Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat einen zentralen Auftrag. Sie soll, so will es das Gesetz, das Preisniveau in der Schweiz stabil halten. Ausformuliert heisst das: Die Teuerungsrate soll zwischen 0 und 2 Prozent betragen. Gelingt dies, bleibt die Kaufkraft der Leute grösstenteils erhalten - man kann sich in etwa die gleiche Menge Güter kaufen wie ein Jahr zuvor. Läuft die Inflation aus dem Zielband hinaus, muss die SNB gegensteuern.
Sie hat dazu zwei Werkzeuge: Die Wechselkurse, die sie über Devisenmarkteingriffe beeinflussen kann, und den Leitzins, den geldpolitischen Schlüsselsatz sozusagen. Über beide Grössen steuert die SNB die «monetären Bedingungen», die wiederum die Finanzgeschäfte und Wirtschaft in der Schweiz beeinflussen.
Vom Leitzins gehen also Impulse aus, insbesondere auf andere Zinssätze. Hausbesitzern wird ein Beispiel vertraut sein: Der Saron. Zu diesem Satz leihen Banken sich gegenseitig über Nacht Geld aus. Er spielt damit für das Management flüssiger Mittel der Finanzinstitute eine wichtige Rolle. Doch nicht nur das. Über Hypotheken, die auf dem Saron basieren, werden auch Immobilien finanziert. Hausbesitzer sind deshalb besonders aufmerksam, wenn die SNB an der Zinsschraube dreht - wird die Immobilienfinanzierung günstiger oder teurer?
Dieser Blick auf die geldpolitischen Züge der SNB ist gerechtfertigt. Denn der Saron folgt dem Leitzins eng und unmittelbar. Sinkt der Leitzins beispielsweise um 0,25 Prozentpunkte, zieht der Saron praktisch vollständig nach. Geringfügige Abweichungen fallen im Grossen und Ganzen nicht ins Gewicht. Relevanter ist die Marge, welche die Banken bei Saron-Hypotheken festlegen. Erst das Gesamtpaket - die Marge inklusive - bestimmt, wie günstig oder teuer eine Geldmarkthypothek ist und als wie attraktiv man sie im Vergleich zu einer Festhypothek einstufen kann.
Nach der SNB-Leitzinssenkung im März sind Geldmarkthypotheken abermals günstiger geworden. «Ein Grossteil der neu abgeschlossenen Geldmarkthypotheken dürfte aktuell zwischen 0,9 und 1,3 Prozent kosten», schreibt UBS-Immobilienspezialist Claudio Saputelli in seiner kürzlich erschienenen Analyse. Ihm zufolge liegen Zehn-Jahres-Festhypotheken mehrheitlich zwischen 1,2 und 1,7 Prozent. Folglich sind Saron-Hypotheken zurzeit meistens günstiger als die langlaufenden Festhypotheken. Wie sich die Finanzierungskosten indes entwickeln, hängt von der weiteren Zinsentwicklung ab. Ein Orientierungspunkt wird am 19. Juni gesetzt. Auf dann ist der nächste geldpolitische Entscheid der SNB geplant.
Hypothekarischer Referenzzinssatz
Für Mietverhältnisse ist der hypothekarische Referenzzinssatz relevant. Er basiert auf dem durchschnittlichen Zinssatz von Hypotheken in der Schweiz; dieser Durchschnittssatz wird quartalsweise erhoben. Der Referenzzinssatz ergibt sich nach einer Rundung auf den nächsten Viertelprozentwert. Seit Anfang März liegt er bei 1,5 Prozent. Im Juni erfolgt die nächste Publikation durch das Bundesamt für Wohnungswesen.
Enge Koppelung ist wichtig für die SNB
Für die SNB ist es wichtig, dass Zinssätze wie der Saron dem Leitzins eng folgen. «Bei der Umsetzung der Geldpolitik beurteilt die SNB kontinuierlich, wie sich Änderungen des SNB-Leitzinses auf die Zinssätze auswirken», heisst es in der aktuellsten Forschungsnotiz der SNB.
Laut dem Papier kann die Geldpolitik der vergangenen Jahre als «wirksam» eingestuft werden. Anpassungen des Leitzinses haben sich also gut auf andere Zinssätze übertragen - nicht nur auf den Saron, sondern auch etwa auf die implizierte Dollar-Franken-Rate und die implizierte Euro-Franken-Rate. So nennt die SNB die Sätze, die sich aus den jeweiligen Devisen-Swaps ergeben. Sie spiegeln die Rendite der Inlandswährung, die für einen begrenzten Zeitraum in Fremdwährung umgetauscht und zu den geltenden Zinssätzen angelegt wird.
