Nach dem Rückzug von US-Präsident Joe Biden stellen sich immer mehr Parteifreunde und Geldgeber hinter die 59-Jährige. Doch wie positioniert sie sich in der Aussenpolitik? Es wird erwartet, dass Harris sich in zentralen Themen wie der Ukraine, China und dem Iran weitgehend an Bidens aussenpolitisches Drehbuch hält. Gegenüber Israel könnte sie bezüglich des Gazakrieges jedoch einen härteren Ton anschlagen.
Gerade in der Aussenpolitik gibt es eine grosse Schwachstelle: Die schwierige Situation an der Grenze zu Mexiko. Die hohe illegale Einwanderung ist eines der Lieblingsthemen von Donald Trump, Kandidat der Republikaner und Harris' möglicher Konkurrent. Biden hatte Harris damit beauftragt, die Migration anzugehen. Harris, studierte Juristin und ehemalige Justizministerin von Kalifornien, hatte in der ersten Hälfte von Bidens Amtszeit Mühe, Fuss zu fassen. Erschwerend wirkte dabei, dass ihr angesichts der Rekordzahl an Grenzübertritten zwischen den USA und Mexiko das Thema der Einwanderungspolitik aufgebürdet wurde. Sie schien relativ erfolglos, was die Republikaner für sich zu nutzen versuchen.
Im Grossen und Ganzen dürfte Harris' Aussenpolitik Analysten zufolge der Bidens ähneln. «Sie mag eine energischere Spielerin sein, aber eines sollte man nicht erwarten: irgendwelche unmittelbaren grossen Veränderungen zu Bidens Aussenpolitik», sagt Aaron David Miller, ein ehemaliger Nahost-Unterhändler für demokratische und republikanische Regierungen.
Harris hat beispielsweise signalisiert, dass sie von Bidens entschiedener Unterstützung für die Nato nicht abrücken und die Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland weiterhin unterstützen werde. Dies steht in Widerspruch zu Ex-Präsident Trump, der die Beziehungen der USA zu der Militärallianz grundlegend ändern will. Waffenlieferungen an die Ukraine steht er skeptisch gegenüber.
Den Kurs in China beibehalten?
Im Falle ihrer Nominierung hoffen die Demokraten, dass Harris ihre aussenpolitischen Ziele besser kommunizieren kann als zu Beginn ihrer Vizepräsidentschaft. Im Verlauf hat Harris – die erste schwarze und asiatisch-amerikanische Vizepräsidentin des Landes – ihr Profil bei Themen wie China, Russland und Nahost geschärft. Bei vielen Staats- und Regierungschefs weltweit ist sie zu einer bekannten Grösse geworden. Bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz beispielsweise hielt Harris eine deutliche Rede, in der sie Russland für den Einmarsch in die Ukraine verurteilte und ein «eisernes» Bekenntnis der USA zu der in Artikel 5 des Nato-Vertrages verankerten Verpflichtung zur gegenseitigen Selbstverteidigung versprach.
In Bezug auf China hat sich Harris schon lange der parteiübergreifenden Meinung der Mehrheit in Washington angeschlossen: Die USA müssen Chinas Einfluss zurückdrängen. Analysten gehen davon aus, dass Harris Bidens Politik beibehalten wird. Bei Bedarf müsse der Regierung in Peking entgegengetreten werden. Gleichzeitig sollte nach Bereichen der Zusammenarbeit gesucht werden. Harris hat in Asien mehrere Reisen unternommen, um die Beziehungen in der wirtschaftlich dynamischen Region zu stärken. «Sie hat der Region gezeigt, dass sie Bidens Fokus auf den indo-pazifischen Raum mit Begeisterung vorantreibt», sagt Murray Hiebert, leitender Mitarbeiter des Südostasien-Programms am Washingtoner Zentrum für strategische und internationale Studien. Auch wenn sie nicht mit den diplomatischen Fähigkeiten mithalten könne, die Biden über Jahrzehnte entwickelt habe, habe sie sich gut geschlagen.
Doch wie Biden neigt auch Harris zu gelegentlichen verbalen Ausrutschern. Bei einem Besuch der entmilitarisierten Zone zwischen Süd- und Nordkorea im September 2022, bei der sie die Unterstützung für Seoul bekräftigen wollte, sprach sie fälschlicherweise von einem «Bündnis der USA mit der Republik Nordkorea».
Thema Nahost-Politik
Ganz oben auf Harris' aussenpolitischer Agenda dürfte angesichts des Gazakrieges der Nahostkonflikt stehen. Sie beharrt wie Biden darauf, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung hat. Ihre Kritik am militärischen Vorgehen Israels nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober ging jedoch weiter. Israel tue nicht genug, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, sagte sie im März während der israelischen Bodenoffensive. Auch Konsequenzen für Israel schloss sie nicht aus, sollte das Land eine gross angelegte Invasion des Flüchtlingslagers Rafah im südlichen Gazastreifen starten. Dies deute darauf hin, dass Harris als Präsidentin gegenüber Israel zumindest eine schärfere rhetorische Linie verfolgen könnte als Biden, sagen Analysten. Mit einer grossen Wende in der US-Politik gegenüber Israel, Washingtons engstem Verbündeten im Nahen Osten, rechnen sie allerdings nicht.
Verhältnis mit Iran
Auch gegenüber Israels Erzfeind in der Region, dem Iran, dürfte Harris hart bleiben. Die wachsende Gefahr, dass der Iran sein Atomprogramm auch für Waffen nutzen könnte, stelle eine grosse Herausforderung für eine mögliche Harris-Regierung dar, sagt Jonathan Panikoff, früher stellvertretender Geheimdienstoffizier der US-Regierung für den Nahen Osten. Ohne ernsthafte Anzeichen, dass der Iran in der Atomfrage zu Zugeständnissen bereit ist, dürfte auch Harris wenig Interesse daran haben, die Verhandlungen über eine Wiederaufnahme des internationalen Atomabkommens von 2015 wieder aufzunehmen. Trump hatte dies während seiner Präsidentschaft aufgekündigt. Eine Reihe von Versuchen unter Biden, es wiederzubeleben, scheiterten. Dennoch ist Panikoff, inzwischen Analyst beim Thinktank Atlantic Council in Washington, der Ansicht, dass der nächste US-Präsident oder die nächste US-Präsidentin sich mit dem Iran auseinandersetzen muss. «Das wird mit Sicherheit eines der grössten Probleme sein.»
(Reuters)