Was ist neu?
Volk und Stände haben an der Urne nicht die Streichung des Eigenmietwerts beschlossen, sondern über einen Verfassungsartikel abgestimmt, der den Kantonen die Möglichkeit gibt, eine neue Sondersteuer auf Zweitwohnungen einzuführen. Ob und wie sie das nun umsetzen, entscheiden sie selbst. Die neue Steuer soll vor allem Kantonen mit vielen Ferienwohnungen helfen, mit der Abschaffung des Eigenmietwerts wegfallende Einnahmen zu kompensieren. Das Parlament hat diese Möglichkeit zur Voraussetzung dafür gemacht, dass der Eigenmietwert abgeschafft werden kann, indem es die beiden Vorhaben miteinander verknüpft hat. Mit dem Ja vom Sonntag wird die neue Steuer möglich. Sicher ist hingegen, dass der Eigenmietwert abgeschafft wird.
Was ist der Eigenmietwert?
Wer im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung lebt beziehungsweise eine meist selbstgenutzte Zweitwohnung hat, muss heute noch den Eigenmietwert der Liegenschaft versteuern. Konkret ist das das Einkommen, das mit der Vermietung der Liegenschaft erzielt werden könnte, aber nicht erzielt wird.
Im Gegenzug dürfen Hausbesitzer Zinskosten für Hypotheken von den Steuern abziehen und ebenso die Kosten für den Wert der Immobilie erhaltende Unterhaltsarbeiten. In steuerlicher Hinsicht lohnt es sich heute also nicht nur, sein Haus in Schuss zu halten, sondern auch Hypotheken auf der Liegenschaft nur langsam zu tilgen. Festgelegt wird der Eigenmietwert vom Standortkanton.
Wann fällt der Eigenmietwert?
Das Datum ist noch offen, frühestens 2028 könnte es soweit sein. Das Finanzdepartement werde nun die Finanzdirektorenkonferenz der Kantone konsultieren, sagte Finanzministerin und Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter nach der Abstimmung. Danach werde ein Entscheid gefällt. Die Kantone sollten genügend Zeit erhalten, um sich auf die Umstellung vorzubereiten.
Gibt es noch Schuldzins-Abzüge?
Nur noch in bestimmten Fällen, denn fast alle Schuldzinsabzüge fallen mit dem Eigenmietwert. Doch wer zum ersten Mal eigene vier Wände erwirbt, kann während zehn Jahren Schuldzinsen abziehen. Abgezogen werden können Schuldzinsen auch künftig für von Privaten vermietete oder verpachtete Liegenschaften. Dabei spielt allerdings das Gesamtvermögen der Besitzerin oder des Besitzers eine Rolle.
Bleiben die Unterhaltsabzüge?
Nein. Die Steuerabzüge für Unterhaltsarbeiten an der eigenen Liegenschaft und auf Bundesebene auch für energetische Sanierungen und Massnahmen für den Umweltschutz werden mit dem Eigenmietwert gestrichen. Zulässig bleiben bei der Bundessteuer Abzüge nur noch für denkmalpflegerische Arbeiten. Auf Kantonsebene hingegen blieben Abzüge für Energiespar- und Umweltschutzmassnahmen möglich, längstens bis 2050. Darüber entscheiden aber die Kantone.
Was sind die finanziellen Folgen?
Ob die Streichung des Eigenmietwerts zu Verlusten oder zu Gewinnen für die öffentliche Hand führt, lässt sich nicht ohne Weiteres abschätzen. Denn dafür massgebend ist die Höhe der Hypothekarzinsen. Beim derzeitigen Niveau - 1,5 Prozent - werden die Mindereinnahmen für Bund, Kantone und Gemeinden auf rund 1,8 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt, wie der Bundesrat schrieb. Steigt das Niveau der Hypothekarzinsen hingegen auf über 3 Prozent, dürfte die öffentliche Hand mehr einnehmen als heute, da die Schuldzinsen mit dem Fall des Eigenmietwerts nicht mehr abgezogen werden können.
Ab 2029 hat der Bund wegen des Wegfalls des Eigenmietwerts in der Finanzplanung Mindereinnahmen von 400 Millionen Franken aufgenommen. Wie viel die neue Steuer auf Zweitliegenschaften den Kantonen einbringt, ist offen. Denn die Einführung dieser Steuer ist Sache der Kantone.
Was ändert sich für die Verwaltungen?
Unter dem Strich wird es ohne Eigenmietwert für Verwaltungen und auch für die Steuerpflichtigen einfacher. Schätzungen zum Mietwert der Liegenschaften entfallen ebenso wie das Einsenden von Belegen für Reparaturen und Renovationen und Kontrollen durch die Steuerverwaltungen. Zusätzlicher Aufwand könnte entstehen wegen Liegenschaften, die teilweise selbst genutzt und teilweise vermietet oder verpachtet werden. Auch die neue Steuer auf Ferienwohnungen kann bei den Kantonen Aufwand verursachen.
