«Wir stehen am Rand der Klippe und müssen uns von dort wegbewegen», sagte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell am Montag. «Wir müssen auf die Bremse treten und den Rückwärtsgang einlegen.» Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Rande seines China-Besuchs, auch Israel müsse jetzt zur Deeskalation beitragen. Ähnlich äusserten sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Aussenminister David Cameron.

US-Präsident Joe Biden hatte nach Angaben aus Kreisen der Regierung dem israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bereits am Sonntag deutlich gemacht, dass die USA einen Angriff auf den Iran nicht unterstützen würden. Das israelische Kriegskabinett sollte am Montagnachmittag erneut über das weitere Vorgehen beraten.

Das Gremium, dem neben Netanjahu auch Verteidigungsminister Joaw Gallant, Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz und mehrere Berater angehören, hatte bereits am Sonntagabend beraten. Dabei war man sich einig, auf Irans Angriffe zu reagieren. Der Zeitpunkt und die Intensität würden aber noch diskutiert.

Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief alle Seiten zu äusserster Zurückhaltung auf. Er verurteilte Irans Vorgehen und warnte vor einer weiteren Eskalation. «Der Nahe Osten steht am Abgrund», sagte Guterres bei der Sitzung des Sicherheitsrates in New York. «Die Menschen in der Region sind mit der realen Gefahr eines verheerenden umfassenden Konflikts konfrontiert. Jetzt ist es an der Zeit, die Lage zu entschärfen und zu deeskalieren.»

Scholz: «Schlimme Eskalation»

In der Nacht zum Sonntag feuerte die Islamische Republik mehr als 300 Drohnen und Raketen in Richtung Israel ab, die nach israelischen Angaben zu 99 Prozent abgefangen wurden. Regierungsvertreter aus der Türkei, dem Irak und Jordanien erklärten, der Iran habe seinen Angriff bereits Tage vorher angekündigt. Dem widersprachen die USA.

Scholz mahnte Iran und Israel, nicht weiter zu einer Eskalation im Nahen Osten beizutragen. Dem Iran warf der Kanzler vor, eine «schlimme Eskalation» durch seine Aggression ausgelöst zu haben. Scholz fügte hinzu: Es sei beeindruckend, wie Israel und die internationalen Partner die Angriffe abgewehrt hätten. «Das ist ein Erfolg, der vielleicht nicht verschenkt werden sollte. Deshalb auch unser Ratschlag, selbst zur Deeskalation beizutragen.»

Auch Cameron betonte mit Blick auf Iran: «Der Angriff war ein fast völliger Fehlschlag, und sie haben der Welt gezeigt, dass sie der bösartige Einfluss in der Region sind, der zu so etwas bereit ist. Deshalb hoffen wir, dass es keine Vergeltungsmassnahmen geben wird.» 

Die deutsche Regierung bestellte am Montag den iranischen Botschafter in Berlin wegen der Angriffe auf Israel ein. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock sprach sich am Sonntagabend für weitere EU-Sanktionen gegen den Iran aus.

Sie verwies darauf, dass es bereits EU-Sanktionen gegen das Mullah-Regime wegen der Lieferung von Drohnen an Russland gebe. «Ich werbe intensiv dafür, dass wir die ausweiten mit Blick auf den Iran», sagte Baerbock. «Wir sehen, wie gefährlich sein Agieren ist.» Für Dienstag ist ein virtuelles Treffen der EU-Aussenministerinnen und Aussenminister geplant.

Grossbritannien erwägt weitere Sanktionen

Auch Grossbritannien erwägt weitere Sanktionen gegen die Islamische Republik. Auf die Frage, ob die Regierung weitere Strafmassnahmen in Betracht ziehe, sagte Aussenminister Cameron: «Ja, absolut.» Grossbritannien habe bereits 400 Sanktionen gegen den Iran verhängt und Ende vorigen Jahres ein neues Sanktionssystem eingeführt, das sich als sehr wirksam erweise. Auch die iranische Revolutionsgarde sei mit Sanktionen belegt worden. «Wir werden weiterhin prüfen, welche weiteren Schritte wir unternehmen können», sagt Cameron. Dazu gehöre auch ein Verbot der Revolutionsgarde in Grossbritannien.

Russland rief alle Länder in der Region zur Zurückhaltung auf. Man sei sehr besorgt wegen der Eskalation der Spannungen im Nahen Osten, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Eine weitere Eskalation liege in niemandes Interesse. Die Regierung in Moskau sei der Ansicht, dass alle Meinungsverschiedenheiten mit politischen und diplomatischen Mitteln beigelegt werden sollten.

Russland hat seinen Verbündeten Iran nicht offen für den Angriff auf Israel kritisiert. Stattdessen hatte die Regierung am Sonntag darauf verwiesen, dass der Iran von einem Recht auf Selbstverteidigung nach dem Israel zugeschriebenen Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus gesprochen habe.

(Reuters)