Die letzte Hiobsbotschaft für Wirecard kam Ende März. Die englische "Financial Times" (FT) machte Betrugsvorwürfe gegen den Zahlungsdienstleister publik – mal wieder. Diesmal wies die Zeitung darauf hin, dass allein die Hälfte des Umsatzes sowie ein Grossteil des Gewinns von undurchsichtigen Partnerunternehmen stammten. Recherchen hätten ergeben, dass es sich bei vielen dieser Partner um dubiose Scheinfirmen handle.

Der Kurs sackte innert eines Tages um rund 12 Prozent ab. Doch seitdem ist es ruhig an der Skandalfront. Im Gegenteil: Eine Reihe positiver Meldungen verlieh dem Aktienkurs des deutschen Zahlungsdienstleisters zuletzt neuen Schwung. Die publizierten Zahlen für das erste Quartal 2019 können sich sehen lassen: 35 Prozent mehr Umsatz und ein Wachstum des Transaktionsvolumens von 37 Prozent. Hinzu kommen zahlreiche neue Partnerschaften.

Softbank neuer Ankeraktionär

Für grosses Aufsehen sorgte Ende April der Einstieg des Softbank-Konzerns als neuer Ankeraktionär. Der renommierte Technologieinvestor aus Japan kündigte an, in einem ersten Schritt rund 900 Millionen Euro in eine Wandelschuldverschreibung des Konzerns zu investieren. Beide Unternehmen vereinbarten, im Bereich digitaler Paymentlösungen zusammenzuarbeiten. Die Erhöhung der Gewinnprognose Anfang Mai war dann die Kirsche auf der Torte. Neu geht Wirecard von einem Betriebsgewinn (Ebitda) zwischen 760 Millionen und 810 Millionen Euro für das Jahr 2019 aus.

Die vielen Good News der letzten Wochen liessen die Betrugsvorwürfe in den Hintergrund geraten und der öffentliche Fokus richtete sich wieder auf das operative Geschäft des Zahlungsdienstleisters. Dadurch fand die Wirecard-Aktie seit Ende März wieder langsam in die Spur. Der Kurs stieg seitdem um rund 28 Prozent an und bewegt sich damit etwa auf dem Niveau vom Jahresbeginn.

Achterbahnfahrt der Wirecard-Aktie

Doch so ruhig wie heute stand es lange nicht mehr um Wirecard. Vor der Erholung erlebte der Titel - getrieben durch zahlreiche FT-Artikel - eine regelrechte Achterbahnfahrt (siehe Graphik). Ende Januar ging es los:

Angestellte in Singapur, darunter auch ein Top-Kader, sollen Dokumente gefälscht und Scheintransaktionen über Partnerfirmen durchgeführt haben. Alles mit dem Ziel, den erwirtschafteten Umsatz von Wirecard grösser aussehen zu lassen als er wirklich war. Mehrere Berichte der Zeitung während der ersten Februarwoche lösten ein regelrechtes Beben an der Börse aus. Der Wirecard-Titel verlor in einer Woche rund 43 Prozent an Wert.

Kursentwicklung der Wirecard-Aktie seit Jahresbeginn, Quelle: cash.ch

Bis Ende März legte die FT in regelmässigen Abständen immer wieder nach. So soll 2018 etwa die Hälfte des Wirecard-Umsatzes von ausländischen Partnerfirmen erbracht worden sein. Und: Wirecard soll nicht nur Provisionserträge sondern auch die Erträge der Partnerfirmen als eigene Erträge ausgegeben haben.

Das Erstaunliche: Der Zahlungsdienstleister schaffte es jedes Mal, mit vehementen Dementis eine Kurserholung zu erreichen. CEO Markus Braun klagte gegen die FT wegen Verleumdung und sogar die deutsche Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) stellte sich auf die Seite von Wirecard. Die Bundesanstalt hatte zwischenzeitlich in einer beispiellosen Aktion Leerverkäufe der Wirecard-Aktien verboten. 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, geschah dies das letzte und einzige Mal.  

Opfer oder Täter?

Ist Wirecard nun Opfer von Shortsellern, von denen sich die renommierte "Financial Times" einspannen liess - oder handelt es sich tatsächlich um den grössten Scam seit dem Enron-Skandal? Fakt ist, dass Wirecard ein vergleichsweise leichtes Opfer für Shortseller ist. Das komplexe Geschäftsmodell und der hohe Auslandsanteil des Geschäfts machen es vergleichsweise einfach, Falschmeldungen über das Unternehmen zu verbreiten. Nicht zuletzt trägt die wenig glamouröse Vergangenheit des Unternehmens (Geschäfte im Erotik- und Casinobusiness) zur allgemeinen Skepsis bei.

Für diejenigen, die den Betrugsvorwürfen keinen Glauben schenken, ist Wirecard eine attraktive Einstiegsmöglichkeit. Die letzten Wochen zeigten, wie die Wirecard-Aktie frei von externen Störungen an den Börsen performen kann.

Umsatz soll bis 2025 verfünffacht werden

Und wenn es nach CEO Braun geht, steht man erst am Anfang. Bis 2025 soll Wirecard einen jährlichen Umsatz von zehn Milliarden Euro erwirtschaften (2018: 2,1 Milliarden Euro) und ein Ergebnis von über 3 Milliarden Euro liefern (2018: 568 Millionen Euro). Tatsächlich bewegt sich der Zahlungsabwickler in einem wachstumsversprechenden Markt, da sind sich die Analysten einig. Der Markt für Lösungen für den elektronischen Zahlungsverkehr (E-Payment) birgt noch immer ein riesen Wachstumspotenzial.

Fakt ist allerdings auch: Sollte an den Betrugsvorwürfen auch nur ansatzweise etwas dran sein, haben Wirecard und seine Aktionäre ein grosses Problem. Zudem sollten sich Anleger bewusst sein, dass kurz- bis mittelfristig jederzeit neue Vorwürfe - ob sie denn wahr sind oder nicht - zu neuen, massiven Kurzstürzen führen könnten. Stand heute ist der Wirecard-Titel eine Wette, mit der sich kurzfristig zwar hohe Gewinne realisieren lassen. Auf lange Sicht ist aber entscheidend, ob sich Wirecard endgültig von den Vorwürfen befreien kann. Ob und wann dies der Fall sein wird, ist heute kaum vorherzusagen.