Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas forderte am Sonntag in Ramallah bei einem Treffen mit US-Aussenminister Antony Blinken, dass im Gazastreifen umgehend eine Waffenruhe gelten müsse. Hunderttausende Menschen hatten am Wochenende bei Demonstrationen in Washington, London, Paris, Berlin, Istanbul, Sydney und Jakarta unter anderem verlangt, das Blutvergiessen im Gaza-Krieg zu beenden.

Fast 10 000 tote Palästinenser seit Kriegsbeginn

Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist seit Kriegsbeginn am 7. Oktober nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde vom Sonntag auf 9770 gestiegen. Rund 25 000 Menschen seien verletzt worden. Die Zahlen lassen sich gegenwärtig nicht unabhängig überprüfen. Den Angaben zufolge handelt es sich um die mit Abstand grösste Zahl von Toten unter Palästinensern während eines Krieges in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Auslöser des Krieges war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober im Grenzgebiet verübt hatten. Auf israelischer Seite sind dabei und in den Tagen darauf mehr als 1400 Tote zu beklagen, darunter auch viele Frauen, Kinder und Jugendliche. Als Reaktion will Israel die militärischen Fähigkeiten der Hamas komplett zerstören und ihre Herrschaft im Gazastreifen beenden.

Waffenruhe vs. Feuerpause - Blinken und arabische Kollegen uneins

Vor Palästinenserpräsident Abbas hatten die Aussenminister der arabischen US-Verbündeten Jordanien und Ägypten, Aiman al-Safadi und Samih Schukri, Blinken gesagt: «Die arabischen Länder, die arabische Welt fordern einen sofortigen Waffenstillstand, der diesen Krieg beendet und das Töten von Unschuldigen und die Zerstörung, die er verursacht, beendet. Wir akzeptieren nicht, dass es sich um Selbstverteidigung handelt», wie Al-Safadi zitiert wurde.

Er warnte Blinken: «Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Krieg alles untergräbt, was getan wurde, um der Region einen gerechten Frieden zu bringen. Mit jeder Rakete, die auf den Gazastreifen abgefeuert wird, mit jedem getöteten palästinensischen Kind (...) versinkt die gesamte Region in einem Meer des Hasses, das die kommenden Generationen bestimmen wird.»

Blinken spricht von humanitärer Feuerpause

Blinken setzt sich für eine vorübergehende humanitäre Feuerpause ein, lehnt aber einen Waffenstillstand ab: «Ein vollständiger Waffenstillstand würde jetzt nur dazu führen, dass die Hamas an der Macht bleibt, sich neu gruppieren könnte und wiederholen könnte, was sie am 7. Oktober getan hat.» Eine kurze Feuerpause ermögliche es aber aus Sicht der USA, humanitäre Unterstützung nach Gaza zu bringen, und verbessere die Bedingungen für mögliche Freilassungen von Geiseln in der Gewalt der Hamas, sagte Blinken.

Gespräche über Zukunft das Gazastreifens nach Kriegsende

Abbas äusserte im Gespräch mit Blinken die Bereitschaft, «volle Verantwortung» für den Gazastreifen zu übernehmen, aber nur als Teil eines «Pakets» mit einer umfassenden politischen Lösung auch für das Westjordanland und Ost-Jerusalem. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete für einen eigenen Staat.

Blinken hat sich dafür ausgesprochen, dass die palästinensische Autonomiebehörde von Abbas wieder die Kontrolle im Gazastreifen übernimmt. Diese Vision sehen aber die meisten Mitgliedern der gegenwärtigen Regierung in Israel als Gefahr für den jüdischen Staat und lehnen sie daher ab. Die Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Kontrolle des Gazastreifens an sich gerissen.

Ausreisen aus dem Gazastreifen gestoppt

Nach einem israelischen Angriff auf einen Krankenwagen sind Ausreisen aus dem Gazastreifen vorerst gestoppt worden. Betroffen sind verletzte Palästinenser ebenso wie Ausländer und Palästinenser mit doppelter Staatsbürgerschaft. Aus Sicherheitskreisen in Gaza hiess es, dass Ausländer den Gazastreifen nicht verlassen könnten, ehe nicht die Verwundeten nach Ägypten gebracht werden können. Es müssten zunächst sichere Wege für die Durchfahrten von Krankenwagen aus dem Gazastreifen zum Grenzübergang Rafah zu Ägypten geschaffen werden.

Die Aussagen der Kriegsparteien zum Beschuss

Israels Armee hatte bei ihrem Vormarsch im Norden des Gazastreifens nach eigenen Angaben einen von der Hamas benutzten Krankenwagen angegriffen. Dabei seien mehrere Terroristen getötet worden, teilte das Militär am Freitag mit. Laut Palästinensischem Roten Halbmond und dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium sollten Verwundete zum Grenzübergang Rafah gebracht werden, damit sie in Ägypten behandelt werden können. 15 Menschen seien getötet und 60 weitere verletzt worden. Alle Angaben sind derzeit nicht unabhängig überprüfbar.

Berichte: Tote bei Beschuss eines Wohnhauses in Flüchtlingsviertel

Das israelische Militär hat bei seiner Bodenoffensive gegen die Hamas Berichten zufolge auch ein Haus in einem Flüchtlingsviertel angegriffen. Bei dem Bombardement im Viertel Al-Magasi im Zentrum des Küstengebiets seien mehr als 30 Menschen ums Leben gekommen, teilte die unter der Kontrolle der Hamas stehende Gesundheitsbehörde in Gaza mit. Auch diese Angaben können derzeit nicht unabhängig überprüft werden. Israels Armee teilte mit, sie prüfe die Berichte.

Israel hat seit 7. Oktober 2500 Ziele angegriffen

Bislang seien bei dem Bodeneinsatz gegen die Hamas im Verbund mit der Luftwaffe und Marine mehr als 2500 Ziele angegriffen worden, hiess es am Sonntag. Der Gazastreifen ist flächenmässig etwas grösser als München. Israels Militär bekämpft derzeit vor allem im Norden Einrichtungen der Hamas. Doch auch im Süden kam es bereits zu Luftangriffen. Nach Darstellung der israelischen Armee gibt es dort in den für die Zivilbevölkerung ausgewiesenen Gebieten ausschliesslich gezielte Attacken auf Führer der Hamas. Der Bereich sei keine «sichere Zone», aber sichererer «als jeder andere Ort in Gaza». Die Armee nannte für Sonntag erneut ein vierstündiges Zeitfenster zur Flucht gen Süden.

UN fordern mehr humanitäre Hilfe für Palästinenser im Gazastreifen

Das UN-Welternährungsprogramms (WFP) hat einen sicheren und erweiterten Zugang für humanitäre Hilfe zum Gazastreifen gefordert. Der Bedarf an humanitären Hilfsgütern sei sprunghaft angestiegen und die kritischen Nahrungsmittelvorräte hätten einen gefährlichen Tiefstand erreicht, sagte WFP-Exekutivdirektorin Cindy McCain nach einem Besuch am Grenzübergang Rafah am Sonntag. «Heute spreche ich einen dringenden Appell für die Millionen von Menschen aus, deren Leben durch diese Krise zerstört wird.»

(AWP)