Es ist ein weit herumgereichtes Szenario: Steigende Zinsen werden auch am Schweizer Immobilienmarkt die Preise für Wohneigentum unter Druck bringen. Als Beispiele für diese düstere Prognose müssen Schweden, Grossbritannien oder Deutschland herhalten, wo Korrekturen von bis zu 15 Prozent eine Tatsache sind.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat Mitte Dezember den Leitzins letztmals angehoben - um 0,5 Prozentpunkte auf 1 Prozent. Und die SNB dürfte in knapp drei Wochen den nächsten Zinsschritt verkünden. Eine wirkliche Trendwende am Schweizer Immobilienmarkt ist aber nicht ersichtlich.

Auch im vierten Quartal befanden sich die Preise für Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser im Aufwind, allerdings nur noch sehr moderat. Dies, obwohl die Finanzierungskosten stark angestiegen sind. Der Zinsindex für Wohnimmobilien des Vergleichsportals Hypotheke.ch ist innerhalb eines Jahres um 121 Basispunkte auf 2,56 Prozent in die Höhe geschossen. Bei einer Hypothek von 800'000 Franken liegen damit die Kosten gut 800 Franken im Monat höher.

Diese für Schweizer Eigenheimbesitzer positive Entwicklung an der Preisfront hat gute Gründe: "Die Zinsveränderung im Ausland ist viel stärker als in der Schweiz. Den Schmerz des Anstiegs haben wir noch gar nicht wirklich erlebt. Ein Schweizer Eigenheimbesitzer kann die momentanen Zinsen locker verkraften", sagt Claudio Saputelli, Leiter Immobilien und CIO Global Wealth Management bei der UBS, gegenüber cash.ch.

"Der Anstieg der Zinsen belastet aktuell bei der Kreditvergabe die finanzielle Tragbarkeit nicht massgeblich, da die zugrundeliegende Tragbarkeitsberechnung unverändert bleibt", sagt Burak Er, Head Research beim Immobilien- und Hypothekendienstleister Avobis, zu cash.ch. Bei den Wohneigentumspreisen spielten die Zinsen daher nur indirekt eine Rolle.

Grund für diese gute Ausgangslage bei den Zinsen ist so oder so die Inflation, die in der Schweiz im Gegensatz zum Ausland nicht auf über 10 Prozent gestiegen ist. Die Teuerung erreichte im Januar wegen des Anstiegs der Energiepreise zwar eine Rate von 3,3 Prozent - Saputelli aber geht davon aus, dass im Verlauf des Jahres wieder Werte im Bereich von 2 Prozent erreicht werden. Die SNB müsse daher auch in der Zukunft weniger stark intervenieren und die Zinsen nicht mehr so stark anheben. 

Verknappung beim Angebot bei gleichzeitig hoher Zuwanderung

Die Zinsen sind aber nur die halbe Wahrheit darüber, weswegen der Schweizer Immobilienmarkt so gut dasteht. "In der Schweiz herrscht eine unglaubliche Verknappung beim Angebot vor, während wir gleichzeitig ein starkes Bevölkerungswachstum haben," sagt UBS-Immobilienexperte Saputelli. Die Bautätigkeit schrumpfe trotz Bevölkerungswachstum seit vier Jahren, was das Preisgefüge unterstützt.

Bezüglich des Angebots sind steigende Zinsen sogar hinderlich, da Investoren neuerdings auch Alternativen in Anleihen finden. Dies, ein Wachstum von behördlichen Auflagen in den letzten drei Jahren und die stark gestiegenen Baukosten sind die wichtigsten Gründe der aktuell geringen Bautätigkeit. Fundamental seien Schweizer Immobilien als Anlage weiterhin eine gute Sache, so Saputelli.

Auch die Zuwanderung dürfte wegen der Stärke der Schweizer Wirtschaft weiterhin hoch bleiben und die Nachfrage stützen. Der Zuzug aus dem Ausland wuchs 2022 um 2,1 Prozent, während die Arbeitslosenquote auf ein noch nie gesehenes Niveau sank. "Es geht uns gut, so dass wir uns vor keiner Korrektur fürchten müssen", schätzt Saputelli.

