Die Aktien des weltgrössten Nahrungsmittelkonzerns Nestlé haben in diesem Jahr eine enttäuschende Performance gezeigt. Mit einem Rückgang von drei Prozent seit Jahresbeginn liegt das Unternehmen deutlich hinter dem Swiss Market Index (SMI), der um 6 Prozent gestiegen ist. Das Schwergewicht muss sich im negativen Sinne nur von Roche und Kühne+Nagel geschlagen geben.

Nestlé ist für Marken wie Nespresso, Kitkat und Maggi bekannt. Der multinational agierende Konzern produziert eine Vielzahl von Produkten, einschliesslich Tiernahrung, Getränke, Milchprodukte, Fertiggerichte, Schokolade, Süsswaren, medizinische Ernährung und Gesundheitsernährung. Obwohl Nestlé im ersten Quartal einen Rückgang der Verkäufe verzeichnete, erzielte das Unternehmen dank Preiserhöhungen dennoch ein positives organisches Wachstum. Allerdings war dieses Wachstum deutlich geringer als im Vorjahr.

Das Unternehmen aus Vevey erzielte einen Gesamtumsatz von 22,1 Milliarden Franken, was einem Rückgang von 5,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal entspricht. Der starke Schweizer Franken führte zu einem Umsatzrückgang von 6,7 Prozent. Die verkauften Mengen gingen um 2,0 Prozent zurück. Vor allem die Verlangsamung in den USA lastete auf dem Zahlenkranz. Immerhin ist Nestlé zuversichtlich für den Rest des Jahres 2024 und bestätigt seine Ziele.

«Die Diskrepanz zwischen den Markterwartungen und der Leistung des Unternehmens, die sich seit über 12 Monaten im Aktienkurs widerspiegelt, begann nach der Pandemie, als die Volumina aufgrund der Normalisierung des Konsums und der starken Inflation zunehmend unter Druck gerieten», sagt Pascal Bol, Analyst bei Stifel, auf Anfrage von cash.ch. Andererseits bieten die gestiegenen Obligationenrenditen seit über 1,5 Jahren eine alternative Anlagemöglichkeit im defensiven Bereich, und in letzter Zeit haben sich hausinterne Fehler (Abschreibungen, IT-Probleme, Wasserskandal seit Anfang 2023) gehäuft.

Nestlé wieder vermehrt in der Kritik 

Kritische Stimmen gegenüber Nestlé haben sich in letzter Zeit auch ausserhalb der Finanzbranche gemehrt. Die britische Aktionärsorganisation Shareaction fordert, dass Nestlé den Anteil seines Umsatzes mit gesünderen Produkten erhöht. Ein Sprecher von Nestlé antwortete auf eine Anfrage von cash.ch: «Shareaction nimmt das falsche Unternehmen ins Visier. Wir haben bereits viel erreicht und es wäre sinnvoller, andere Unternehmen dazu aufzufordern, mitzuziehen.» Aktuell stammen 50 Prozent des Umsatzes von Nestlé aus den Bereichen Kaffee, Tierpflege und Nestlé Health Science, im Vergleich zu 30 Prozent vor einem Jahrzehnt. Dies ist langfristig gesehen sicherlich positiv, da die Konsumenten seit der Pandemie noch sensibler für ihre Gesundheit sind.

Auch im traditionellen Teil des Nestlé-Portfolios sind Veränderungen erkennbar, wie beispielsweise die Reduzierung von Zucker und Salz. In den letzten Jahren wurden bei Frühstückscerealien beispielsweise grosse Fortschritte bei der Zuckerreduktion und der Erhöhung des Vollkorngehalts erzielt. Beispielsweise wurde der Zuckergehalt bei Nesquik-Frühstückscerealien zwischen 2003 und 2022 um 41 Prozent gesenkt. «Ich denke, dass Nestlé manchmal zu Unrecht zu stark verurteilt wird, wie kürzlich von der NGO Shareaction. Viele andere Lebensmittelhersteller tun viel weniger und stehen weniger unter öffentlichem Druck. Dies zeigt den Nachteil, der damit einhergeht, der grösste Anbieter zu sein - man ist das Hauptziel für Kritik», sagt auch Boll.

