Nach zehn Zinsanhebungen in Folge und einer inzwischen deutlich abebbenden Inflation rückt nun in den Fokus, wann die Europäische Zentralbank (EZB) 2024 erstmals die Zinsen senken wird. Für die Ratssitzung am Donnerstag in Frankfurt gehen Experten davon aus, dass die Währungshüter um Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde wie schon im Oktober ihre Füsse stillhalten werden.
Der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, bliebe damit bei 4,00 Prozent - das höchste Niveau seit Beginn der Währungsunion 1999. Der Leitzins bliebe bei 4,50 Prozent.
«Die EZB wird die Zinsen auf der Dezember-Sitzung fast sicher unverändert lassen», schreiben die Zins- und Währungsspezialisten Benjamin Schroeder und Francesco Pesole der niederländischen Grossbank ING. «Die Frage ist, inwieweit sie sich der aggressiven Ausrichtung der Börsenkurse auf Zinssenkungen im Jahr 2024 anschliessen wird.» Aus den Terminnotierungen am Geldmarkt geht beispielsweise hervor, dass Investoren inzwischen auf eine erste Zinssenkung schon im März 2024 wetten.
Ein Schritt nach unten im April ist sogar bereits zu 100 Prozent in den Kursen enthalten. In der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters gingen 57 Prozent der befragten Volkswirte - 51 von 90 Teilnehmern - davon aus, dass Lagarde & Co mindestens einmal vor ihrer Zinssitzung im Juli die Zinsen senken werden.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Inflationsentwicklung in der Euro-Zone. Er geht davon aus, dass die Teuerung erst im Frühjahr oder Frühsommer 2024 unter 2,5 Prozent liegen wird. «Deshalb bin ich mir nicht so sicher, dass die EZB den ersten Zinsschritt schon im März machen wird, sondern ich würde vermuten, dass sie doch noch ein bisschen länger wartet,» merkte er im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters an.
Bislang geht die EZB davon aus, dass die Teuerungsrate auch aufgrund von Basiseffekten in den nächsten Monaten erst noch etwas anziehen wird. Im November war sie auf nur noch 2,4 Prozent gesunken - die niedrigste Inflation seit Juli 2021. Die EZB-Zielmarke von 2,00 Prozent rückt damit immer näher in Reichweite.
Auslaufende Anleihen werden noch vollumfänglich ersetzt
Die Volkswirte der Deutschen Bank blicken gespannt auf die Pressekonferenz am Donnerstag mit Notenbankchefin Lagarde nach dem Zinsbeschluss. «Wir erwarten, dass die EZB anerkennt, dass die Inflation schneller gesunken ist als erwartet», schreibt ein Ökonomen-Team des Instituts um Chefökonom Mark Wall in seiner Vorschau. Die Euro-Notenbank werde jedoch vorsichtig sein, einen vorzeitigen Sieg zu verkünden.
«Wir gehen davon aus, dass die EZB den Ausblick aufrechterhalten wird, dass, wenn restriktive Zinssätze genügend lange beibehalten werden, dies rechtzeitig die Inflation zurück zur Zielmarke bringen wird,» führen sie aus. Lagarde hatte im November gesagt, es sei voraussichtlich in den nächsten paar Quartalen keine Änderung bei den Zinsen zu erwarten.
Orientierungshilfen zur weiteren Kursbestimmung könnten neue Konjunktur- und Inflationsprognosen der EZB-Volkswirte liefern. Diese werden den Währungshütern auf der Sitzung vorliegen. Die Deutsche Bank erwartet, dass die EZB-Ökonomen ihre Inflationsprognose für 2024 deutlich auf 2,2 Prozent von bislang 3,2 Prozent senken werden. Die US-Investmentbank Goldman Sachs erwartet eine Prognosesenkung auf 2,8 Prozent.
Auf dem Treffen könnte nach Ansicht vieler Experten auch ein vorzeitiger Stopp der noch laufenden Anleihenkäufe im Rahmen des Pandemie-Programms PEPP diskutiert werden. Mit Entscheidungen wird allerdings noch nicht gerechnet. Lagarde hatte unlängst gesagt, über das Programm werde in nicht allzu ferner Zukunft gesprochen. Bislang werden auslaufende Anleihen aus dem Programm noch vollumfänglich ersetzt und diese Reinvestitionen sollen noch bis mindestens Ende 2024 fortgesetzt werden.
(Reuters)