cash.ch: Der Dollar ist unter Druck. Ist dessen Ende als Reservewährung eingeläutet?

Tuan Huynh: Gerade in turbulenten Marktphasen oder wie seit April nach dem «Liberation Day» ist der Schweizer Franken zum Dollar stark gefragt. Aber der Schweizer Markt ist klein im Verhältnis zum grossen Ganzen des Devisenmarktes. Das gilt auch für die europäische Einheitswährung Euro. Selbst wenn man versucht, 10 bis 20 Prozent des US Handels nach Europa umzulenken, wird das nicht so einfach funktionieren. Unsere Antwort ist deshalb klar: Ja, der Dollar bleibt die Reservewährung der Welt.

Kann die rekordhohe US-Verschuldung den Dollar und die US-Staatsobligationen weiter in Mitleidenschaft ziehen?

Gerade internationale Investoren verlangen aufgrund der Dollarschwäche und der Infragestellung der US-Geldpolitik durch die Regierung eine höhere Prämie bei US-Staatsanleihen. Bei einer Verschuldung von 125 Prozent des Verhältnisses zwischen Schulden und Bruttoinlandprodukt geben die USA nun mehr als eine Billion Dollar für den Schuldendienst aus. Da muss man kein grosser Prophet sein, um vorauszusagen, dass es mit den Renditen für US-Staatsanleihen wahrscheinlich weiter nach oben geht. 

Ein Argument für einen weiter schwachen Dollar sind mögliche Zinssenkungen durch die US-Notenbank Fed. Was erwarten Sie?

Die jüngsten Arbeitsmarktdaten sind weniger robust und das Stellenwachstum ist zu gering, um von einem stabilen Arbeitsmarkt zu sprechen. Da die Kerninflation in den USA um die drei Prozent liegt, dürfte es der Fed aber schwer fallen, übermässig aggressiv Zinssenkungen vorzunehmen. Bei den US-Zöllen haben ausländische Unternehmen einen Grossteil auf die Marge genommen. Jetzt zeigt sich aber, dass die Zölle bei Elektronik oder langlebigen Produkten nach und nach weitergegeben werden. Es ist also ein Balanceakt, wo sich die Fed im Moment bewegt. Deshalb ist eine Zinssenkung von 25 Basispunkten realistisch am 17. September. Sehr wahrscheinlich dürfte dann nochmal zum Jahresende hin einen weiterer Schritt folgen. Das dürfte dann eigentlich schon die Endrate sein.

Sie erwarten also für 2026 keine weiteren Zinssenkungen?

Bei einer Inflationsrate von 3 Prozent ist das wohl eher Wunschdenken. Wir halten das aus makroökonomischer Sicht für eher unwahrscheinlich. Ein Unsicherheitsfaktor bleibt aber die Wahl des neuen Fed-Chefs. In einem Jahr wissen wir dann mehr und bis dahin halten wir an unseren Makrodaten fest, welche zwei Zinssenkungen hergeben. Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es ein bisschen anders gelagert, da sind wir relativ nahe an der Terminal Rate.

Geht die Schweizerische Nationalbank mit dem Leitzins in den negativen Bereich?

Wenn der Franken weiterhin so stark bleibt, wird der SNB wahrscheinlich nichts anderes übrig bleiben, als den Leitzins wieder ins Negative zu drücken. Ein zu starker Franken ist Gift für die Exportwirtschaft. Vor allem wenn man bedenkt, dass die 39-prozentigen Zölle über Schweizer Unternehmen schweben.

Nach dem Liberation Day wurden nicht nur die Devisen- und Bondmärkte, sondern auch die Aktienmärkte durchgeschüttelt.

Wir sind immer noch optimistisch für die US-Aktienmärkte, obwohl wir wie viele Finanzinstitute kurzfristig unsere Gewichtung auf Neutral reduzierten. Wir haben uns Anfang April kaum vorstellen können, dass der Risikoappetit an den US-Börsen derart schnell zurückkommt. Aber nach der Einführung der ersten 90-Tage-Zollpause haben wir unsere Übergewichtung in amerikanischen und japanischen Aktien wieder aufgenommen und diese bis heute beibehalten. 

In Schweizer Franken gerechnet war das erste Halbjahr an den US-Aktienmärkten zum Vergessen, die Währungsverluste haben die Kursgewinne fast aufgefressen.

Das ist tatsächlich so. Auf der anderen Seite muss man berücksichtigen, dass die globale Dollarschwäche den US-Unternehmen Rückenwind gibt. Diese führt letztendlich dazu, dass die grossen US-Techkonzerne überall ausserhalb der USA rund 60 Prozent der Umsätze tätigen. So kriegen diese nochmals einen positiven Währungseffekt. Andererseits ist es dann genau das Gegenteil für europäische Unternehmen, die in Euro oder Schweizer Franken rapportieren müssen und in die lokalen Währungen umrechnen. 

Das Gewinnwachstum bleibt in den USA also weiterhin höher als in Europa?

Die Stärke der US-Unternehmen ist im Vergleich zu Europa nach wie vor prägnant. Für das zweite Quartal liegen wir im Schnitt immer noch bei über 10 Prozent Ergebniswachstum. Vor der Berichtssaison war das bei 4 bis 5 Prozent. In Europa war das bei 0 Prozent und ist jetzt bei circa 3 bis 4 Prozent. Die Lücke geht nach wie vor weit auseinander, weil wir in Europa mehrheitlich über Old Economy sprechen und in den USA sind es nun mal die Technologieunternehmen, die dominieren. Also glauben wir, dass der US-Markt weiter Potenzial hat. 