«Wir nehmen die Position von Shareaction zur Kenntnis, stimmen aber nicht darin überein, das Wachstum in bestimmten Bereichen unseres Portfolios zu beschränken. Proportionale Umsatzziele würden sich negativ auf unser Wertschöpfungsmodell auswirken», erklärt der Mediensprecher von Nestlé. Ein solcher Schritt würde bedeuten, dass wichtige Teile unseres Portfolios geschwächt werden und Konkurrenten die Möglichkeit erhalten, ohne zum öffentlichen Gesundheitswesen beizutragen.

Trotz aller Bemühungen ist Nestlé kürzlich auch wegen des Zuckerzusatzes in seinen Babynahrungsprodukten von der NGO Public Eye kritisiert worden. Es wird behauptet, dass Nestlé in Drittwelt- und Schwellenländern seinen Produkten Zucker hinzufügt, während in hiesigen Getreidebreien und Milchprodukten für Säuglinge kein Zucker enthalten ist. Nestlé dagegen erklärt, dass die Säuglingsmilchprodukte für Babys unter 12 Monaten keinen zugesetzten Zucker enthalten. Bei der sogenannten Folgemilch für Kinder über 12 Monaten hat das Unternehmen vor einiger Zeit damit begonnen, den Zuckeranteil zu reduzieren, und der überwiegende Teil dieser Produkte weltweit (mehr als 90 Prozent) enthält keinen raffinierten Zucker. Nestlés Ziel ist es, bis zum Ende des Jahres 100 Prozent zu erreichen.

Nestlé beschränkt freiwillig das Marketing für Jugendliche unter 16 Jahren und begrenzt Portionsgrössen von Genussprodukten für Kinder wie Eis. Dies geschieht aus Eigeninteresse, da Nestlé weiss, dass Gesundheit neben Geschmack ein entscheidender Faktor bei Kaufentscheidungen ist. Das Unternehmen verfolgt das Ziel, den Umsatz mit nahrhafteren Produkten bis 2030 um 20 bis 25 Milliarden Franken zu steigern, und hat sein Engagement für die Weiterentwicklung des Portfolios bekräftigt. Der Mediensprecher betonte, dass dies am oberen Ende ihrer Zielsetzung für das Unternehmenswachstum liegt.

Mehr Innovation würde auch der Aktie gut tun

Nestlé hat in den letzten 20 Jahren eine enorme Stärke im Bereich Tiernahrung und Kaffee aufgebaut. Diese Kategorien sind auch zuletzt trotz aller Zweifel seitens der Investoren stark gewachsen. Nestlé Health Science, mit einem starken Fokus auf Vitamine und Nahrungsergänzung, muss sich in den kommenden Jahren hingegen bewähren. Nestlés grosse Stärken liegen in der unvergleichlichen Markenbildung und Distributionskraft, die dazu beitragen, Marken weltweit zu skalieren. «Auf der Kehrseite scheint die Innovationskraft, trotz gegenteiliger Kommunikation seitens des Unternehmens, in letzter Zeit nachgelassen zu haben. Derzeit scheint Danone auf diesem Gebiet agiler zu sein», argumentiert Boll.

Was Innovation angeht, sowohl beim aktuellen Umsatz-Sorgenkind Fertiggerichten als auch generell in verschiedenen Kategorien und geografischen Regionen, hatten CEO Mark Schneider und CFO Anna Manz bei den Quartalszahlen betont, dass man nun wieder zu den Innovationslevels von vor der Pandemie zurückkehren wolle. Dazu zählt zum Beispiel der Espresso Concentrate, der Anfang Mai vorgestellt wurde. Eine Stossrichtung und Haltung, die notwendig ist und auch an der Börse gut ankommen dürfte.

Immerhin bleiben die von Bloomberg befragten Analysten für Nestlé «bullish» eingestellt. Das durchschnittliche Kursziel liegt 14 Prozent höher,  die Dividendenrendite steht nach den Kursverlusten bei 3,2 Prozent. Für das laufende Jahr ist eine Dividende von 3,13 Franken realistisch - nach 3 Franken für letztes Jahr. Die Bewertung der Titel erachten einige Experten wegen der Anzeichen für eine Erholung und der Bestätigung der Guidance für das Gesamtjahr im Branchenvergleich als günstig.

Der Nahrungsmittelhersteller aus Vevey muss jetzt liefern, wie auch ein ZKB-Analyst kürzlich konstatierte. Spekulationen, dass ausländische Investoren in Milliardenhöhe von Nestlé in die anderen beiden SMI-Schwergewichte Roche und Novartis umschichten könnten, helfen nicht. Es braucht einen Stimmungsumschwung.

ManuelBoeck
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