Wer hat gewonnen und wer verloren?
Abstimmungsgewinner sind neben Bundesrat und Parlament der Hauseigentümerverband (HEV), die SVP, die FDP und die Mitte-Partei. Die GLP hatte Stimmfreigabe beschlossen. Auch der Gewerbeverband und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hatten ein Ja empfohlen.
Abgelehnt worden war die Vorlage von der Konferenz der Kantonsregierungen, den Gebirgskantonen, von SP und Grünen sowie einigen bürgerlichen Parlamentsmitgliedern. Auf der Nein-Seite standen zudem Branchenverbände wie zum Beispiel Bauenschweiz und Swisscleantech, der Mieterinnen- und Mieterverband und der Gemeindeverband.
Was sagen die Gewinner?
Eine systemfremde, ungerechte und international einzigartige «Geistersteuer» sei beseitigt, reagierte der Hauseigentümerverband (HEV) auf das Ja. Die Vorlage sei Ergebnis eines langen, sorgfältigen Prozesses. Die Stimmbevölkerung sende ein starkes Signal aus für Steuergerechtigkeit, Eigenverantwortung und selbstgenutztes Wohneigentum.
Die bürgerlichen Parteien zeigten sich durchwegs erfreut und sahen sich am Ziel langjähriger Bemühungen. Die SVP schrieb von einer Entlastung des Mittelstands. Der Kauf von Wohneigentum werde erschwinglicher. Eigentlich sei allein schon die Existenz der Steuer unvorstellbar gewesen. Gegen die Wohnungsnot empfahl die SVP die Beschränkung der Zuwanderung.
Die FDP hielt fest, der Souverän habe ein langjähriges Parteianliegen erfüllt. Eine Benachteiligung falle. Die Steuer auf fiktives Einkommen sei besonders für Familien und Pensionierte schwer zu tragen gewesen, schrieb die Mitte.
Was sagen die Verlierer?
Der Mieterinnen- und Mieterverband wirbt nach dem Ja für die Mietpreis-Initiative. Diese unterstützte auch die SP und forderte dringende politische Massnahmen gegen Wohnungsnot und überrissene Renditen. Die SP warnt vor in vielen Kantonen angekündigten Steuererhöhungen.
Die Abschaffung des Eigenmietwerts kille den Klimaschutz, reagierten die Grünen. Für sie kommt die vom Bundesrat im Entlastungspaket 2027 geplante Streichung des Gebäudeprogramms nicht mehr in Frage. Stattdessen brauche es beträchtliche Investitionen in den Klimaschutz, wie sie die Klimafonds-Initiative vorsehe.
Die gewerbliche Nein-Allianz kritisierte, dass mit dem Wegfall der abzugsfähigen Sanierungskosten die Planungssicherheit für die Bauwirtschaft sinke. Der Arbeitnehmer-Dachverband Travail Suisse warnte vor zunehmender Schwarzarbeit wegen wegfallender Steuerabzüge.
Was kosteten die Kampagnen?
Die Befürworter der Abschaffung des Eigenmietwerts hielten viel Geld bereit für ihre erfolgreiche Abstimmungskampagne. Insgesamt 7,08 Millionen Franken wollte das Ja-Komitee für den Abstimmungskampf springen lassen. Das zeigen Zahlen der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK). Das allermeiste Geld stammte vom Hauseigentümerverband Schweiz und seinen Kantonalsektionen. Daneben stellte der Schweizerische Verband der Immobilienwirtschaft (Svit) finanzielle Mittel zur Verfügung.
Die Gegenseite war mit budgetierten Ausgaben von 460'000 Franken auch finanziell deutlich unterlegen. In die Nein-Kampagne investierten namentlich die SP Schweiz sowie der Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz (Aeesuisse).
Wie war das Abstimmungsresultat?
Die Vorlage fand deutlich mehr Zustimmung, als es die Umfragen hätten erwarten lassen. 57,7 Prozent oder rund 1'579'300 Stimmende legten nach Angaben der Kantone und des Bundesamtes für Statistik ein Ja ein und gegen 1'156'600 ein Nein. Die Stimmbeteiligung lag bei 49,5 Prozent.
Das wegen der Verfassungsänderung für die neue Steuer auf Zweitwohnungen nötige Ständemehr war nie in Gefahr: In 19 Kantonen wurde die Vorlage angenommen, in 7 abgelehnt. Dabei zeigte sich der Röstigraben selten deutlich - alle sechs Westschweizer Kantone und Basel-Stadt lehnten die Vorlage ab. Die höchsten Ja-Anteile hatten mit 75 beziehungsweise 73 Prozent Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden. Das deutlichste Nein kam aus Genf mit rund 66 Prozent und aus der Waadt mit knapp 64 Prozent.
(AWP)