cash.ch: Herr Meyer, der internationale Handelskonflikt verunsichert. US-Präsident Donald Trump spielt dabei eine Hauptrolle. Womit rechnen Sie in nächster Zeit?
Xavier Meyer: Wenn die am 7. August 2025 eingeführten Zölle bestehen bleiben, dürfte dies für die Schweiz und andere betroffene Länder eine erhebliche Herausforderung darstellen. Ich glaube jedoch auch, dass dies langfristig den Vereinigten Staaten schaden könnte. Als Faustregel gilt, dass Zölle zu Stagflation führen – jede Erhöhung der US-Zölle um 10 Prozent führt zu einer um 1 Prozent höheren Inflation und einem um 1 Prozentpunkt geringeren Wachstum in den Vereinigten Staaten.
Wie beurteilen Sie das Verhalten von Trump gegenüber der Schweiz?
Die offizielle Begründung für die Höhe der Zölle ist nach wie vor das Handelsungleichgewicht, obwohl dabei nur das Defizit bei Waren und nicht das bei Dienstleistungen berücksichtigt wird. Die Verhandlungen haben bisher nicht zu einer Änderung dieser Sichtweise geführt. Eine wahrscheinliche direkte Folge davon ist jedoch, dass die Schweiz ihre Beziehungen zu ihren europäischen Partnern weiter stärken wird, die derzeit einen zuverlässigeren und berechenbareren Rahmen für ihre Aktivitäten bieten.
Trump hat immer wieder grosse Ankündigungen gemacht und dann doch nicht voll durchgezogen. «Trump always chickens out», er kneife am Ende dann jeweils doch, heisst es. Hat der US-Präsident ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Die Welt hat sich angepasst, die Märkte sind resilient geworden. Die letzten Reaktionen der Märkte, auch der Schweiz, zeigen dies. Diese Resilienz besteht nicht nur gegenüber Trumps Hin und Her, sondern auch gegenüber geopolitischen Spannungen im Nahen Osten oder den Folgen des Ukraine-Kriegs. Etwas aber lässt mich unruhig werden.
Bitte ja, erzählen Sie!
Es gibt eine Art zweistufiges Zollsystem. Die Basiszölle von 10 Prozent werden sehr wahrscheinlich bleiben. Die zusätzlichen Zölle werden für jedes einzelne Land separat verhandelt und mehr oder weniger hoch ausfallen. So oder so aber werden wir auf Dauer über dem Niveau liegen, das wir vor der Zollankündigung vom April kannten. Die Welt ist protektionistischer geworden. Wie lange das gut geht, ist eine offene Frage.
Was halten Sie vom neuen US-Steuergesetz?
Die Steuerentlastungen werden das US-Haushaltsdefizit ausweiten und die Staatsschulden nach oben treiben, auch wenn die potenziellen Mehreinnahmen aus Zöllen einen Teil davon ausgleichen könnten. Derzeit sieht es jedoch so aus, als würde die Schuldenquote auf 125 Prozent steigen, worauf die Anleihemärkte wahrscheinlich empfindlich reagieren werden. Dies deutet auf höhere Zinsen hin und dürfte sich auf die Zinspolitik der Fed auswirken. Interessanterweise dürfte jedoch Jerome Powells Nachfolger als Fed-Vorsitzender niedrigere Zinsen bevorzugen. Wir glauben daher, dass der Markt das Ausmass der Zinssenkungen noch nicht eingepreist hat, was Anleihen mit kurzer Laufzeit potenziell attraktiv macht, während Anleihen mit langer Laufzeit aufgrund der fiskalischen Expansion und der Politisierung der Fed weiterhin unter Druck stehen könnten.
Welche Ihrer Fonds laufen zurzeit besonders gut?
Aus Performance-Sicht haben in unserem jüngsten Halbjahresergebnis über 70 Prozent unserer verwalteten Vermögenswerte ihre Benchmarks über einen Zeitraum von 1, 3 und 5 Jahren übertroffen. Besonders herausragende Ergebnisse erzielten festverzinsliche Wertpapiere, insbesondere Short-Duration- und Global-Income-Anleihen, Liquidität, quantitative Strategien und alternative Anlagen. Bei aktiven Aktien haben wir Stärke in Bereichen wie unseren Flaggschiff-Fonds EM Income und European Small Cap gesehen, die beide von einer positiven Aktienauswahl profitierten.
Welche Sektoren bevorzugen Sie?
Bei Aktien sind wir gegenüber Aktien aus Industrieländern und Schwellenländern leicht positiv eingestellt, während wir bei festverzinslichen Wertpapieren hinsichtlich der Duration und des Unternehmensrisikos leicht positiv sind. Zu berücksichtigen sind wirtschaftliche und geopolitische Risiken sowie die allgemeinen wirtschaftlichen Auswirkungen von Zöllen und eine mögliche Revolte am Anleihemarkt angesichts der fiskalischen Expansion in den USA und weltweit. Unser Basisszenario geht jedoch davon aus, dass diese Risiken das makroökonomische Umfeld, das derzeit Risikostrategien begünstigt, und eine marginale Abkehr von US-Anlagen nicht beeinträchtigen werden.
Wie blicken Sie auf den Immobiliensektor?
