Der Preis für eine Bento-Lunchbox in Tokio hatte sich fast verdoppelt, als Nanami Eda dann bemerkte, dass ihr Sparkonto nicht annähernd so schnell wuchs wie die Teuerung. Deshalb beschloss die 26-jährige Beraterin, einen grösseren Teil ihres Geldes in eine steuerfreie Möglichkeit zu stecken, die für junge Japaner in der Vergangenheit ein Gräuel war: Die Börse.

Für einen Grossteil der Welt sind höhere Kosten zu einem weiteren Teil des Lebens geworden, da die Nachfrage wächst, die Löhne steigen und die Lieferketten nicht mehr so gut funktionieren. Die rasant ansteigende Inflation auf den höchsten Stand seit mehr als 40 Jahren war auch für Japan ein Schock, wo die Unternehmen jahrzehntelang keine Preiserhöhungen vorgenommen haben.

Der japanische Leitindex Nikkei 225 ist in den letzten Wochen auf den höchsten Stand seit 1990 geklettert. In diesem Jahr hat er 28 Prozent dazugewonnen. Zum Vergleich: Der Dow Jones in den USA stieg 2023 rund 6 Prozent.

Junge Leute wie Eda haben zunehmend genug von der Teuerung. Im Gegensatz zu älteren Generationen, die mehr als die Hälfte ihres Vermögens in Bargeld und Einlagen anlegen konnten, ohne an Kaufkraft einzubüssen, suchen sie nach alternativen Wegen, um Wohlstand aufzubauen – oder zumindest nicht an Boden zu verlieren.

Für die japanischen Behörden ist das eine willkommene Abwechslung. Seit drei Jahrzehnten versuchen sie, eine stärkere Beteiligung der breiten Anlegermasse am Aktienmarkt zu fördern und die Narben des "verlorenen Jahrzehnts" nach dem Platzen der Vermögensblase in den 1980er Jahren zu beseitigen. Jetzt versuchen sie ihren bisher kühnsten Plan: Eine Überarbeitung des 163-Milliarden-Dollar-Marktes für steuerbefreite Altersvorsorgekonten, bekannt als NISA.

Der Weg vom Sparen zum Vermögensaufbau nimmt Gestalt an

Japans Finanzdienstleistungsbranche ist optimistisch, dass die nächste Investitionswelle endlich angekommen ist. "Der Weg vom Sparen zum Vermögensaufbau nimmt endlich Gestalt an", sagte Hidefumi Sakamoto, Geschäftsführer bei SBI Securities, einem der grössten Online-Wertpapierunternehmen des Landes.

Wenn die Welle ankommt, werden Eda und ihre Kollegen mehr tun, als nur für die Bento-Boxen der Zukunft zu sparen. Sie werden die jahrzehntelange Investitionszurückhaltung umkehren, in der es als Tugend galt, Geld wegzuschmeissen. Auch die Aktienkurse werden durch zusätzliche Mittel angekurbelt, was andere dazu ermutigt, in den Markt einzusteigen.

Die Hoffnungen ruhen alle auf einem Anstieg der NISAs. Früher als Nippon Individual Savings Account bekannt, handelt es sich dabei um steuerbegünstigte Sparkonten, die den Individual Savings Accounts im Vereinigten Königreich oder dem amerikanischen Roth IRA ähneln. Die japanische Version wurde 2014 eingeführt, aber ab Januar werden sie zu einem viel lukrativeren Investitionsangebot: Die Regierung wird die Beschränkung, wie lange Dividenden und andere Kapitalgewinne steuerbefreit sein können, aufheben.

Als Premierminister Fumio Kishida vor zwei Jahren sein Amt antrat, versprach er, einen "neuen Kapitalismus" anzubieten, der die japanische Bevölkerung ermutigen würde, ihr Geld in den Markt zu stecken. Die Politik führte zu einer Überarbeitung der Vermögensverwaltungsbranche des Landes, um mehr Wettbewerb zu schaffen und so mehr ruhende Ersparnisse der privaten Haushalte in tatsächliche Investitionen umzuwandeln.

YouTuber und Startups reiten auf der Börsen-Welle mit

Es ist nicht nur die Regierung, die versucht, die Leute mit ins Boot zu holen. Pontiyo, ein Online-Influencer in den Zwanzigern, der sich weigert, namentlich genannt zu werden, hat das neue Programm bei seinen mehr als 400'000 YouTube-Abonnenten beworben. Das neue Programm sei attraktiv, weil es eine Art persönliche Rente schaffe, sagte er gegenüber Bloomberg.

Für Marktkommentatoren bestätigen die Zahlen, dass bereits spürbare Veränderungen im Gange sind. Nach Angaben der Japan Securities Dealers Association stieg die Gesamtzahl der NISA-Konten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 um 1,1 Millionen, was bereits mehr als 50 Prozent der Gesamtzugänge im Jahr 2022 entspricht. Den grössten Zuwachs gab es für Menschen in den Dreissigern. Insgesamt gab es im Juni den neuesten Daten zufolge 12,9 Millionen NISA-Konten. Auch die japanische Wertpapierbranche meldet erhebliche Zuwächse.

Die Begeisterung brodelt in den obersten Führungsetagen der japanischen Wirtschaft. Unternehmen führten in den letzten Jahren immer häufiger Aktiensplits durch, um Aktien erschwinglich zu machen. Auch Startups reiten auf der Börsen-Welle: Woodstock.club zum Beispiel hat eine Handels-App entwickelt, mit der Einzelpersonen ihr Geld für nur wenig Geld auf den Markt bringen können.

(Bloomberg)