Der Einfluss der Schweizerischen Nationalbank (SNB) kann sehr direkt sein. Beispielsweise folgt der für die Immobilienfinanzierung relevante Saron den Zinsschritten der SNB praktisch eins zu eins. Zudem wirken sich Änderungen beim Referenzzins auf Pensionskassen und Sparer aus - letztere erhalten kaum mehr Zins auf ihrem Konto.

Fraglich ist hingegen, inwieweit die SNB durch ihre Geldpolitik die Inflation und die Wechselkurse steuern kann. Die offizielle Antwort lautet: Die Nationalbank ist allein schon von Gesetzes wegen verpflichtet, das Preisniveau in der Schweiz stabil zu halten. Ausgedeutscht heisst das, die Inflationsrate soll zwischen 0 und 2 Prozent bleiben. Und wie sie wiederholt betont hat, steht SNB zu diesem Auftrag.

Die Nationalbank könne mit dem Leitzins und bei Bedarf mit Devisenmarktinterventionen die monetären Bedingungen - das Zinsniveau und die Wechselkurse - in der Schweiz anpassen. «Damit sorgen wir dafür, dass die Preisstabilität in der mittleren Frist gewährleistet ist», sagte SNB-Präsident Martin Schlegel vor kurzem in einem Referat. «Preisstabilität in der mittleren Frist gewährleisten» - das sind Worte, welche die Währungshüter oft verwenden.

In der Tat: Zinsen sind ein Werkzeug, das nicht kurzfristig, sondern mittel- und langfristig auf die Konjunktur und damit auf die Inflation einwirkt. «Sie können helfen, den grundlegenden Inflationsdruck in der Wirtschaft zu verändern», erklärt Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank.

Der Einfluss der SNB dürfe nicht überschätzt, «aber definitiv auch nicht unterschätzt werden», sagt Alexander Koch, Ökonom von Raiffeisen Schweiz. Der Grund für seine Einschätzung: Die Zinsdifferenz zwischen der Schweiz und anderen Währungsräumen. Solange die SNB diesen Abstand ausreichend gross halte, seien Anlagen in Franken vergleichsweise wenig attraktiv. Die Frankennachfrage und mit ihr der Druck auf den Wechselkurs gehen zurück. «Und der Franken hat empirisch auch einen eindeutigen Effekt auf die Inflation», sagt Koch. Ihm zufolge bedeutet eine 1-prozentige Aufwertung (respektive: Abwertung) des Frankens eine um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte tiefere (respektive: höhere) Inflationsrate.

Dennoch gibt es Gründe, weshalb die Wirkung der SNB-Geldpolitik Grenzen gesetzt sind.

Kreditvergabe sowie Sicherheit und Stabilität spielen eine Rolle

Skeptisch macht eine Rückblende auf die zurückliegenden Jahre. Damals verharrte der Leitzins bei minus 0,75 Prozent, und die SNB-Bilanz quoll wegen Devisenkäufen auf. Die Teuerung hätte anziehen und der Franken schwächer werden sollen, theoretisch zumindest. Doch die Inflationsrate lag oft unter der Null-Prozent-Schwelle oder nur knapp darüber. Der Franken wurde gegenüber dem Euro und dem Dollar - nominal - stärker und stärker.

Es scheint, als ob die SNB auf Schlüsselgrössen wie Inflation und Wechselkurs doch nur bedingt Einfluss nehmen kann. «Die Rolle der SNB-Geldpolitik wird häufig überschätzt», sagt der Ökonom Adriel Jost.

Wie er erklärt, kann die SNB mit tieferen Zinsen die Konjunktur etwas stärken, oder mit Deviseninterventionen den Franken etwas schwächen und darum die Inflation kurzfristig etwas höher ausfallen lassen. Ausländische Entwicklungen und die Fiskalpolitik hätten aber einen viel grösseren Einfluss als kleinere Zinsänderungen oder Interventionen.

«Nur tiefe Zinsen alleine reichen nicht für hohe Inflation», führt Jost weiter aus. Notwendig ist etwa auch ein Kreditwachstum, also Banken, die Geld ausleihen, und Personen, die welches aufnehmen und damit zum Beispiel eine Immobilie oder sonstige Investitionen finanzieren. Doch gerade beim Immobilienkauf sind die steigenden Eigenheimpreise und die Tragbarkeit zum Flaschenhals geworden. Nicht alle, die sich ein Eigenheim wünschen, können es auch finanzieren.

Zudem ist eine negative Inflationsrate in einem Tiefzinsumfeld «nicht unüblich», wie Thomas Stucki von der St. Galler Kantonalbank sagt. Denn tiefe Zinsen seien auch ein Zeichen einer angespannten Situation, «in der der Franken als sicherer Hafen unter Aufwertungsdruck steht».

