Herr Lehmann, Facebook hat weltweit 2,3 Milliarden User. Im ersten Halbjahr 2020 kommt die Facebook-Währung Libra. Wird Facebook bald die grösste Bank der Welt?

Axel Lehmann:* Darüber werden sich Politiker und Regulatoren den Kopf zerbrechen müssen, denn Banking ist weltweit stark reglementiert. Entscheidend ist am Ende aber etwas anderes: Jede Währung ist nur so viel wert wie das in sie gesetzte Vertrauen – und das muss man sich bei Kunden und Konsumenten bekanntlich erst erarbeiten.

Wie viele UBS-Banker werden bei Facebook anheuern?

In aller Bescheidenheit: Wir haben das Vertrauen unserer Kunden, sind die führende Bank in der Schweiz und der global führende Vermögensverwalter. Zudem sind wir einer der grössten Ausbildner. Gerade bei Uni-Absolventen ist die UBS eine Top-Adresse. Unsere gut ausgebildeten Mitarbeitenden sind daher auch bei der Konkurrenz begehrt. Aber ich sehe die zunehmende Durchlässigkeit zwischen Banken, Techfins und Fintechs durchaus positiv. Wir können alle voneinander lernen.

Was passiert mit dem Finanzsektor, wenn sich Guthaben in grossem Masse in die Libra-Welt verlagern?

Bei Libra, falls sie tatsächlich kommt, geht es um eine Parallelwährung, basierend auf einem Währungskorb. In stabilen Industrieländern mit funktionierender Finanzinfrastruktur sehe ich wenig Grund, warum man in eine Parallelwährung wechseln sollte. Anders sieht es vielleicht in weniger entwickelten Volkswirtschaften mit hoher Inflation aus. Dort könnte eine Währungssubstitution Sinn machen, vor allem im Zahlungsverkehr. Aber vergessen wir nicht: Der traditionelle Finanzsektor leistet viel mehr als nur Zahlungsverkehr: Kredite, Anlagen, Beratung, Vermögensverwaltung, Sicherheit. All dies wird auch künftig für Kunden wichtig sein.

Libra ist nicht die einzige Währung, die aus der Digitalisierung entsteht. Viele Menschen investieren in Bitcoins. Was bedeuten die Kryptowährungen für die UBS?

Wir empfehlen keine Kryptowährungen und handeln nicht mit ihnen. Spannend ist für uns hingegen die zugrundeliegende Blockchain-Technologie. Wir haben selbst mehrere Pilotprojekte dazu.

Vertrauen Sie Kryptowährungen?

Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort, insbesondere, weil verschiedene Arten von Kryptowährungen bestehen. Wir beobachten die Entwicklung mit Interesse.

Lidl will mit Lidl Pay europaweit ein eigenes Handy-Bezahlsystem aufbauen. Wie geht eine Universalbank mit solchen neuen Konkurrenten um?

Dies gibt es ja bereits in der Schweiz mit anderen Händler-Apps. Dort ist es möglich, TWINT oder die Kreditkarte als Zahlungsmittel zu hinterlegen. Wir als Universalbank bieten unseren Kunden neben UBS TWINT diverse andere mobile Bezahllösungen wie Swatch Pay, Fitbit Pay und Garmin Pay an. Am Ende muss der Bezahlvorgang möglichst komfortabel sein.

Macht das Prinzip der Universalbank in Zeiten der Digitalisierung noch Sinn?

Definitiv. Denn Digitalisierung ist für uns ein Instrument, um unsere Kunden mit der ganzen Universalbankenpalette noch besser bedienen zu können. Und das funktioniert auch. Die Zufriedenheit von Kunden, die digitale Produkte nutzen, ist deutlich höher. Und ihre Bindung an die Bank ist stärker. Der digitale Kanal hat sich inzwischen von einem zusätzlichen zum dominanten Kanal entwickelt.

Digitalisierung heisst: sich ständig neu erfinden. Wie passt man die Universalbank diesem Credo an?

Der technologische Wandel ist rasant, aber Digitalisierung nur um der Digitalisierung willen ist keine Lösung. Es geht immer um die Bedürfnisse der Kunden und um die Verbesserung von Abläufen. Beides zusammen, Kundenzufriedenheit und Effizienzgewinn, sind der Schlüssel für profitables Wachstum, daran arbeiten wir als Bank.

Wie wird aus einem Tanker wie der UBS ein Rennboot, wie es die Fintech-Firmen sind?

In Zürich hat die UBS kürzlich die grösste Digital Factory der Schweiz eröffnet, mit Platz für 600 Mitarbeitende aus verschiedensten Bereichen. Dort werden Lösungen in kurzen Zyklen entwickelt und parallel dazu mit den Kunden zusammen getestet und verbessert. Das macht uns schneller und effizienter.

Bevorzugen Ihre Kunden eine digitale Beratung – oder herkömmliche Kundenberater?

Über 100 Millionen Logins im Jahr zeigen, dass die Kunden Standard-Bankgeschäfte vornehmlich digital abwickeln. Bei wichtigen Entscheiden im Leben wie dem Erwerb eines Eigenheims oder bei der Nachfolgeplanung wollen sie aber nach wie vor ein persönliches Gespräch mit einem Berater führen, wiederum unterstützt durch digitale Lösungen.

Wie bringt die UBS die Digitalisierung und die Kundenberater zusammen?

