Ein Jahr nach dem Ende der Credit Suisse rätselt die Schweiz immer noch, wie sie ein weiteres solches Debakel verhindern kann. An der Antwort hängt viel. Denn in kaum einem anderen Land hat ein einzelnes Institut so grosses Gewicht wie in der Schweiz die UBS, die damals die Credit Suisse in einer Notübernahme schluckte. Am 19. März 2023 wurde die Rettungsaktion verkündet. Doch falls der entstandene Bankenkoloss ebenfalls einmal in Wanken geraten sollte, wäre das eine Gefahr für das ganze Land. Zwar ist das derzeit ein rein hypothetisches Szenario, da die UBS mit einem Rekordgewinn und ihrem Eigenkapitalpolster gut dasteht.

Doch das Restrisiko treibt Fachleute und Politiker um. Während Bankenvertreter kleinere Anpassungen des gesetzlichen Regelwerks für ausreichend halten, werfen Kritiker die Frage auf, ob sich die Schweiz ein Institut wie die UBS überhaupt leisten kann. «Wir haben das Problem nur kurzfristig gelöst. Was wir getan haben, schafft die Voraussetzungen für ein viel grösseres Problem in der Zukunft», sagt der Genfer Wirtschaftsprofessor Cédric Tille. «Die UBS ist zu gross geworden, um sie zu retten.»

Als die Credit Suisse ins Taumeln geriet, hatte die Regierung drei realistische Optionen: Eine Abspaltung der für das Land zentralen Teile, eine Verstaatlichung - oder eine Übernahme durch die UBS. Die Regierung entschied sich vor einem Jahr für die dritte Variante und leitete damit die weltweit grösste Bankenübernahme seit der Finanzkrise von 2008 ein.

Doch diese Option stünde bei einer möglichen Krise der UBS nicht mehr zur Verfügung, da sie die letzte Schweizer Grossbank ist. Als unwahrscheinlich gilt, dass ein ausländisches Geldhaus innerhalb weniger Tage bereit wäre, einen solch riskanten Deal zu stemmen. Weitgehende Einigkeit herrscht in der Schweiz, dass die Behörden alles unternehmen sollten, um eine Verstaatlichung zu vermeiden. Zu gross wären die Risiken. Bliebe eine geordnete Abwicklung, die weltweit noch kein Land mit einem Institut dieser Grösse gewagt hat. «Die nächste Krise wird kommen», sagt ein hochrangiger Kenner der Materie. «Es ist essenziell, dass die Politik das Vertrauen hat, dass so eine Abwicklung möglich ist.»

«Banken sind enorm verwundbar»

Auch dafür sind weitere Vorbereitungen notwendig. «Traditionelle Bankenmodelle sind digitalen Bankenstürmen gegenüber enorm verwundbar», erklärt der Experte. Das klassische Geschäftsmodell der Banken besteht darin, Kundengelder entgegenzunehmen und in Form von Hypotheken oder anderen Krediten weiterzureichen. Während die Kredite oft Laufzeiten von Jahren haben, können jedoch viele Einlagen über Nacht abgehoben werden. Dies wurde der Credit Suisse zum Verhängnis. Denn sie hatte nicht genügend Sicherheiten, um neue Liquidität zu beschaffen und den Kunden ihr Geld zurückzuzahlen. Daraufhin sprang die Schweizerische Nationalbank (SNB) ein, gestützt auf Notrecht.

Die Banken wollen Insidern zufolge einen grösseren Teil der Aktiva in ihren Bilanzen so aufstellen, dass sie als Sicherheiten eingesetzt werden können, um am Finanzmarkt oder von der SNB bei einem Engpass mehr flüssige Mittel beziehen zu können. Dafür muss auch die SNB grünes Licht geben. Letztes Jahr empfahl eine Gruppe von Bankenexperten der SNB, die Palette der Sicherheiten zu erweitern und neben Hypotheken auch Unternehmens- und Lombardkredite zu akzeptieren.

Gleichzeitig versuchen Banken, Kundengelder länger zu binden. Anstelle von Einlagen, die über Nacht abgezogen werden können, sollen die Kunden einen grösseren Teil ihrer Vermögen drei, sechs oder neun Monate festlegen. Im Gegenzug erhalten sie einen höheren Zinssatz. Mit dem Rückenwind der Zinswende haben die Banken hier bereits Fortschritte gemacht.

«Wir brauchen keine globalen Grossbanken»

Viel Zustimmung erhält auch der Vorschlag, die Kompetenzen der Finanzmarktaufsicht Finma zu erweitern, damit sie rascher und entschlossener eingreifen kann. Alle diese Massnahmen sind vergleichsweise schmerzfrei für die Institute. Ganz anders ist das mit dem Eigenkapital. Ziel müsse es sein, die Widerstandsfähigkeit der Banken zu erhöhen, erklärte der Berner Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti in einem Referat. «Und das macht man über zusätzliche Kapitalanforderungen.» Wenn es nach ihm ginge, müsste das Eigenkapital 20 Prozent der Bilanzsumme erreichen. 2023 kam die UBS auf 4,7 Prozent. Die Grossbank spricht sich selbst gegen wesentlich moderatere Erhöhungen aus, weil ihre Profitabilität damit unter Druck käme. Zudem vertritt sie die Einschätzung, dass mehr Kapital den Untergang der CS nur verzögert, aber nicht verhindert hätte.

Im Frühjahr will die Schweizer Regierung Regeländerungen präsentieren, die sicherstellen sollen, dass sie einer strauchelnden systemrelevanten Bank in Zukunft nicht wieder unter die Arme greifen muss. Eine wesentliche Verschärfung der Kapitalanforderungen gilt dabei als unwahrscheinlich. Auch Brunetti hält sie für politisch kaum durchsetzbar, weil die Bank dann mit dem Wegzug drohen könnte. Für Brunetti, der als früherer Spitzenbeamter einer der Architekten der aktuellen Bankenregulierung war, ist es wichtiger, die Steuerzahler nicht einem solchen Risiko auszusetzen, als den Hauptsitz der Bank in der Schweiz zu behalten. «Es ist schön, wenn wir globale Grossbanken haben, aber wir brauchen sie nicht.»

(Reuters)