Mit Blick auf die Beeinflussung der Devisen sagt Stucki: «Für die Steuerung des Wechselkurses wird die direkte Wirkung der Zinsen überschätzt.» In Franken investiere niemand wegen der geringen Zinsdifferenz gegenüber dem Ausland. In Franken investiere man, wenn man von Schweizer Aktien überzeugt sei oder die Sicherheit und Stabilität des Landes und des Frankens suche, so der SGKB-Anlagechef. «Wenn die SNB den Franken steuern will, sind Interventionen im Devisenmarkt das effizientere Mittel.»

Nur: Solche Eingriffe in den Devisenmarkt sind derzeit heikel. Denn die USA hat der Schweiz wiederholt Währungsmanipulation unterstellt. Die SNB hat den Vorwurf zurückgewiesen. Offensichtlich ist aber: Die Vereinigten Staaten haben einen Hebel angesetzt, mit dem sie die Schraube anziehen können, wenn es aus ihrer Sicht notwendig scheint - zum Beispiel in bilateralen Verhandlungen.

Erdöl - ein wesentlicher Preistreiber

Aufschlussreich ist zudem die Statistik des Bundes zur Inflation. Im Mai betrug die Teuerung minus 0,1 Prozent. Im Vergleich zum Mai 2024 wurden Erdölprodukte 9,6 Prozent günstiger. Nimmt man diese Produktgruppe aus der Statistik heraus, so steigt die Teuerungsrate auf 0,2 Prozent an. Sprich: Das billiger gewordene Erdöl war wesentlich für das Absinken der Inflation unter die Null-Prozent-Schwelle verantwortlich. In diesem Fall kam der Einfluss aus dem Ausland. Die Erdölpreise werden dort gemacht.

Die Beobachtung, dass Erdöl die Teuerung in der Schweiz zu einem guten Teil bestimmt, ist nicht auf den Mai 2025 beschränkt. Jost hat Daten der vergangenen 25 Jahre zur Inflation der Importgüter und der Erdölprodukte sowie zum Franken ausgewertet. Dabei trennte er die Franken- von der Erdölpreisentwicklung, um eine Überlagerung zu vermeiden: Erdöl als Importgut, das in Franken ausgedrückt in die Rechnung eingeht.

Der Ökonom ist nun zum Befund gelangt: Ein Rückgang des Erdölpreises um 10 Prozent im Jahresvergleich führt zu etwa 0,5 Prozentpunkten niedrigerer Inflation der Importgüter. In der Folge fällt die Gesamtinflation um zirka 0,2 Prozentpunkte. Demgegenüber führen selbst sehr starke - etwa 10-prozentige - Frankenbewegungen zu vergleichsweise mässigen Veränderungen der Teuerungsrate: Der Effekt sei «nicht wirklich gross», sagt Jost. Es lasse sich kein zwingender Handlungsbedarf der SNB ableiten. 

Nominale versus reale Grössen

Die SNB hat immer wieder auf den realen Wert des Frankens hingewiesen und sich an dieser Grösse orientiert. Er war über die Jahre hinweg relativ stabil, auf erhöhtem Niveau allerdings, das sich Anfang der 2010er-Jahre eingestellt hatte. Hier ist die Inflationsdifferenz zum Ausland eingeflossen. Doch auch: «Für die Konstanz spielten die Deviseninterventionen der SNB sicherlich eine Rolle», erklärt Jost. Die aus Sicht der USA verpönten Eingriffe hätten sonstige Faktoren, die den realen Wechselkurs beeinflussen, neutralisiert: Die Produktivität, Handelsüberschüsse, Erwartungen an die politische Stabilität und Realwachstumsaussichten. So gesehen war die SNB effektiv.

Damit fällt die Bilanz der SNB gemischt aus. Sie will Preisstabilität gewährleisten und setzt alles daran. Sie muss dabei aber mit Faktoren umgehen wie dem Status des Frankens als sicherer Hafen oder den im internationalen Umfeld bestimmten Erdölpreise, die wesentlich für die Inflationsentwicklung im Inland sind.

Daher wird sich zeigen müssen, ob und wie sich noch tiefere oder negative Zinsen auf die Teuerung und den Franken auswirken. Mit einer zügigen Reaktion rechnet auch die SNB nicht; sie orientiert sich mittelfristig. Eine weitergehende Prognose stellt Alexander Koch: Der Franken werde wohl dauerhaft nominal aufwerten. Real müsse dies über die Jahre hinweg aber keine oder keine grosse Frankenstärke bedeuten.

Reto Zanettin
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