Für die europäischen Modeketten ist der chinesische Rivale, der an die Börse gehen will, inzwischen eine echte Herausforderung geworden.

Einer Studie der Analysefirma Coresight zufolge hat der chinesische Konzern inzwischen im Geschäft mit der günstigen und immer aktuellen Mode einen Marktanteil von fast einem Fünftel und liegt damit vor H&M und der spanischen Inditex mit ihren Marken Zara, Pull&Bear und Bershka. Dahinter rangieren Primark, Asos und Boohoo. Coresight zufolge machte Shein 2022 weltweit einen Umsatz von 23 Milliarden Dollar.

Eines haben die drei Textilkonzerne gemeinsam: Sie schauen sich die Looks der Laufstege ab und bringen sie für wenig Geld sehr schnell zu den Kunden, daher der Begriff «Fast Fashion». Oft sehen sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, Ideen zu klauen. In einer Klage von Juli wurde Shein beschuldigt, geistiges Eigentum verletzt zu haben, indem der Konzern Künstliche Intelligenz und einen speziellen Algorithmus nutzt, um das Internet nach Design-Ideen zu durchforsten.

Schnell, schneller, am Schnellsten

Die wichtigste Strategie von Shein ist allerdings nach Einschätzung von Analysten und Investoren das Netz an meist chinesischen Zulieferern, die - entgegen der üblichen Vorgehensweise - zuerst kleine Erstaufträge annehmen, die dann je nach Nachfrage aufgestockt werden. «Die wirkliche Stärke von Shein ist, dass sie sich eingestehen, nicht zu wissen, was man tragen will», sagt Rui Ma vom Newsletter Tech Buzz China. «Aber sie vertrauen darauf, dass sie sehr schnell ihre Produktion hochfahren können.»

Diese extrem flexible Lieferkette machte es Shein möglich, ein komplett anderes Geschäftsmodell umzusetzen als andere Fast-Fashion-Anbieter wie etwa Zara und H&M. Diese versuchen vorherzusagen, was besonders stark im Trend sein wird, und richten ihre Produktion bereits vorher darauf aus. «Zara oder H&M antizipieren immer noch Modetrends, bestellen das Produkt drei bis zwölf Monate vor dem Verkauf und verpflichten sich zu ziemlich grossen Bestellmengen», sagt Simon Irwin, ehemaliger Analyst von Credit Suisse.

Eine Studie aus dem Jahr 2022 zeigte, dass Shein die bestellte Ware innerhalb von fünf bis sieben Tagen erhält und sie dann per Luftfracht direkt an die Kunden schicken kann. Allerdings kann die Lieferung auch bis zu zwei Wochen dauern, abhängig von Produkt und dem Wohnort des Kunden. Der Direktvertrieb von Shein sei ein weiterer Vorteil zu stationären Einzelhändlern, die die Ware über ihre Geschäfte verkaufen und diese vorrätig halten müssen, sagt Sheng Lu, Professor an der University of Delaware. Lu analysierte die sogenannten Stock Keeping Units (SKU), also die Produkte, die sich im Lager befinden, inklusive aller Grössen und Farben eines Artikels. Seinen Daten zufolge haben Zara und H&M von November 2022 bis November 2023 40.000 und 23.000 neue Artikel auf den US-Markt gebracht. Shein brachte es im gleichen Zeitraum auf 1,5 Millionen Produkte.

Ein weiterer Unterschied: Während Shein vor allem in China nähen lässt, lassen H&M und Inditex auch vieles in anderen Ländern produzieren. 98 Prozent der Inditex-Produktion wurde 2022 in zwölf Ländern gefertigt, darunter Portugal, Marokko, die Türkei und Spanien. Laut einem Sprecher lässt H&M einen Grossteil seiner Artikel in Bangladesh und China nähen. Shein lehnte einen Kommentar zu seinem Zulieferer-Netzwerk ab. Allerdings zeigen jüngste Einfuhrdaten, dass praktisch alle Produkte, die Shein in die USA einführte, aus China kamen.

(Reuters)