Auf die erwerbstätige Bevölkerung hochgerechnet existierten zum Erhebungszeitpunkt somit für rund 1,1 Millionen Angestellte in der Schweiz mehr belastende als entlastende Faktoren. Damit liegt die Schweiz elf Prozent unter dem europäischen Durchschnitt, wie das Seco an der Studienpräsentation am Dienstag in Bern mitteilte.

In der Schweiz berichteten denn auch weniger Angestellte über Belastungen des Bewegungsapparates als in Europa. Nichtsdestotrotz sah sich mit 55 Prozent der Befragten diesbezüglich insgesamt eine Mehrheit der Schweizer Angestellten belastet.

59 Prozent der Befragten in der Schweiz sahen zudem ihr Arbeitstempo als hoch an. Ein um zehn Prozentpunkte höherer Wert als bei den restlichen europäischen Arbeitnehmenden. Auch den Termindruck nahmen hiesige Angestellte stärker wahr als im restlichen Europa.

Die Gewerkschaft Unia reagierte in einer Mitteilung auf die Veröffentlichung der Studie und forderte die Arbeitgeber in der Schweiz dazu auf, mit Blick auf Stress sowie physische und psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz Verantwortung gegenüber den Beschäftigten zu übernehmen.

Schweizer arbeiten mehr in der Freizeit

Laut der Studie arbeiten Schweizerinnen und Schweizer offenbar auch häufiger in der Freizeit, um die Arbeitsanforderungen zu erfüllen. Hier ergab sich für die Befragten aus der Schweiz mit 36 Prozent ein um sieben Prozentpunkte höherer Wert als im restlichen Europa.

"Der Schweizer Arbeitsmarkt ist auf verschiedenen Dimensionen sehr herausfordernd, aber auch sehr produktiv, sodass gewisse Belastungen auftreten", sagte Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco.

Trotz der guten Ausgangslage habe die Schweiz besondere Herausforderungen im Bereich des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zu bewältigen, hiess es beim Seco. Eine Mehrbelastung ("job strain") hat laut Seco Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Arbeitnehmenden.

Mit Bezug auf den Gesundheitszustand sind Schweizer Angestellte im europäischen Vergleich offenbar bessergestellt: So war der Anteil Angestellter mit Gesundheitsbeschwerden wie Muskelschmerzen in den Schultern, Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen mit 37 Prozent in der Schweiz kleiner als in Europa, wo 46 Prozent der Angestellten drei oder mehr Gesundheitsbeschwerden angeben.

Autonomie auf hohem Niveau

Den Unterschied zum restlichen Europa machten laut Seco in der Schweiz drei entlastende Faktoren in den Bereichen Beteiligung und Mitsprache: Die Anteile der Erwerbstätigen in der Schweiz waren in allen Bereichen höher als im europäischen Mittel. Auch konnten mehr Erwerbstätige in der Schweiz ihre Meinung kundtun, bevor ihre Ziele festgelegt wurden sowie Entscheidungen, die für ihre Arbeit wichtig waren, beeinflussen.

"Die Flexibilität, die Autonomie der Arbeitnehmenden ist in der Schweiz auf einem hohen Niveau adäquat, sodass die Arbeitnehmenden hier besser damit umgehen können als in anderen Ländern", sagte Direktionsleiter Zürcher während der Präsentation.

Positiv bewerteten sodann 59 Prozent der Schweizer Angestellten ihre Karrierechancen, ihre Entscheidungsfreiheit (57 Prozent), die Mitsprache am Arbeitsplatz (65 Prozent) und die Unterstützung durch Vorgesetzte. Diese Werte waren laut der Studie allesamt höher als in Europa. Der Blick über die Grenzen zeigte, dass der Anteil Erwerbstätiger, die wichtige Entscheidungen beeinflussen können, in den deutschsprachigen Ländern jedoch über dem Schweizer Durchschnitt liegt.

Das Seco und die Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit nahmen zum dritten Mal an der Europäischen Erhebung über Arbeitsbedingungen (EWCTS) teil. Sie untersucht die Qualität der Arbeitsbedingungen anhand des Verhältnisses von Belastungen und Entlastungen.

In der Schweiz wurden 1224 Erwerbstätige von Januar bis November 2021 befragt. Insgesamt wurden für die Studie mehr als 71'000 Erwerbstätige aus 35 europäischen Ländern befragt. Vergleiche mit den früheren Erhebungen von 2005 und 2015 sind laut Seco nicht möglich, da die Art der Befragung der Angestellten wegen der Covid-19-Pandemie geändert werden musste.

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