Aufgrund der Bewertungen sprechen einzelne Marktstrategen bereits von einer Blase an den US-Aktienmärkten?

Da will ich nicht verhehlen, dass die Luft gegen oben dünner wird. Aber es ist verfrüht, von einer Blase zu sprechen. Das letzte Mal konnte von einer Blase vor 25 Jahren während dem Dot-Com-Boom gesprochen werden, als das Kurs-/Gewinnverhältnis des Nasdaq 50x betrug. Heute sind es um die 30x und für den breiteren Markt sind wir bei 24x. Das ist hoch, aber aufgrund des Megatrends Künstliche Intelligenz (KI) angemessen.

Weshalb ist das angemessen?

Wir stehen gerade am Anfang der KI-Revolution. Die KI hat das Potenzial, die Welt zu verändern, so wie das vor 200 Jahren mit der Einführung der Elektrizität der Fall war oder der industriellen Revolution. 

Die Vorbehalte zum Produktivitätsfortschritt dank KI halten sie für unbegründet?

Die Bewertungen sind nach dem Kursanstieg ambitioniert, aber wenn diese zweistelligen Ergebniszuwächse in den nächsten Quartalen und vor allem mit Blick auf das Jahr 2026 bestätigt werden, dann ist dies gerechtfertigt.

Am US-Markt liegen also weiterhin annualisierte von 8 Prozent wie im langjährigen Durchschnitt drin?

In Bezug auf diesen langfristigen, durchschnittlichen Return hat es in der Vergangenheit vollkommen ausgereicht, im US-Markt investiert zu sein. Da hätten Sie sich einfach ein ETF kaufen und dann liegen lassen können. Allerdings ist die Lage etwas unsicherer geworden wegen der US-Handelspolitik und der Geopolitik. Das ist aus unserer Sicht jetzt ein Umfeld, um aktivere Strategien zu implementieren. Sprich nicht ganz weg von passiven ETF-Anlagen, aber vermehrt aktiv gemanagte Fonds oder ETFs.

Amerikanische Small Caps haben jüngst besser performt. Heisst das auch, aus den Megacaps umzuschichten?

Wir würden weiterhin, gerade in den USA, auf die Big Caps setzen. Wie gesagt, mit all dem, was ich ausgeführt habe, spricht das eher dafür, dass diese Firmen ihre Position noch weiter ausbauen können. Und selektives Stockpicking oder aktive Fonds als gewichtigere Komponente zum Portfolio hinzufügen. 

Die starke Konzentration im S&P 500 Index, wo zehn Titel rund 40 Prozent der Marktkapitalisierung ausmachen, ist kein Problem?

Im Grunde reicht es, wenn sie in diesen zehn Titeln investiert wären - das ist schon eine Art Selektion. Gemäss unserer Analyse haben der S&P500 Index und der gleichgewichtete S&P 500 Index in den 2010er Jahren ungefähr gleich abgeschnitten. In den 20er Jahren, also in dieser Dekade, ist der Unterschied auf drei bis vier Prozent angewachsen. Der breite Markt hat also weniger gut funktioniert. Insofern ist die Antwort ja, auch wenn die Konzentration natürlich ein gewisses Risiko birgt. 

Der Auswahl des richtigen Fonds oder ETFs kommt eine grössere Bedeutung zu?

Ich bin kein Stockpicker, daher vertraue ich unseren aktiven Managern, dass sie dann hoffentlich für ihre jeweiligen Fonds das richtige Investment tätigen. Das ist jetzt eher das Umfeld für Alpha-Generierung, da die Differenz in den letzten Jahren deutlich ausgewachsen ist. Das gilt gerade für Manager, die besser abgeschnitten haben.

Anlegerinnen und Anleger stellen wegen den schwachen Gesamterträgen bei den Bonds das 60/40-Modell immer stärker in Frage. Teilen sie diese Meinung?

Die Nullzinsphase ab 2013 hat die Anleger gezwungen, mehr Risiken einzugehen und von einem 50/50-Portfolio mit hälftiger Gewichtung von Aktien und Obligationen in ein 60/40-Portfolios mit einer stärkeren Aktiengewichtung umzusatteln. Heute bevorzugen wir eher ein 50/30/20-Portfolio. Das heisst 50 Prozent Aktienanlagen, 30 Obligationenanleihen und 20 Prozent alternative Anlagen in Infrastruktur, Private Equity oder zum Beispiel Emerging Market Debt. Gerade im Letzten sehen wir einiges Potenzial. 

Tuan Huynh kam als Interim Chief Investment Strategist für die DACH-Region und Osteuropa mit Sitz in Frankfurt zum BlackRock Investment Institute (BII). Zuvor war er bei der Deutschen Bank Wealth Management tätig, wo er das globale Discretionary Portfolio Management (DPM) leitete und ein verwaltetes Vermögen von rund 70 Milliarden Euro betreute. In dieser Funktion verwalteten Tuan und sein Team Portfolios von Anleihen über Multi Asset bis hin zu Aktien. Zuvor hatte er sich als Chief Investment Officer für Europa mit Sitz in Frankfurt eine starke Präsenz aufgebaut. Bevor er 2019 nach Deutschland zurückkehrte, war Tuan 12 Jahre lang in Singapur tätig und hatte dort verschiedene Positionen inne, unter anderem als CIO und DPM Head APAC. Tuan besitzt ein Diplom in Wirtschaftswissenschaften der Universität Düsseldorf. Darüber hinaus ist er zertifizierter Finanzanalyst (DVFA).

Thomas Daniel Marti
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