Im Frühjahr 2016 veröffentlichte das Analyse-Haus "Zatarra Research" einen vernichtenden 100-seitigen Bericht über den Zahlungsdienstleister und damaligen Börsen-Highflyer Wirecard. Die konkreten Vorwürfe: Betrug, Geldwäsche und ein grosses Netz von Scheinfirmen, welche die Bilanz von Wirecard künstlich aufblähten. Gleichzeitig wettete man auf fallende Kurse des Zahlungsdienstleisters – mit Erfolg.

Was folgte, war eine öffentliche Empörung über die Machenschaften von Shortsellern. Die Staatsanwaltschaft München und die deutsche Finanzmarktaufsicht (Bafin) nahmen das Analyse-Haus umgehend ins Visier. Vorwurf: Marktmanipulation. Vier Jahre später weiss man, wer Recht hatte: Die Leerverkäufer.

In diesen Wochen sorgen weitere Shortseller-Attacken für Aufsehen am Markt. In den USA trat jüngst der CEO des Elektro-Start-ups und Tesla-Konkurrenten Nikola Motor, Trevon Milton, zurück. Das Unternehmen befindet sich seit einigen Wochen ebenfalls im Visier von Shortsellern. Es soll Aktionäre und Geschäftspartner in die Irre geführt haben. Die Aktie sackte zweitweise um 40 Prozent ab.

Und auch der deutsche Finanzdienstleister Grenke sieht sich derzeit mit einer Shortseller-Attacke konfrontiert. Die Anschuldigungen hier: Betrug, Geldwäsche, überteuerte Firmenkäufe und Interessenkonflikte. Das Unternehmen verlor zwischenzeitlich über die Hälfte seiner Marktkapitalisierung.

Was hat es mit den Shortseller-Attacken auf sich, warum ist deren Image so schlecht und welche Funktion üben sie am Markt aus? cash beantwortet die wichtigsten Fragen.

1. Wer steckt hinter all den Shortseller-Attacken?

So genannte Shortseller präsentieren sich öffentlich meist als Analyse-Haus oder Research-Unternehmen. Sie halten gezielt Ausschau nach Firmen, bei denen sie Unregelmässigkeiten in der Bilanz oder in der Geschäftstätigkeit vermuten. Anschliessend wird so lange jeder Stein in den Bilanzen umgedreht, bis genügend Unregelmässigkeiten festgemacht wurden, um mit den Vorwürfen glaubwürdig in die Öffentlichkeit gehen zu können. Neben Firmen sind auch Währungen oder Staatsanleihen häufig Ziel von Shortsellern. 

2. Was passiert bei einer Shortseller-Attacke genau?

Wenn der Shortseller in seinen Augen genügend Beweise gegen das Unternehmen gesammelt hat, leitet er die Veröffentlichung eines Berichts ein, in welchem all die Anschuldigungen formuliert und begründet werden. Das Ziel: Die Aktie auf Talfahrt schicken. Doch bevor der Bericht publiziert wird, decken sich die Verfasser üppig mit Short-Positionen ein: Das heisst, sie setzen auf fallende Kurse des Unternehmens.

Dafür leihen sich Shortseller grössere Aktienpakete von Dritten, meist von grossen institutionellen Investoren, die viele Aktien des Unternehmens halten. Diese geliehen Aktien verkaufen sie nun am Markt in der Hoffnung, sie zu einem späteren Zeitpunkt - nach der Veröffentlichung des Berichts - günstiger zurückkaufen zu können. Klappt dies, können die ausgeliehen Aktien mit Gewinn – abzüglich einer Leihgebühr – wieder zurück an die institutionellen Investoren gegeben werden.

3. Warum haben Shortseller häufig ein schlechtes Image?

Shortseller ereilt seit langer Zeit ein zweifelhafter Ruf. Teilweise wird Shortsellern vorgeworfen, betreffende Unternehmen oder Währungen als Spielball ihrer Wetten zu benutzen. Unvergessen ist die "Mutter aller Wetten" von George Soros aus dem Jahr 1992. Damals zwang der Star-Investor das britische Pfund und die Bank of England in Knie, indem er auf fallende Kurse des Sterlings wettete - und gewann. Die Bank of England versuchte damals noch vergeblich, durch Milliardenaufkäufe den bröckelnden Kurs des Pfunds zu stützen, was dem Steuerzahler eine zweistellige Milliardensumme kostete. Soros hingegen brachte es einen Milliardengewinn eien - und den Beinamen "The man who broke the Bank of England" ein. 

Hinzukommt, dass grosse Shortseller im öffentlichen Auftreten meist kein Blatt vor dem Mund nehmen und voll in den Angriffsmodus schalten. Auf den Untergang eines Unternehmens zu wetten, klingt im ersten Moment schlicht unanständig. Viele Anleger verurteilen im ersten Reflex Shortseller zunächst als Profiteure von Firmenpleiten.

4. Sind Shortseller reine Zocker am Markt oder ein wichtiges Korrektiv?

An sich gilt: Ungereimtheiten in Unternehmen aufdecken und daran Geld verdienen, ist nicht illegal. Im Gegenteil: Viele Experten sehen Shortseller als wichtiges Korrektiv an den Finanzmärkten, um Kursexzesse nach oben auszugleichen oder betrügerische Firmen möglichst schnell aus dem Markt zu spülen.

Mit anderen Worten: Shortseller nehmen die Funktion eines gnadenloses Finanzaufsehers ein. Bilanzprüfer und Analysten fehlt letzten Endes der Anreiz, unbedingt das eine Haar in der Suppe zu finden, weil sie nicht unmittelbar finanziell davon profitieren. Daher wird oft zu wenig hartnäckig nachgehakt. Das zeigt der Wirecard-Fall exemplarisch.

Letzten Endes können aber natürlich auch Shortseller komplett falsch liegen. Das taten sich auch oft genug. Seit einigen Monaten verzweifeln viele Leerverkäufer an Tesla. Im Februar, als Tesla überraschend positive Zahlen vorlegte, verloren die sogenannten Tesla-Shorties allein an einem Tag rund 1,5 Milliarden Dollar.