Die Nachricht kam mitten in den Sommerferien - und traf die Schweizer Wirtschaft trotz vorheriger Ankündigung unverhofft hart. Seit fünf Tagen gelten sie nun: die 39 Prozent Basiszölle auf Schweizer Ausfuhren in die Vereinigten Staaten.

Mit dem Entscheid der US-Regierung unter Präsident Donald Trump ist die an den Märkten erhoffte Klarheit, welche Zölle für welchen Sektor gelten, jedoch nicht eingetreten. Denn der Bundesrat und Wirtschaftsvertreter arbeiten derzeit an einem verbesserten Angebot, um Trump zu einem moderateren Zollsatz zu bewegen, idealerweise auf EU-Niveau um die 15 Prozent.

Die globale Pharmaindustrie hat eine weitere Schonfrist von 60 Tagen erhalten. Trump gibt den Firmen bis Ende September Zeit, um ihre Arzneimittelpreise in den USA zu senken. Andernfalls könnten Zölle von bis zu 250 Prozent auf Pharmaprodukte anfallen. Trump bringt es auf den Punkt:«In einem Ausmass, wie man es noch nie zuvor gesehen hat.» Entsprechend steht die hiesige Pharmabranche, das Zugpferd der Schweizer Exportwirtschaft, im Zentrum der laufenden Debatte. Über 105 Milliarden Franken exportieren die Schweizer Pharmafirmen ins Ausland, davon der grösste Teil, nämlich 27 Prozent, in die USA.

Börsen-Schwergewichte im Fokus

Damit nicht genug. Mit Roche und Novartis setzen zwei der weltweit grössten Pharmakonzerne einen Grossteil ihrer Geschäfte auf dem amerikanischen Markt um. Entsprechend beobachten Anlegerinnen und Anleger die Entwicklungen im Zollstreit und deren Auswirkungen auf den Aktienkurs. Dabei stehen die beiden Basler Schwergewichte Roche und Novartis im Fokus. Sie machen gemeinsam fast 30 Prozent des Leitindex SMI aus. Aber auch Zulieferer wie Siegfried, Lonza oder Sandoz sind betroffen. Letzterer dürfte zwar nicht von den noch ausstehenden US-Zöllen betroffen sein. Jedoch von jenen auf Güter aus der EU. Denn Sandoz verfügt über keine Produktionsstätten in der Schweiz, dafür aber über mehrere in der EU.

Trotz der bestehenden Unsicherheit erwartet Christian Gattiker, Leiter Research bei der Privatbank Julius Bär, kaum direkte Auswirkungen auf die Aktienkurse: «Für grosse Pharmaunternehmen mit signifikanter US-Produktion sind die neuen Zölle kaum operativ belastend. Die meisten könnten den US-Markt aus bereits in den USA vorhandenen Kapazitäten bedienen.»

Roche und Novartis haben zudem bereits im Frühjahr nach dem sogenannten «Liberation Day», Investitionen von 50 respektive 23 Milliarden Dollar in ihr US-Geschäft angekündigt. Gattiker sieht daher «keinen akuten Handlungsbedarf» für Anlegerinnen und Anleger, ihr Portfolio allein wegen den Zöllen anzupassen. «Die Branche ist robust aufgestellt.»

Politischer Preisdruck bleibt die grössere Baustelle

Auch Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank, blickt den angedrohten Zöllen gelassen entgegen: «Grundsätzlich macht es keinen Sinn, Zölle auf Pharmaprodukte zu erhöhen, wenn die Preise für Medikamente sinken sollen.» Die grössere Herausforderung für die Konzerne sei deshalb die bereits seit Ende der 1980-er Jahre andauernde politische Debatte um tiefere Medikamentenpreise, die seit Trumps Wahlkampf wieder an Fahrt gewonnen hat.

Gattiker von Julius Bär sieht ebenfalls die politischen Diskussionen in der amerikanischen Gesundheitspolitik als grössere Herausforderung: «Viel wichtiger als mögliche Zölle seien Massnahmen gegen Pharmacy-Benefit-Manager und Preisdruck-Experimente im US-Krankenversicherungssystem Medicare.» Diese Faktoren könnten den Aktienkurs stärker belasten als Zölle, so der Experte.

Auch die Anlegerinnen und Anleger scheinen abzuwarten, wie sich die Zollsituation weiterentwickelt. Der Ausverkauf an der Schweizer Börse ist bislang ausgeblieben. Der SMI hat seit Jahresbeginn um 2,3 Prozent hinzugelegt. Dabei haben die Aktien von Roche und Novartis unterschiedlich reagiert. Die Novartis-Aktie hat seit einer Woche um fast zwei Prozent und seit Jahresbeginn um sechs Prozent hinzugewonnen. Derzeit kostet sie 96 Franken. Neun Analysten empfehlen die Titel zum Kauf, 15 zum Halten und vier zum Verkauf. Die Roche-Titel hingegen sind seit einer Woche und seit dem 1. Januar 2025 um gut 3,5 Prozent gefallen. 14 von insgesamt 27 Analysten geben ein «Buy»-Rating ab, acht ein «Hold» und fünf ein «Sell».

Klumpenrisiko verringern 

Wer kurzfristige Volatilität meiden möchte, könne seine Pharmapositionen leicht reduzieren, so Gattiker von Julius Bär. Als Rotationsziele nennt er Sektoren mit weniger politischer Angriffsfläche wie zum Beispiel Maschinenbau, Automatisierung, IT-Services, Cybersecurity oder Logistik. Auch gesundheitsnahe, aber wenig regulierte Bereiche wie Medizinaltechnik oder Labordienstleister seien interessant. 

Laut Gattiker sei der pharmaspezifische Zollentscheid, wenn er denn komme, kein Grund zur Panik für Anlegerinnen und Anleger. Aber der politische Preisdruck in den USA bleibe ein Bremsklotz. «Wer nervöse Märkte meiden will, kann leicht reduzieren und teilweise in Industriewerte oder defensive Dienstleistungen umschichten.»

Stucki von der St. Galler Kantonalbank empfiehlt im aktuellen Umfeld vor allem Diversifikation: Das Depot sollte hinsichtlich der Sensitivität der Unternehmen zum US-Markt überprüft werden - nicht nur im Pharmasektor, sondern auch bei Tech- oder Luxusgüteraktien. «Es geht darum, Klumpenrisiken aufzuteilen», sagt Stucki.

Er hält einen Anteil von mehr als rund einem Drittel in einem Sektor oder von zehn Prozent in einem Einzeltitel für zu viel. Angesichts der Drohungen aus Washington sei zu hinterfragen, ob Pharmatitel ein Gewicht von 26 Prozent, wie im Swiss Performance Index, oder gar 30 Prozent, wie im SMI, haben sollten, schreibt Stucki in seinem Investment Report von Montag. Binnenorientierte Titel aus Versicherungen, Banken oder Versorgern sollten ebenso im Portfolio vertreten sein, so der Experte. Industrieaktien mit solider Qualität blieben attraktiv, ebenso Immobilienwerte – zumal die Schweizer Zinsen in diesem Umfeld voraussichtlich nicht steigen, sagt Stucki und resümiert: «Mit einem gut diversifizierten, auf die Qualität der Firmen geprüften Portfolio wird man auch durch diesen Sturm ohne grösseren Schaden kommen.»

Monique Misteli
Monique MisteliMehr erfahren