Dieser steile Preisanstieg kam für viele überraschend: In den letzten vier Wochen hat sich Rohöl rund 10 Prozent verteuert. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent ist dabei genauso auf den höchsten Stand seit mehr als drei Jahren gestiegen wie die amerikanische Sorte West Texas Intermediate (WTI).

Damit hat auch Norbert Rücker, Leiter des Rohstoff-Researchs bei der Bank Julius Bär, nicht gerechnet. "Wir erleben derzeit einen sehr 'bullishen' Markt, der Anzeichen von Preisübertreibungen aufweist", sagt er im Gespräch. Diese Stimmung zeige sich beispielsweise am Terminmarkt, wo die Wetten von Hedgefonds und anderen Grossinvestoren auf weiter steigende Ölpreise "exzessive Niveaus" erreicht hätten.

Diese Exzesse spüren die Schweizerinnen und Schweizer in ihren Portemonnaies. Denn die Ölpreise sind wohl jene Anlageklasse, die bei einer Verteuerung am schnellsten bei den Konsumenten ankommen: entweder an der Zapfsäule oder im Heizöltank.

Das zeigt sich einmal mehr an Schweizer Tankstellen. Laut Daten des Touring Club Schweiz und der Erdölvereinigung kostet ein Liter Bleifrei 95 im Durchschnitt bereits 1,59 Franken - so viel wie zuletzt Ende 2014. Auch Diesel ist mit 1,64 auf den höchsten Stand seit mehreren Jahren gestiegen. Im letzten Juli kostete der Liter Diesel noch durchschnittlich 1,52 Franken, wie folgende Grafik verdeutlicht.

Der durchschnittliche Dieselpreis in der Schweiz in den letzten zwölf Monaten (Quelle: erdoel.ch)

Die Frage, die sich Auto- und Töfffahrer also stellen müssen, lautet: Wann dreht der Ölmarkt wieder? Laut Rohstoff-Experte Rücker dürften zwei Faktoren auf die Preise drücken. In den USA ist weiterhin viel Potenzial vorhanden, das Angebot an Rohöl auszuweiten.

Zudem würde auch die Organisation erdölexportierender Staaten (Opec) für Druck auf die Preise sorgen, wenn sie ihre Fördergrenze beim nächsten Treffen am 22. Juni wieder aufhebt. Die Prognose der Bank Julius Bär: In zwölf Monaten kostet ein Fass Brent-Öl nur noch 50 Dollar (aktuell 70 Dollar), unter anderem weil 2019 eine globale Wachstumsabschwächung wahrscheinlich sei.

Nachfrage bleibt hoch

Dem gegenüber stehen Marktbeobachter, die eher mit einer Seitwärtsbewegung am Ölmarkt rechnen. Die Analysten der Deutschen Bank glauben nicht, dass Brent unter 60 Dollar fällt, weil die Nachfrage hoch bleibe. Ihre Brent-Prognose für in zwölf Monaten hat die Deutsche Bank deshalb erst kürzlich auf 65 Dollar erhöht. WTI erwartet sie bei 59 Dollar (aktuell 64 Dollar), wie einer aktuellen Analyse zu entnehmen ist.

Sie sehen vor allem das stabile Wirtschaftswachstum in den USA, der Euro-Zone und den Schwellenländern sowie den schwachen US-Dollar als Preisstützen. Verliert der Dollar – wie in den letzten Monaten – an Wert, wird Rohöl, das in Dollar gehandelt wird, in Ländern ausserhalb des Dollarraums günstiger.

In beiden Szenarien würden die Benzinpreise also mittelfristig wieder unter Druck kommen. Aber Konsumentenschützer monieren immer wieder, Schweizer Tankstellen würden teureres Rohöl viel rascher an die Auto- und Töfffahrer weitergeben als Preisbewegungen in die andere Richtung. Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz sagte gar einst, gerade an Feiertagen oder während Ferien würden die Benzinpreise ansteigen, unabhängig von den Entwicklungen an den Ölmärkten.

Grosse Unterschiede beim Benzin

Die Erdöl-Lobby hingegen stellt sich immer auf den Standpunkt, die Preisgestaltung beim Benzin und Diesel liege nicht gänzlich in der Hand der Tankstellen. Der Preis werde unter anderem auch durch den Spot-Markt in Rotterdam, den Wechselkurs des Dollars zum Franken und die Frachtkosten für den Transport auf dem Rhein bestimmt.

Hinzu kommen staatliche Abgaben und schliesslich Vertriebskosten. So setzt sich der Preis für einen Liter Bleifrei 95 in der Schweiz laut Angaben der Erdölvereinigung folgendermassen zusammen: rund 55 Prozent für staatliche Abgaben, 30 Prozent für Einkauf und Fracht und etwa 15 Prozent beträgt die Handelsspanne.

Dass dieser Spielraum auch genutzt wird, zeigt ein Blick auf die unterschiedlichen Benzinpreise. Gemäss benzin-preis.ch bietet die günstigste Tankstelle der Schweiz Bleifrei 95 für 1,42 Franken und Diesel für 1,53 Franken an – mehr als 10 Rappen unter dem nationalen Durchschnitt.