Etwa die Hälfte aller Erwachsenen in Deutschland ist übergewichtig, und wenn sich der aktuelle Trend fortsetzt, werden die Adipositasraten weiter steigen. Forschende führen dies unter anderem auf den geringen Gemüsekonsum und die zuckerreiche Ernährung der Bevölkerung zurück.

Da die Gesundheitskosten aufgrund der Krankenversicherungspflicht von der Allgemeinheit getragen werden, ist die mangelnde Kontrolle über ungesunde Lebensmittel ein politisches Thema. Adipositas und die damit verbundenen Krankheiten verursachen nicht nur «grosses menschliches Leid, sondern auch extrem hohe Kosten», sagte Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Hohe Kosten für das Gesundheitssystem

In Deutschland übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für neue Abnehmspritzen wie Wegovy nicht. Was erstattet wird, war eine Ernährungsberatung und eine Magenverkleinerung — Ausgaben von mehr als 10.000 Euro. Und während seiner dreiwöchigen Genesungszeit nach dem Eingriff erhielt er weiterhin sein Gehalt.

Schätzungen zufolge belaufen sich die wirtschaftlichen Kosten für Gesundheitsprobleme, die mit Übergewicht zusammenhängen, auf 27 Milliarden bis mehr als 90 Milliarden Euro pro Jahr — eine weitere Belastung für das ohnehin schon finanziell angeschlagene System.

Auf der Sommerpressekonferenz versprach Bundeskanzler Friedrich Merz, in diesem Jahr eine «grundlegende Reform» der Sozialversicherungssysteme einzuleiten. Doch im Koalitionsvertrag werden ungesunde Essgewohnheiten nicht erwähnt, obwohl sie sich direkt auf die Gesundheitskosten auswirken. Stattdessen können Verbraucherinnen und Verbraucher «selbstbestimmt entscheiden».

Für die Grünen und die Linke reicht das nicht. Stattdessen drängen die Parteien auf Massnahmen wie eine Zuckersteuer für Softdrinkhersteller — ein Vorhaben, das die Union ablehnt, da sie auf die Selbstkorrektur der Märkte vertraut. In einer Zeit, in der sich ein Grossteil der politischen Debatte in Deutschland auf die Kluft zwischen populistischen Fraktionen und etablierten Parteien konzentriert, zeigt die Diskussion über Lebensmittelregulierung, dass die klassische Spannung zwischen Marktfreiheit und staatlicher Intervention nach wie vor existiert.

Deutschland ist seit langem zurückhaltend bei der Regulierung von gesundheitsschädigenden Branchen wie Tabak und Alkohol. Auf Lebensmittel bezogen begründet dies die CDU mit dem Vertrauen auf eine Änderung, die von den Verbrauchern ausgeht. Gesundheitsbewusste Konsumenten würden mit ihrem Verhalten die Hersteller dazu veranlassen, den Zucker- und Fettgehalt ihrer Produkte zu reduzieren, erklärte Christina Stumpp, CDU-Mitglied des Bundestagsausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Eine Intervention von aussen sei nicht erforderlich. «Ich denke, dass der Wettbewerb vieles davon regelt.»

Diese Ansicht teilen auch Branchenverbände wie der Lebensmittelverband und die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker. Menschen sollen sich ohne Einmischung der Regierung selbst entscheiden, was sie essen wollen, erklären die Lobbygruppen auf Nachfrage.

Für Politikerinnen und Politiker linker Parteien ist der Verweis auf die individuelle Entscheidung eine Ausrede. «Sie berufen sich dann immer auf die Freiheit, und dann wird die Verantwortung auf die Verbraucher abgewälzt», sagte Ina Latendorf, Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft der Linken im Bundestag. Sie wies auch darauf hin, dass Industrieverbände einen erheblichen Einfluss auf die deutsche Politik haben. Im Jahr 2024 war McCafé, das zu McDonalds gehört, einer der Sponsoren des CDU-Parteitags.

Unterstützung der Öffentlichkeit

Im Gegensatz zu anderen Ländern erhebt Deutschland keine sogenannten «Sündensteuern» auf als schädlich eingestufte Produkte. Dennoch werden Lebensmittel kategorisiert — je nachdem, ob sie als lebensnotwendig gelten und damit die vergünstigte Mehrwertsteuer von 7 Prozent gilt, oder nicht, und damit 19 Prozent anfallen. Damit soll sichergestellt werden, dass Güter des Grundbedarfs immer bezahlbar sind. Kritiker bemängeln jedoch, dass das Modell voller Absurditäten sei, da beispielsweise Tierfutter in die günstigere Steuerklasse falle, Babynahrung jedoch nicht.