Wir bleiben auch weiterhin positiv gegenüber globalen Direktimmobilien eingestellt, da das Mietwertwachstum im Allgemeinen gesund und die Leerstandsquoten niedrig sind. Industrie- und verteidigungsbezogene Immobilien in Europa dürften von den erhöhten Ausgaben profitieren, während alternative Sektoren wie Rechenzentren eine gute Performance zeigen und einen wachsenden Anteil an den Benchmarks der Anleger ausmachen. Das insgesamt geringe Angebot und die geringeren Belastungen durch frühere strukturelle Probleme im Büro- und Einzelhandelssektor untermauern ebenfalls unsere positive Einschätzung dieser Anlageklasse.
Sehen Sie auch Chancen im Infrastrukturbereich?
Das allgemeine Umfeld für Kapitalbeschaffung ist aufgrund sinkender Zinsen stark, und die globale Infrastruktur verfügt über hohe «Trockenpulverreserven», wobei unterstützende strukturelle Faktoren – darunter Verschuldung, Digitalisierung und Dekarbonisierung – weiterhin in hohem Masse vorhanden sind.
Welche geografischen Regionen halten Sie für attraktiv?
Wir stehen Aktien positiv gegenüber und bevorzugen aufgrund der Bewertungen europäische Aktien gegenüber US-Aktien. Aber auch die Schwellenländer sehen wir optimistisch. Ein schwächerer US-Dollar, niedrigere inländische Zinsen, ein sich beschleunigender globaler Investitionszyklus in Bereichen wie KI, Elektrifizierung, Aufrüstung und Umstrukturierung der Lieferketten sind allesamt unterstützend. So sind wir beispielsweise in Schwellenländern in Unternehmen engagiert, die die Zukunft der Elektrofahrzeuge mitgestalten, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Verkehr und Infrastruktur spielen oder grüne Innovationen in Bereichen wie der Schifffahrtsindustrie vorantreiben.
Wie ist Ihre Haltung zum Schweizer Markt?
Der Schweizer Markt hat erneut seine Flexibilität und solide Stabilität unter Beweis gestellt, obwohl er von mehreren Faktoren beeinflusst wurde, wie beispielsweise den US-Zöllen, der steigenden Inflation und den sinkenden Zinsen. Auch die jüngste Aufwertung des Schweizer Frankens beobachten wir aufmerksam. Einerseits spiegelt sie das Vertrauen der Anleger in die wirtschaftliche Stabilität der Schweiz wider. Andererseits stellt sie Schweizer Exporteure vor Herausforderungen, da eine stärkere Währung die Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Waren und Dienstleistungen im Ausland verringert. Diese Dynamik beobachten wir weiterhin, insbesondere in Sektoren mit hoher internationaler Exposition.
Welche Unternehmen haben Sie im Blick?
Wie in anderen Märkten auch verfolgen wir einen selektiven Ansatz bei Aktien aller Märkte und suchen nach führenden und innovativen Unternehmen mit starker Unternehmensführung und nachhaltigem Wachstumspotenzial – Unternehmen, die robuste Fundamentaldaten, Innovationsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit in volatilen Märkten aufweisen.
Wie stehen Sie zu Rüstungsaktien - go or no-go?
Der Sektor ist interessant, weil aufgrund zunehmender geopolitischer Spannungen und höherer Staatsausgaben hohe Investitionen in ihn fliessen. Allerdings haben sich europäische Verteidigungsaktien bereits extrem gut entwickelt und die «Magnificent 7» der US-Technologieaktien übertroffen, was darauf hindeutet, dass ein Grossteil des Aufwärtspotenzials bereits eingepreist sein könnte. Wir sehen jedoch weiterhin selektive Chancen, insbesondere bei Unternehmen mit starken Fundamentaldaten und langfristigen Verträgen. Ausserdem sprechen ESG-Kriterien nicht unbedingt gegen Investitionen in Verteidigungsaktien, insbesondere wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit und der technologischen Innovation betrachtet.
Welche Alternativen sehen Sie für Anleger, die nicht in den Rüstungssektor investieren, aber dennoch vom Schub der höheren Verteidigungsausgaben profitieren wollen?
Das Prinzip ist einfach: Sie schauen sich die Wertschöpfungskette an und suchen nach Sektoren und Unternehmen, die unmittelbar mit der Verteidigungsindustrie verbunden sind. Beispielsweise Ingenieurwesen, Logistik und fortschrittliche Fertigung. Dies gilt übrigens für alle Branchen, die sich gut entwickeln, wie beispielsweise Infrastruktur und Technologie. Und wenn Sie sich nicht sicher sind, welche Unternehmen am besten positioniert sind, um davon zu profitieren, können Sie Managed Solutions nutzen, die thematische Trends wie beispielsweise die Zukunft der Lieferketten untersuchen.
Solche Themen schillern. Doch wie unterscheiden Sie Qualitätsaktien von Aktien, die man meiden sollte?
Wir glauben an Unternehmen, die langfristig wachsen, nachhaltige Gewinne erzielen und Dividenden ausschütten. Denn solche Unternehmen zeigen im Vergleich zu Aktien, die nur vorübergehend im Trend liegen und denen es in der Regel an dauerhaften Fundamentaldaten mangelt, in der Regel eine höhere Widerstandsfähigkeit und erzielen langfristig eine überdurchschnittliche Performance. Das ist das Profil, nach dem wir suchen, da wir davon überzeugt sind, dass Anleger langfristig am meisten davon profitieren werden.
Xavier Meyer ist seit November 2024 CEO von Aberdeen Investments. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Asset Management. Bevor er zu Aberdeen kam, war er Regionalchef für Nordasien, Europa und Amerika bei Eastspring Investments und Mitglied der Geschäftsleitung dieses Unternehmens. Meyer hat einen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und Finanzen von Sciences Po Paris und einen Master-Abschluss der Neoma Business School.