die hohe französische Verschuldung ist ein Risiko», sagt etwa der Präsident des deutschen Aussenhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura. «Eine Euro-Krise ist das aber noch nicht.» Das sehen Analysten ähnlich. Die warnen zwar, dass die Gefahr eines abrupten Anstiegs der Risikoprämien genau verfolgt werden muss. «Die verlorene Vertrauensabstimmung wird aber nicht der Auslöser dafür sein, auch nicht für eine erneute Euro-Krisen-Debatte», ist sich DekaBank-Experte Schallmayer sicher.
STEHT DIE EZB BEREIT?
Ein Grund dafür, dass Frankreich als Einzelfall und nicht als systemisches Risiko für die gesamte Euro-Zone gesehen wird, ist die Europäische Zentralbank. «Dieser Umstand dürfte wohl auch dem mittlerweile umfangreichen Instrumentenkasten der EZB zu verdanken sein», sagt der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. «Sollten die Risikoaufschläge französischer Staatsanleihen weiter deutlich steigen, könnte die EZB Stützungskäufe tätigen.» Kaufen die Währungshüter in grossem Stil zu, dürfte wegen der höheren Nachfrage die Rendite sinken und das Problem entschärft werden.
IST DIE LAGE IN FRANKREICH EIN WARNSCHUSS FÜR DEUTSCHLAND?
Ja, sagen Experten. Auch hier steigen die Schulden, wenn auch von einem deutlich niedrigeren Niveau. Als Indiz dafür führen sie die Bundesanleihen mit längerer Laufzeit an. So stieg die Rendite für die Papiere mit einer Laufzeit von 30 Jahren kürzlich auf den höchsten Stand seit 14 Jahren. «Interessant ist, dass Bundesanleihen, die stets als sicherer Hafen galten, von der Unsicherheit in Frankreich nicht profitieren konnten», sagt DekaBank-Experte Schallmayer. «Durch die hohen Ausgabenprogramme und den anhaltenden Reformstau hierzulande blickt der Kapitalmarkt heute anders als noch vor einigen Jahren auch auf deutsche Staatsanleihen.» Viele Ökonomen rechnen wegen der geplanten kreditfinanzierten Investitionen in Infrastruktur und Bundeswehr damit, dass der deutsche Schuldenstand in einigen Jahren über die Marke von 100 Prozent klettern könnte. Im Moment liegt er bei gut 62 Prozent.
(Reuters)