Die Gefahr einer Wohnungsnot ist zum Politikum geworden. Wie gross ist der Mangel an freien Wohnungen tatsächlich?
Marc Balsiger: Auch wir verzeichnen in unserem Portfolio einen stetigen Rückgang der Leerstandsquote. Verschiedene ökonomische Erhebungen bestätigen diesen Trend schweizweit. Generell liegt die erwartete Bautätigkeit für neuen Wohnraum deutlich unter dem prognostizierten Einwanderungssaldo, und die Bevölkerung lebt auf immer mehr Wohnfläche.
Noch vor einigen Jahren standen Zehntausende von Wohnungen leer. Wieso hat sich die Situation so schnell geändert?
Diese Entwicklung besteht nicht erst seit kurzem. Allerdings dürfte die gestiegene Medienpräsenz dieses Themas auch auf die nationalen Wahlen im kommenden Herbst zurückzuführen sein. Die Versuchung ist bei beiden politischen Polen gross, das Thema einseitig auszuschlachten.
Und wie lässt sich dieser Engpass entschärfen?
Eigentlich hätte die Revision des Raumplanungsgesetzes die Zersiedelung begrenzen und das Wachstum vornehmlich auf die urbanen Zentren beschränken sollen. Doch die heutigen rechtlichen und administrativen Bedingungen, in Verdichtung zu investieren, sind für Investoren zu wenig attraktiv.
Um die Gefahr einer akuten Wohnungsnot schnellstmöglich zu senken, müssen die Gesetze unbedingt angepasst werden.
Ihr Unternehmen lässt ukrainische Flüchtlinge vorübergehend in Wohnungen leben, die bald saniert werden. Wird es für die über 70'000 ukrainischen Flüchtlinge herausfordernd, in der Schweiz eine eigene Adresse zu finden?
Allerdings – angesichts der sich verschärfenden Wohnungsknappheit wird es für ukrainische Flüchtlinge immer schwieriger, geeignete Wohnungen zu finden. Wir bemühen uns, vorübergehende oder dauerhafte Wohnlösungen für sie zu finden. Unsere Kundinnen und Kunden zeigen sich dabei sehr solidarisch.
Die Zinserhöhungen verteuern die Finanzierung des Immobilienkaufs. Rechnen Sie deshalb mit deutlich sinkenden Preisen für Wohneigentum?
Auch wir spüren seit der Zinswende einen starken Rückgang der Nachfrage nach Wohneigentum. Das Preiswachstum wird voraussichtlich stark abflauen. Sinken dürften die Preise aber erst mittelfristig, denn es besteht aufgrund der geringen Bautätigkeit weiterhin eine starke Knappheit an Wohneigentum.
Einfamilienhäuser gehören mehrheitlich den älteren Generationen – und die sind nun im Begriff, ihre Immobilien an die Nachkommen weiterzugeben. Was sind die drei wichtigsten Knackpunkte beim Vererben?
Im Allgemeinen empfiehlt es sich, die Regelung der Vererbung möglichst frühzeitig anzugehen. Dabei sollten alle Nachkommen in die Diskussion einbezogen werden, und die Übertragung sollte zu Lebzeiten im gegenseitigen Einvernehmen aller Parteien erfolgen. Häufig bietet es sich an, der abtretenden Generation Wohnrechte oder Nutzniessungen einzuräumen.
Mieten oder kaufen – die Antwort zu dieser beliebten Frage lautet je nach Region unterschiedlich. Sie sind im Grossraum Bern tätig – rechnet es sich hier, in Wohneigentum zu investieren, oder gibt man das Geld lieber für Mietwohnungen aus?
Aus rein ökonomischer Sicht ist es aktuell günstiger, zu mieten – das zeigt sich bei der Betrachtung der Kaufpreise und den damit verbundenen Ausgaben für Hypothekarzinsen sowie Unterhaltskosten. Allerdings gibt es keine Regel ohne Ausnahme. Jedes einzelne Objekt und jede Vermögenssituation sollte separat analysiert werden.
Lademöglichkeiten für E-Autos sind zunehmend gefragt. Wie stark beschäftigt Sie das Thema als Vermarkter und Vermieter von Liegenschaften?
Die steigende Nachfrage nach Lademöglichkeiten ist bei uns spürbar. Bei Neubauten achten wir deshalb darauf, dass Einstellhallen über eine genügend hohe Stromzufuhr und ein Lastenmanagementsystem verfügen. Die einzelnen Parkplätze sollten die Grundinstallation fürs Laden aufweisen.
Bestehende Einstellhallen fürs Laden umzurüsten, ist deutlich schwieriger und häufig auch deutlich teurer als erwartet. Entscheidende Faktoren sind dabei die Eigentumsverhältnisse und die Stromzufuhr.
Wir haben in unserem Unternehmen eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Baufachleuten, Immobilienbewirtschaftern und Finanzfachleuten gebildet, um den Herausforderungen gerecht zu werden.
Marc Balsiger beantwortete die Fragen schriftlich.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Handelszeitung.ch, unter dem Titel: «Wohnungen für ukrainische Flüchtlinge zu finden, wird schwieriger».
2 Kommentare
In der Schweiz hat es noch eine Menge Platz für Flüchtlinge, es muss nur mehr gebaut werden.
Nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Menschen müssen mehr Wohnungen und Häuser entstehen.
Zumindest das Ladestationsproblem könnte man billig lösen, ein Anschluss mit 1.8kW mit einfachem Zähler dürfte meist reichen und kostet fast nichts. Somit können viele Autos am normalen Anschluss laden. Autos sind Standware und die 30km die im Schnitt pro Tag gefahren werden kann man damit in 2-3h nachladen, die Nacht dauert länger. Die Lader mit 11kW oder meist sinnlosen 22kW (viele eAutos können AC nur 11kW) sind Luxus, der einfach gerne verkauft wird.