Die Rate des Euro-Franken-Paars folgt dem SNB-Leitzins fast 100-prozentig. Der Einfluss der SNB ist also sehr hoch. Nicht ganz so stark ist er beim Dollar-Franken-Paar. Dessen Satz folgt dem SNB-Leitzins zu etwas mehr als 80 Prozent. Die grössere Abweichung von einer maximalen Übertragung sei mit Friktionen im Markt und einer mit SNB-Entscheiden zusammenfallenden Dynamik auf dem Devisenswapmarkt erklärbar, so die Nationalbank-Ökonomen, welche die Forschungsnotiz verfasst haben.
Inverse Zinsstrukturkurve als Rezessionssignal?
Kurzfristige Zinssätze wirken sich auf längerfristige Zinssätze aus, halten die Ökonomen fest. Doch die langfristigen Zinsen - also die Renditen auf Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn oder mehr Jahren - werden auch stark von den Erwartungen der Marktteilnehmer und von Risikoüberlegungen bestimmt.
Beispielsweise: Von schwachen Schuldnern werden höhere Risikoprämien verlangt. Und gehen die Investoren von einer zunehmenden Inflation aus, wollen sie höhere Renditen, damit sie reale Einbussen vermeiden können. Über eine Laufzeitprämie werden die Anleger dafür vergütet, dass sie langlaufende gegenüber kurzlaufenden Anleihen bevorzugen und ihr Kapital über einen längeren Zeitraum binden.
Klassischerweise liegen die Langfristzinsen über den Kurzfristzinsen. So war es etwa im März dieses Jahres, als es gemäss SNB-Daten folgende Renditen von Franken-Obligationen gab:
Laufzeit | Rendite (%) |
---|---|
1 Jahr | 0,079 |
2 Jahre | 0,103 |
3 Jahre | 0,157 |
4 Jahre | 0,218 |
5 Jahre | 0,279 |
6 Jahre | 0,336 |
7 Jahre | 0,388 |
8 Jahre | 0,435 |
9 Jahre | 0,477 |
10 Jahre | 0,514 |
Tabelle: Renditen von Franken-Obligationen per Ende März. Quelle: Schweizerische Nationalbank.
Die Welt hat sich weitergedreht, und die Renditen der 2-jährigen Bundesobligationen sind aktuell unter null gefallen, während kürzere Laufzeiten noch knapp im positiven Bereich liegen. Das Bild, wonach langfristige Zinsen höher sind als kurzfristige Zinsen, zeigt sich also nicht durchgängig. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gab es immer wieder Phase, in denen es sich umkehrte: Die kurzen Laufzeiten lagen über den langen Laufzeiten - was oft auf ein Rezession hindeutete.
Beispiele liefern die USA. Angaben der Federal Reserve Bank von St. Louis zufolge kam es seit 1980 sechsmal vor, dass eine Rezession eintraf, als Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen geringer waren als die Renditen der zweijährigen US-Staatsanleihen. Anders verhielt es sich ab Juni 2022. Damals kehrten sich die Verhältnisse erneut um, die zehnjährigen Staatsanleihen warfen bis zu 1,06 Prozent weniger Rendite ab als die zweijährigen. Doch die amerikanische Wirtschaft wuchs weiter.
Das scheinbar sichere Rezessionssignal verhallte. Eine Erklärung fanden Ökonomen in der Zinspolitik der amerikanischen Notenbank Fed. Diese hatte die Leitzinsen kräftig nach oben gezogen. Aber auch die langfristigen Zinsen waren gestiegen. Die US-Bank Goldman Sachs deutete die Situation so: Nicht die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen seien niedrig, sondern die US-Leitzinsen seien hoch. Anleger rechneten mit Leitzinssenkungen bei abflauender Inflation und einer wieder normaleren Lage.
Im Moment muss man wegen des Zollkonflikts von einem erhöhten Rezessionsrisiko ausgehen. Eine abflauende Konjunktur spricht für weitere Zinssenkungen. Solche sind auch angesichts des starken Frankens durchaus möglich - womit sich die Schweizerische Nationalbank wieder auf Negativzinsen zubewegen würde. Diese hat SNB-Präsident Martin Schlegel explizit nicht ausgeschlossen. Ökonomen gehen sogar davon aus, dass Leitzinsen von unter null Prozent noch in diesem Jahr kommen werden.