Sie befürchten einen wirtschaftlichen Schlingerkurs und eine Abkehr des Landes von einer längerfristig tragfähigen Finanzpolitik. Zudem steht aus ihrer Sicht in den Sternen, wann es überhaupt zur Bildung einer handlungsfähigen Regierung kommt, die in der Nationalversammlung auf die nötige Unterstützung bauen kann. Denn das Wahlergebnis führte im Kern zu einem gespaltenen Parlament.
Der Wahlsieger, die Nouveau Front Populaire (NFP), verfehlte die absolute Mehrheit. Und ihre Spitzenvertreter haben bereits erklärt, sie würden in einer Regierung Präsident Emmanuel Macron keine Zugeständnisse machen.
Ökonomen sehen kostenträchtige Massnahmen
«Nach den Wahlen hat sich der Schwerpunkt in der Nationalversammlung nach links verschoben», sagt Bruno Cavalier, Chefvolkswirt der deutsch-französischen Privatbank Oddo BHF. «Der linke Block befürwortet Steuererhöhungen und steht dem Problem der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gleichgültig gegenüber.» Das sei das genaue Gegenteil von allem, was Macron in den letzten sieben Jahren habe tun wollen. «Dies ist eine Gelegenheit, sich die jüngsten Erfahrungen in Erinnerung zu rufen, dass eine linke Regierung in Frankreich negative Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt hat.»
Die Commerzbank-Volkswirte Bernd Weidensteiner und Ralph Solveen weisen darauf hin, dass die NFP schon für die ersten 15 Tage nach einer Regierungsübernahme viele kostenträchtige Massnahmen wie eine Rücknahme der Rentenreform, Wohngelderhöhungen, Preisgarantien für Bauern und das Einfrieren der Preise für Energie und Nahrungsmittel in Aussicht gestellt habe. «Für die nächsten 100 Tage wurden unter anderem Steuererhöhungen für höhere Einkommen und Vermögen, eine Ausdehnung des öffentlichen Dienstes und eine Unterstützung von energetischen Massnahmen angekündigt.» Das Linksbündnis selber habe die Kosten in den ersten beiden Jahren auf insgesamt 125 Milliarden Euro geschätzt. Allerdings glauben die Experten auch, dass von diesen Forderungen eine vom Macron-Lager unterstützte Linksregierung nur wenige umsetzen könne.
Instabile politische Verhältnisse
Die Volkswirte Arnaud Marès und Michel Nies von der Citibank haben grosse Zweifel an der Verlässlichkeit der Politik einer neuen Regierung. «Politische Instabilität und politische Intransparenz bleiben unsere Grunderwartung», schreiben sie in einem Kommentar. Selbst wenn eine Koalition zustande käme, würde jeder ihrer Partner über eine potenzielle Sperrminorität verfügen. «Diese würde nicht nur jede sinnvolle politische Initiative verhindern, sondern Frankreich auch in einem ständigen Zustand der politischen Instabilität belassen, bis eine neue Parlamentswahl stattfinden kann.» Und das sei frühestens im September 2025 der Fall.
Die Investmentstrategen Mark Haefele und Claudia Panseri von der Schweizer Grossbank UBS lenken den Blick auf die französischen Staatsfinanzen. «Die Wahlen verstärkten den Fokus auf die bedenkliche Schuldenlage Frankreichs, wo sowohl die Staatsverschuldung als auch das Haushaltsdefizit immer noch erhöht sind.» Eine wichtige Frage sei, wie die französische Regierung die Forderungen der EU-Kommission im Hinblick auf das Haushaltsdefizit anpacken werde. Diese hatte Frankreich eine exzessive Neuverschuldung bescheinigt, die ein Defizitverfahren nötig mache. EU-Regularien sehen eine Obergrenze des Schuldenstands von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eines Landes sowie ein maximales Defizit von drei Prozent des BIP vor. Frankreich wies 2023 jedoch ein Defizit von 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung auf und kam auf eine Schuldenstandsquote von 110,6 Prozent des BIP.
«Mittelfristig dürfte ein nüchterner Blick auf die politische Lage in Frankreich offenlegen, dass sich die Schuldentragfähigkeit der Grande Nation in den kommenden Jahren eher weiter verschlechtern als verbessern wird», meinen die Analysten Daniel Lenz und Sophia Oertmann von der DZ Bank. Sie rechnen damit, dass deshalb am Finanzmarkt die Risikoaufschläge (Spread) für französische Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen weiter erhöht bleiben werden. Aktuell liegt der Spread für zehnjährige französische Staatsbonds bei 0,65 Prozentpunkten. Zeitweise war der Risikoaufschlag in den vergangenen Wochen auf mehr als 0,80 Prozentpunkte hochgeschnellt, was zu Unruhen am Anleihemarkt führte und Fragen nach einem möglichen Eingreifen der Europäischen Zentralbank aufkommen liess.
(Reuters)