Der Ökonom und frühere Berater von US-Präsident Donald Trump, Kevin Hassett, gilt als Favorit auf die Nachfolge von Jerome Powell als Chef der amerikanischen Notenbank. Er lag in Befragungen unter Marktteilnehmern sowie auf Online-Plattformen wie Polymarket und Kalshi bis den Dezember hinein vorne. 

Zu den aussichtsreichen Kandidaten zählen aber auch Christopher Waller, der bereits Mitglied des Fed-Direktoriums ist, und Kevin Warsh, der eine Fed-Vergangenheit hat. Sie seien «allesamt seriöse Kandidaten», sagen Harald Preissler, Kapitalmarktstratege, und Daniel Hartmann, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Bantleon.

Nun aber: Die Banz Syz sieht in einer Wahl von Kevin Warsh eine von zehn möglichen Überraschungen des Jahres 2026. Überraschend käme, dass Warsh und nicht der bislang hoch gehandelte Hassett das Rennen macht. Indes gilt Warsh - gleich wie Hassett - als sogenannte Taube, als Vertreter einer lockeren Geldpolitik. Im Oktober sagte er: «Wir können die Zinssätze deutlich senken.» Verbunden mit dem technologischen Wandel und den Investitionen aus dem In- und Ausland in die US-Wirtschaft seinen tiefere Zinsen der Grundstein «für unsere Produktivitätsrevolution», so der 55-Jährige. 

Warshs Ankunft auf dem Posten des Fed-Chefs und sein erwarteter Fokus auf Wachstum brächten Veränderungen mit sich, die von den Märkten begrüsst werden, schreibt Syz-Anlageschef Charles-Henry Monchau in seinem Ausblick auf die Überraschungen des kommenden Jahres. 

Zu diesen Veränderungen gehören nicht nur tiefere Zinsen, welche die Wirtschaft ankurbeln sollten, sondern auch: Die Fed werde voraussichtlich eine etwa höhere Inflation zulassen und eine obere Spanne der Teuerungsrate von 2 bis 2,5 Prozent ansteuern. Bis anhin peilt die US-Notenbank langfristig eine Rate von 2 Prozent an. Eine etwas höhere Inflationsmarke macht Zinserhöhungen weniger wahrscheinlich.

Zur Überraschung vieler reagierten die Finanzmärkte positiv auf die Veränderungen, sagt Monchau voraus. «US-Vermögenswerte steigen steil an und die Kapitalzuflüsse in das Land erreichen Rekordwerte.»

Jüngst signalisierte offenbar auch JPMorgan-CEO Jamie Dimon Support für Kevin Warsh als neuem Fed-Vorsitzenden. Einem Bericht der «Financial Times» zufolge soll Dimon auf einer internen Konferenz der US-Grossbank für CEOs von Vermögensverwaltungsgesellschaften in New York seine Übereinstimmung mit Warshs Haltung gezeigt haben. Der JPMorgan-Chef habe aber auch gesagt, Hassett werde die Zinsen kurzfristig wohl eher senken.

Zeigen wird sich so oder so, inwiefern US-Präsident Trump den Druck auf die Notenbank abbaut oder aufrecht erhält - und inwieweit er die Unabhängigkeit der Zentralbank angreift. Trump hatte den amtierenden Fed-Chef Powell wiederholt kritisiert, dieser halte die Zinsen zu lange zu hoch - und drängte auf Zinssenkungen. Solche sind den Wall-Street-Anlegern generell zwar willkommen, doch kaum dann, wenn die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage gestellt wird.

Denn die Unabhängigkeit einer Notenbank ist eng mit ihrer Glaubwürdigkeit verknüpft. Und Glaubwürdigkeit bedeutet: Die Wirtschaftsteilnehmer sind überzeugt, dass die Geldpolitiker die Inflation im Griff haben oder wieder in den Griff bekommen, falls sie vom Zielwert abgewichen ist.

Schwindet die Glaubwürdigkeit, weil die Zentralbank offenbar nicht mehr oder nur noch beschränkt unabhängig agieren kann, gehen Unternehmen und Private eher von einer höheren Inflation aus - die Inflationserwartungen steigen also, was eine effektiv höhere Teuerung begünstigt: «Inflation ist zu einem gewissen Grad eine sich selbst-erfüllende Prophezeiung», schreiben die Ökonomen der deutsche Förderbank KfW.

Die Frage, wer an der Fed-Spitze steht, wird sich bald klären: Powells Amtszeit endet im Mai 2026. Der neue Fed-Vorsitzende wird vom Präsidenten nominiert und muss vom Senat bestätigt werden.

Reto Zanettin
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