Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warf der Hamas einen Verstoss gegen die Vereinbarungen über eine Feuerpause vor. «Sie ist ihrer Verpflichtung, alle weiblichen Geiseln freizulassen, heute nicht nachgekommen und hat Raketen auf israelische Bürger abgefeuert», hiess es. Nach Informationen des US-Senders CNN gehen die Verhandlungen in Katar über eine Freilassung weiterer Geiseln dennoch weiter.

US-Aussenminister Antony Blinken hatte am Vortag Israels Führung mit deutlichen Worten aufgefordert, Zivilisten im Gazastreifen zu schützen. Die zahlreichen Todesopfer unter der Zivilbevölkerung und die Vertreibung in einem Ausmass, wie man sie im nördlichen Gazastreifen gesehen habe, dürfe sich im Süden nicht wiederholen, mahnte er. Es sei «zwingend erforderlich», dass sich Israel an das humanitäre Völkerrecht und die Regeln der Kriegsführung halte, sagte Blinken.

Der arabische Fernsehsender Al-Dschasira berichtete unter Berufung auf Augenzeugen von schweren Kämpfen in der Stadt Gaza und anderen Gebieten im Norden des abgeriegelten Gazastreifens. Im Zentrum des Küstenstreifens gebe es nahe der Flüchtlingslager Nuseirat und Bureidsch zudem Panzerbeschuss, hiess es. Die BBC meldete zudem unter Berufung auf die Hamas Luftangriffe auch im Süden des Gazastreifens. Eigene Quelle hätten dies bestätigt, berichtete der britische Sender.

Die Hamas erklärte nach Wiederaufnahme der Kämpfe, die internationale Gemeinschaft, angeführt von den USA, trage die Verantwortung für «die Fortsetzung des brutalen Krieges gegen Zivilisten, Kinder und Frauen». Das palästinensische Volk habe «das Recht, sich mit allen Mitteln zu verteidigen, und es hat das Recht, seine Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen, seinen palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt zu errichten und die Besatzung (Israel) in Übereinstimmung mit internationalen und UN-Regeln vollständig aus seinem Land zu entfernen», heisst in der Erklärung der Hamas weiter.

Israel und die Hamas hatten unter Vermittlung Katars sowie Ägyptens und der USA vor einer Woche eine Feuerpause vereinbart, die seither zwei Mal verlängert worden war - zuletzt um einen Tag. In der Zeit wurden von der Hamas 105 Geiseln freigelassen, unter ihnen auch 14 Deutsche. Im Gegenzug setzte Israel 240 palästinensische Häftlinge auf freien Fuss. Zudem gelangten weitere Hilfsgüter in den Gazastreifen für die rund zwei Millionen palästinensischen Zivilisten. Diese sind nach Aufrufen Israels zum Grossteil in den Süden des abgeriegelten Gebiets geflüchtet. Der Gazastreifen ist etwa so gross wie München.

Israel müsse vor der Wiederaufnahme grösserer Militäreinsätze humanitäre Pläne zum Schutz der Zivilbevölkerung vorlegen, forderte Blinken. In den Plänen sollte etwa genau festgelegt werden, in welchen Gebieten Zivilisten im südlichen und zentralen Gazastreifen sicher seien. Die Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur wie von Krankenhäusern, Kraftwerken und Wasserversorgungsanlagen müsse vermieden werden. Sobald es die Bedingungen zuliessen, müssten Zivilisten auch die Möglichkeit haben, wieder in den Norden des Gazastreifens zurückkehren zu können, forderte Blinken. Es dürfe keine dauerhafte Vertreibung innerhalb des Gazastreifens geben.

Die israelische Regierungssprecherin Tal Heinrich erklärte daraufhin am Freitagmorgen dem Fernsehsender CNN, man habe Blinken Pläne für sichere Zonen und mehr humanitäre Korridore vorgelegt. «Wir wollen also das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza lindern», sagte sie.

Der Palästinensische Rote Halbmond hatte kurz vor Ausbruch neuer Kämpfe mitgeteilt, seit Beginn der Waffenruhe hätten 310 Lastwagen mit Hilfsgütern erfolgreich den Norden des Gazastreifens erreicht. Demnach kamen seither mehr als 1000 Lastwagen im gesamten Gebiet an. Laut Hilfsorganisationen ist das nur ein Bruchteil der benötigten humanitären Lieferungen.

Derweil bekräftigte die israelische Regierung das Ziel, die Hamas zu zerstören. «Wir sind auf die nächste Phase der Operation vorbereitet», so Heinrich. «Die israelische Regierung ist entschlossen, die Ziele des Krieges zu erreichen: Die Geiseln freizulassen, die Hamas zu eliminieren und sicherzustellen, dass der Gazastreifen nie wieder eine Bedrohung für die Bewohner Israels darstellt», erklärte Netanjahus Büro am Freitagmorgen weiter.

Der einzige Grund, warum die Hamas in den vergangenen Tagen viele Geiseln freigelassen habe, sei der Druck gewesen, «den wir auf die Hamas ausgeübt haben, militärischer Druck und auch diplomatischer Druck», so Heinrich.

Israel vermutet, dass sich noch rund 145 Geiseln in Gaza befinden. Darunter sollen sich allerdings nur noch 15 Frauen und Kindern befinden. Deshalb war es fraglich, wie lange das bisherige Prozedere, bei der Frauen und Kinder im Gegenzug für eine Verlängerung der Feuerpause freikommen, fortgesetzt werden kann.

Verhandlungen über eine erneute Feuerpause könnten dadurch erschwert werden, dass die Hamas fortan einen höheren Preis für viele der verbleibenden Geiseln fordern könnte. Nach früheren Zahlen müssten noch etwa sechs Geiseln mit deutschem Pass in Gaza sein. Katar kann laut Aussenamtssprecher Madschid Al-Ansari vom Dienstag die genaue Zahl der verbliebenen Geiseln nicht bestätigen. Ursprünglich waren laut israelischen Angaben rund 240 Geiseln verschleppt worden./ln/DP/mis

(AWP)