Die Ironie der Szenerie schrie buchstäblich zum Himmel – in Form der Gesänge tausender Demonstranten. Die waren so ohrenbetäubend, dass die kleine Gruppe aus Führungskräften, Anwälten und Bankern, die in dem über 100 Meter hohen Büroturm aus rotem Backstein sassen, die Fenster schliessen musste, um den Lärm etwa 20 Stockwerke tiefer draussen zu halten.

Was die Demonstranten am Pfingstsonntag auf dem Potsdamer Platz nicht wussten: während sie auf Plakaten und Transparenten bezahlbaren Wohnraum und die Verstaatlichung grosser Immobilienunternehmen forderten, strickten die beiden grössten privaten Vermieter des Landes hoch über ihnen an ihrem Zusammenschluss. Geburtshilfe für ein noch grösseres Feindbild, wenige Monate vor der Bundestagswahl.

19-Milliarden-Euro-Übernahme

Vertreter von Vonovia aus Bochum und ihrer Berliner Rivalin Deutsche Wohnen verpassten dort, hoch über Berlin im Art-Deco-inspirierten Kollhoff-Tower, der 19-Milliarde-Euro-Übernahme den letzten Schliff. Das ganze Wochenende über gingen Vonovia-Chef Rolf Buch und sein Gegenpart bei der Deutsche Wohnen, Michael Zahn, diskret ein- und aus bei der dort residierenden Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer.

Anders als die Demonstranten vor der Tür musste jeder in der Lobby Covid-Schnelltests über sich ergehen lassen. Oben in den Büros sass man mit Abstand und in coronakompatiblen Kleingruppen, um den etwa 40-seitigen Fusionsvertrag rechtzeitig fertigzustellen.

Die Protestler auf der Strasse unten forderten derweil ein Ende des Mietwahnsinns und hielten den Verhandlungsparteien vor Auge, dass es hier um weit mehr ging als ein Dax-Unternehmen, welches einen Wettbewerber kauft. Die Fusion würde im Immobilienmarkt nachhallen und hatte das Potenzial, auch die Politiker zu blamieren, die der Realität explodierender Mieten in dieser einst spottbilligen Stadt ohnmächtig gegenüber stehen.

Bekannte Menge

Dieser Bericht über das Zustandekommen der bislang grössten europäische Fusion des Jahres basiert auf Gesprächen mit Personen, die den Verhandlungen nahe standen, jedoch darum baten, nicht namentlich genannt zu werden.

Einen Monat bevor Buch und Zahn den Zusammenschluss ihrer Unternehmen fertig verhandelten, hatte der Berliner Bürgermeister Michael Müller ein Treffen auf Vorstandsebene mit Immobilienunternehmen wie Vonovia und der Deutschen Wohnen organisiert - den Runden Tisch zum Mietendeckel.

Müller hatte zwei Wochen zuvor eine politische Niederlage erlitten, als das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel, eine Initiative seiner Regierung, gekippt hatte. Die Proteste gegen steigende Wohnkosten in der Stadt, die berüchtigt ist für ihre Hausbesetzerszene, wurden derweil immer lauter und Müller wollte Antworten von den Unternehmen, die in der Öffentlichkeit zunehmend zum Gesicht für den rasanten Anstieg der Mieten wurden.

Buch und Zahn erkannten, dass sie handeln mussten, um politischem Druck entgegenzuwirken. Beide Unternehmen haben in Berlin die gleichen Probleme und man kennt sich: In den letzten fünf Jahren waren bereits diverse Versuche für einen Zusammenschluss unternommen worden - und gescheitert.

Geheimes Treffen

Ein für Müller attraktives Zugeständnis war das Ergebnis: Bei einem geheimen Treffen bot Buch dem Bürgermeister an, rund 20'000 Wohnungen an seine Berliner Regierung zu verkaufen, 13'000 neu zu bauen und Mietsteigerungen zu begrenzen, um die Politik gewogen zu stimmen. Müller wurde etwas Greifbares geboten, was seine SPD-Linke-Grünen-Koalition als Trophäe verkaufen konnte.

Buch und Zahn konnten sich auf die Grundstruktur ihres ehrgeizigen Projekts einigen, bevor es an die Öffentlichkeit drang. Bloomberg News berichtete am Nachmittag des 24. Mai über die Pläne, am späten Pfingstmontag wurde die geplante Transaktion bestätigt.

In dieser Nacht versammelte sich ein kleiner Kreis von Beratern auf dem Dach des Büroturms, der einen weiten Blick nicht nur über Plattenbauten aus DDR-Zeiten im Osten der Stadt bietet, sondern auch auf den riesigen Mercedes-Stern über den Einkaufsstrassen als Synomym des Westens. Jemand organisierte ein paar Flaschen Augustiner Helles und Berliner Pilsner, um den Deal zu feiern.

Unten am Potsdamer Platz, bis zur Wiedervereinigung ein Schauplatz des Kalten Krieges mit Minen und Stacheldraht, hatten die Demonstranten längst das Feld geräumt. Nur einige liegengebliebene Schilder lagen auf der Strasse, die Reste des jüngsten Kampfes am deutschen Immobilienmarkt.

(Bloomberg)