Abgeordneten der Grünen fordern daher eine Mehrwertsteuerreform. Während ihrer Regierungszeit in der Ampelkoalition ist die Partei hinter ihren eigenen Zielen bei der Regulierung von Lebensmitteln zurückgeblieben — ein Ergebnis, für das sie ihren marktfreundlichen Koalitionspartner FDP verantwortlich machen.

Befragungen zeigen, dass Reformvorschläge wie die der Grünen von der Öffentlichkeit unterstützt werden. Eine Initiative zur Abschaffung der Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel wird laut einer Umfrage der Verbraucherzentrale von 91 Prozent der Bevölkerung befürwortet und die Einführung einer Zuckersteuer für Hersteller von Erfrischungsgetränken sehen 79 Prozent der Deutschen positiv.

Und auch die Bilanzen von Unternehmen deuten darauf hin, dass Lebensmittelgiganten wie Unilever, Eigentümer von Magnum-Eis, und Nestlé wenige Anreize haben, ihre Geschäftspraktiken ohne Druck seitens der Regierung oder der Wirtschaft zu ändern. Im Jahr 2024 stammten 41 Prozent des Lebensmittel- und Getränkeumsatzes von KitKat-Hersteller Nestlé aus Produkten, die als ungesund gelten. Dieser Anteil lag bei einigen Konkurrenten sogar noch höher.

Die Konzerne verweisen darauf, bereits an gesünderen Alternativen zu arbeiten. Nestlé bemühe sich, den Zuckergehalt zu reduzieren und neue Produkte zu entwickeln, die bei der Gewichtsabnahme helfen, betonte ein Sprecher des Unternehmens. Danone erklärte auf Nachfrage, die Senkung des Zuckergehalts in Kinderprodukten wie den Danonino-Joghurtsnacks voranzutreiben. Nach eigener Darstellung gehört das Unternehmen zu den Anbietern mit einem vergleichsweise gesünderen Portfolio. Branchenkritiker halten Firmen jedoch entgegen, dass die Fortschritte nur langsam vorankommen.

Solange ungesunde Produkte hohe Verkaufszahlen erzielen, sei es wenig plausibel, dass Unternehmen entgegen ihren Gewinninteressen agieren. »Lebensmittelunternehmen sind keine Sozialdienstleister, sie sind keine Gesundheitsbehörden, sie sind Unternehmen, die ihre Aktionäre zufriedenstellen müssen«, sagte Marion Nestle, emeritierte Professorin für Ernährung an der New York University, die in keiner Verbindung zu Nestlé SA steht.

Blick ins Ausland

Sie verwies auf die erfolgreichen Erfahrungen in Lateinamerika bei der Regulierung des Verkaufs und der Vermarktung von Junkfood. Im Jahr 2016 schränkte Chile bestimmte Arten der Lebensmittelwerbung ein und schrieb Warnhinweise auf der Vorderseite von Verpackungen für Produkte mit hohem Zucker-, Kalorien-, Natrium- und Fettgehalt vor. Diese Massnahmen haben zu einem spürbaren Rückgang beim Absatz ungesunder Lebensmittel geführt, wie eine fünf Jahre später veröffentlichte Studie zeigt. Ähnliche Effekte wurden im Vereinigten Königreich beobachtet, wo eine Steuer den Zuckergehalt in Erfrischungsgetränken um 29 Prozent reduzierte. In Deutschland senkten Softdrink-Hersteller den Zuckeranteil im Rahmen einer freiwilligen Kampagne lediglich um 2 Prozent.

Anstelle einer Selbstkontrolle der Industrie sollten Politiker nach Ansicht von Bitzer daher Massnahmen ergreifen, damit Lebensmittelhersteller ihre Produkte gesünder gestalten müssen. Das würde nicht nur das Leid Betroffener mindern und die Krankenkassen entlasten: Laut der Forschung könnte es auch Deutschlands wirtschaftliche Probleme abfedern. Schon eine Kalorienreduktion von 20 Prozent bei ungesunden Lebensmitteln könnte laut einem Bericht der OECD die Beschäftigung und Produktivität um das Äquivalent von 29.000 Vollzeitbeschäftigten pro Jahr steigern. Angesichts des viel diskutierten Fachkräftemangels wäre das eine willkommene Entlastung.

«Das kostet nicht viel, erfordert aber politischen Mut», sagte Bitzer. «Und der fehlt derzeit, und das schon seit vielen Jahren.»

(Bloomberg)