Korrektur bei starkem Zinsanstieg und Wirtschaftskrise

Ist daher in der Schweiz eine Korrektur von mehr als 15 Prozent vom Tisch, wie es schwedische Immobilienbesitzer gerade am eigenen Leib erleben? "Nebst attraktiveren Alternativanlagemöglichkeiten müssten gravierende makroökonomische Schocks eintreffen, damit die Immobilienpreise in der Breite unter Druck kommen," prognostiziert Avobis-Immobilienmarktfachmann Er. Zu diesen Schocks gehörten ein weiterer Zinsanstiegszyklus, ein erheblicher Konjunktureinbruch oder ein struktureller Rückgang der Einwanderung.

"Es müsste uns weh tun. Was tut uns weh? Wenn die Zinsen noch markant steigen und wir uns in einer wirklichen Wirtschaftskrise wiederfinden", lautet auch die Prognose von UBS-Experte Saputelli. In einem solchen Szenario würde die Nachfrage zurückgehen, weil zum Beispiel die Einwanderung weniger stark wäre. 

Peter Ilg, Professor am Swiss Real Estate Institute der HWZ Zürich, sagte Anfang Februar im cash-Interview, dass nur ein Extremereignis in der Schweiz zu einem Immobiliencrash führen könne. Ansonsten bleibe die Nachfrage auch dank der Finanzstärke der "Mami-Papi-Bank" robust und stütze den Immobilienmarkt nachhaltig. 

Die aktuelle Situation am Immobilienmarkt ist daher nicht mit dem grossen Schweizer Crash in den 1990er Jahren vergleichbar. Damals mussten die Banken über 42 Milliarden Franken abschreiben. Besonders die auf die Hypothekenvergabe fokussierte Regionalbanken kamen unter die Räder. Im Oktober 1991 ging die Spar + Leihkasse Thun wegen Überschuldung gar Pleite. Immobilien in der Schweiz verloren damals 30 bis 40 Prozent ihres Wertes - wobei es starke regionale Unterschiede gab.

Verlangsamung des Preiswachstums

Saputelli zieht wegen starker Fundamentaldaten eine Korrektur am Immobilienmarkt als Szenario nicht in Betracht. "Wir erwarten vielmehr eine Verlangsamung und ein Preiswachstum von 1 Prozent 2023. Wir profitieren immer noch von der Corona-Party." Die Preise in der Schweiz seien vor dem Hintergrund der Pandemie im Durchschnitt um 5 bis 6 Prozent angestiegen, weil Leute zusätzlich Eigenheime gesucht haben.

"Im Schnitt ist jedoch mit stagnierenden Preisen und einer Seitwärts-Bewegung zu rechnen. Preisanstiege dank sinkenden Zinsen, wie es in den letzten Jahren der Fall war, sind zukünftig nicht mehr gegeben", sagt seinerseits Burak Er. Es sei aber wichtig, regulatorische Entwicklungen wie auch Marktrends genaustens zu beobachten. So könnten beispielsweise betreffend der Klimaziele des Bundes "sanierungsunfähige" Immobilien im Wert fallen. Entsprechend werde die Preisentwicklung breitgefächert sein und je nach Objektart unterschiedlich ausfallen.

Damit bleibt auch das Gespenst der Nachschusspflicht etwas für Untergangspropheten. Zur Erinnerung: Wenn der Wert der Immobilien drastisch sinkt oder sich die Einkommens- und Vermögensbedingungen verändern, müssen Schuldner die Lücke bei der Bank ausgleichen. Wer eine Hypothek von 800'000 Franken für ein Objekt im Wert von einer Million Franken aufgenommen hat, muss bei einer Wertminderung von 10 Prozent 80'000 Franken nachschiessen, damit die maximal zulässige Belehnung von 80 Prozent wieder erfüllt ist. Bei einer Korrektur von 35 Prozent wären es 280'000 Franken.

ManuelBoeck
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