Kuleba argumentierte mit Blick auf den gewünschten Start der Beitrittsverhandlungen mit der EU, dass sein Land einen Grossteil der zuletzt noch ausstehenden Verpflichtungen erfüllt habe. «Von den vier Gesetzen, deren Einführung die EU-Kommission bis März von der Ukraine gefordert hat, sind drei vom Parlament angenommen und vom Präsidenten unterzeichnet worden», erklärte er. Dazu gehörten neben Gesetzen zur Korruptionsbekämpfung auch die von Ungarn geforderten Regeln zur Bildung und zum Gebrauch der Sprachen nationaler Minderheiten.
Als einzigen noch offenen Punkt nannte Kuleba die Verabschiedung eines Gesetzes zur Eindämmung des Einflusses von Lobbyisten. Es sei aber auch bereits im Parlament registriert und werde ebenfalls angenommen werden.
Als Gegenleistung erwarte die Ukraine nun, dass beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag wie von der EU-Kommission vorgeschlagen eine positive Entscheidung zum Start von Beitrittsverhandlungen getroffen werde, sagte Kuleba.
Als Hintergrund der Worte Kulebas gelten insbesondere Blockadedrohungen aus Budapest. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hatte jüngst in einem Brief an EU-Ratspräsident Charles Michel geschrieben, die Erwartungen, dass bei dem Spitzentreffen in Brüssel über den Start von EU-Beitrittsverhandlungen entschieden werden könne, seien unbegründet. Orban argumentiert, dass der Vorschlag der EU-Kommission für den Start von Beitrittsverhandlungen nicht vereinbar mit einem Gipfelbeschluss aus dem Juni 2022 sei.
Er spielte damit darauf an, dass die Brüsseler Behörde den Start ungeachtet von noch nicht ganz erfüllten Reformauflagen empfiehlt. In dem Gipfelbeschluss steht aber, über weitere Schritte im Beitrittsprozess solle erst entschieden werden, wenn «alle diese Bedingungen vollständig erfüllt sind». Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Start von EU-Beitrittsverhandlungen vor allem ein symbolischer Schritt wäre, da die Gespräche viele Jahre dauern dürften und ein Beitritt der Ukraine vor einem Ende des russischen Angriffskriegs als ausgeschlossen gilt.
Unklar blieb zuletzt, ob Orban mit dem Brief nur den Druck erhöhen will, um an eingefrorene EU-Fördermittel für sein Land zu kommen. Manche EU-Diplomaten halten dies für denkbar, andere verweisen darauf, dass Orban zuletzt behauptet hat, auch nach einer Freigabe von Geldern beim Thema Ukraine nicht klein beigeben zu wollen.
Ob Gelder für Ungarn freigegeben werden können, wird derzeit von der EU-Kommission geprüft. Die Brüsseler Behörde hatte vor rund einem Jahr angekündigt, dies erst zu tun, wenn die rechtsnationale Regierung von Orban Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit komplett umsetzt. Orban ist der Ansicht, dass sein Land alle Auflagen erfüllt hat.
Am Rande eines Argentinien-Besuchs sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich mit Orban über den angestrebten EU-Beitritt seines Landes. Selenskyj sagte in seiner allabendlichen Videoansprache, dass er so «offen wie möglich» mit dem ungarischen Präsidenten gesprochen habe. In ukrainischen Medien war die Rede von einem «emotionalen Gespräch». Selenskyj war wie Orban zur Amtseinführung des neuen argentinischen Staatschefs Javier Milei nach Buenos Aires gereist. Am Dienstag wird Selenskyj von US-Präsident Joe Biden in Washington erwartet.
Litauens Aussenminister Gabrielius Landsbergis äusserte sich am Montag empört über die Blockadedrohungen aus Budapest. «Ich kann die ungarische Position (...) nur so verstehen, dass sie gegen Europa sind und gegen alles, wofür Europa steht», sagte er. Wenn sich das Land durchsetze, könnten «dunkle Zeiten» vor der EU liegen. Auch der Aussenminister Estlands, Margus Tsahkna, äusserte Unverständnis: «Ich sehe keinen Grund für eine Blockade», sagte er./aha/DP/ngu
(AWP)