Hatten die Berater in der Vergangenheit insbesondere mit Finanzfragen zu tun, geben sie heute vermehrt auch zu digitalen Themen Auskunft und werden in die Entwicklung von digitalen Produkten miteinbezogen. Bei administrativen Aufgaben werden sie vermehrt von digitalen Assistenten unterstützt, damit sie mehr Zeit für die persönliche Beratung ihrer Kunden haben. Die Digitalisierung bietet die Chance, schneller auf die individuellen Wünsche unserer Kunden einzugehen.

Wie lange hat noch jede kleinere Schweizer Stadt eine UBS-Filiale?

Die Geschäftsstelle wird auch künftig zentral sein für den Kundenkontakt. Trotz unserer digitalen Kanäle ist das Bedürfnis der Kunden nach persönlicher Beratung bei komplexeren Finanzfragen gross – etwa bei der Vorsorge oder der Eigenheimfinanzierung. Mehr als 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung wünschen sich bei solchen Themen einen Austausch mit einer Kundenberaterin oder einem Kundenberater. Interessanterweise gilt dieser Wert auch bei den "Digital Natives", also Jahrgang 1980 und jünger. Wir testen aber auch neue Filialformate. Noch in diesem Jahr werden wir an zehn ausgewählten Standorten kleinere Geschäftsstellen eröffnen, in denen wir uns auf unsere digitalen Kompetenzen fokussieren.

Wie wollen Sie die jungen Menschen erreichen, die sich gewohnt sind, alles auf ihrem Smartphone zu machen?

Wir sind längst auch eine Smartphone-Bank und wachsen besonders stark gerade bei jungen Menschen. Über eine Million Downloads unserer Mobile Banking App und die Tatsache, dass wir heute mehr Logins via Mobile Banking als E-Banking zählen, zeigen dies eindrücklich.

Die Bank Cler sagt, es brauche für Bankkunden nur noch ein Smartphone. Ist das eine Option für die UBS?

Für 40 Prozent unserer Mobile-Banking-Nutzer ist das Smartphone bereits die klar präferierte Schnittstelle zur Bank.

Beschäftigt die UBS in zehn Jahren in der Schweiz mehr oder eher weniger Personen?

Unsere Studien zeigen, dass der Schweiz in den nächsten zehn Jahren zwischen 300 000 und 500 000 Arbeitskräfte fehlen werden, weil mehr Personen pensioniert werden als neue ins Arbeitsleben eintreten. Für viele Unternehmen wird es dann schwieriger, genügend Fachpersonal zu finden. Umso wichtiger wird es, Mitarbeitende zu halten und in sie zu investieren. Die Digitalisierung kann den Arbeitskräftemangel zwar reduzieren, aber man darf nicht vergessen, dass sie gleichzeitig auch neue Stellen schafft. Nicht zuletzt deshalb ist unser Personalbestand in der Schweiz im vergangenen Jahr um fast 500 Stellen gewachsen.

Welche Jobs werden in Ihrem Bereich neu geschaffen?

In der Schweiz rekrutieren wir unter anderem in den Bereichen Projektmanagement, Data- und Business-Analyse sowie Engineering. Es gibt beispielsweise die neue Rolle des "Analytics Translators". Sie stellt sicher, dass in einem Projekt alle die gleiche "Sprache" sprechen, also ein gemeinsames Verständnis von technischen Details und Kundenbedürfnissen haben. Zudem unterstützen wir unsere Mitarbeitenden mit Weiterbildungsangeboten bei den Herausforderungen der digitalen Transformation. So bleiben wir auch in Zukunft konkurrenzfähig und können neue Chancen ergreifen.

Eine Bank verwaltet sensible Kundendaten. Wie kann die UBS bei zunehmender Vernetzung und Digitalisierung ihre Sicherheit garantieren?

Die Sicherheit unserer Applikationen hat höchste Priorität. Die UBS investiert jedes Jahr substanziell in Cyber Security. So betreiben wir etwa Anomalie-Erkennung auf Transaktions- und biometrischer Verhaltensebene und machen permanente Aufklärung. Einer der wichtigsten Sicherheitsfaktoren ist weiterhin der Nutzer selbst.

Wie gut kennt die UBS aufgrund von Datenanalysen ihre Kunden?

Datenanalyse ist für uns ein wichtiges Thema. Ein internes Gremium stellt sich bei jeder Datenanalyse die Frage der Angemessenheit über die regulatorischen Anforderungen hinaus. Wenn wir Kundendaten analysieren, dann immer mit dem Ziel, dem Kunden einen Mehrwert zu bieten.

Wie können die Kunden von Datenanalysen der UBS profitieren?

Wenn wir beispielsweise sehen, dass ein Kunde eine Rechnung mühsam von Hand ins E-Banking eintippt, schlagen wir ihm vor, die entsprechende E-Rechnung zu abonnieren, die er dann mit nur einem Klick freigeben kann.

Welche digitalen Hilfsmittel brauchen Sie zum Marathon-Laufen?

Ich laufe gerne, aber keinen Marathon. Meine Smartwatch mit kontaktloser Bezahlfunktion ist jeweils für eine schnelle Verpflegung zwischendurch extrem praktisch.

* Axel Lehmann (60) ist seit Januar 2018 Chef der UBS Schweiz. Zuvor war er bereits Group COO und Verwaltungsrat bei der Schweizer Grossbank. Vor seinem Eintritt in die UBS war er rund 20 Jahre für den Versicherungskonzern Zurich tätig. Er besitzt einen Master-Abschluss und einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften der Universität St. Gallen und hat zwei erwachsene Töchter.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin zum 3. Schweizer Digitaltag unter dem Titel "Hat die UBS Angst vor Libra?"