Die Schwankungsanfälligkeit an den US-Aktienmärkten ist in den vergangenen Tagen deutlich gestiegen. Das zeigt der Volatilitätsindex (VIX) auf den S&P 500 Index, der innert Wochenfrist von 16,6 auf 20,1 Punkte gestiegen ist. Händler verdauen die Schlagzeilen aus dem Nahen Osten sowie die Zinsentscheidungen der Notenbanken auf der ganzen Welt. Generell nehmen die Spannungen zu, da verschiedene Kräfte am Werk sind, die den Markt nach oben oder unten ziehen könnten.
Technische Charts geben ihre eigenen Kauf- oder Verkaufssignale, während die Auswirkungen von Zöllen und höheren Ölpreisen auf die Wirtschaft und die Gewinne den Anlegern noch nicht klar sind. Vor allem der geopolitische Hintergrund hält die Märkte in Atem, da Spekulationen zunehmen, Washington könnte sich Israels Angriff auf den Iran anschliessen. Sorgen bereitet Anlegerinnen und Anlegern die Frage, ob die USA im Nahost-Krieg zwischen Israel und dem Iran aussen vor bleiben oder in den Konflikt einsteigen.
Die Märkte zeigen sich für den Moment verhältnismässig resilient. «Die Märkte haben sich darauf eingestellt, solche geopolitischen Schlagzeilen zu ignorieren. Die Widerstandsfähigkeit war beeindruckend … vielleicht sogar etwas selbstgefällig», bemerkt Richard Privorotsky, Leiter des «One Delta Trading» von Goldman Sachs in London.
Die Aktienmarktbewegungen waren vor der Eskalation am vergangenen Freitag uneinheitlich, und die unterstützenden Säulen schwinden nun. Dennoch ist die Positionierung insgesamt wenig euphorisch, was bedeutet, dass Anleger weniger wahrscheinlich massenhaft abwandern werden, wenn sich die negativen Schlagzeilen häufen.
Hedgefonds kaufen weniger Aktien
Hedgefonds kauften letzte Woche weiterhin Aktien, allerdings langsamer, während Investmentfonds Abflüsse von 10 Milliarden Dollar verzeichneten, so Goldman Sachs. Trendfolgefonds kauften mit 2,8 Milliarden US-Dollar relativ wenig Aktien und neigen künftig eher zum Verkauf als zum Kauf. Diese Fonds, die als «Commodity Trade Advisors» oder kurz CTAs bekannt sind, werden diese Woche voraussichtlich über 17 Milliarden US-Dollar in einem rückläufigen Markt abstossen – mehr als dreimal so viel, wie die Gruppe bei einem stagnierenden oder steigenden Markt kaufen würde, so die Goldman-Schätzungen.
Auch andere risikoadjustierte Anleger wie Volatilitätskontroll- oder Risikoparitätsfonds werden angesichts der erneuten Unsicherheit wahrscheinlich weniger aktiv. Laut Rebecca Cheong, Leiterin der Aktienderivatestrategie der UBS, werden Pensions- und Zielfonds im Rahmen ihrer Neugewichtung zum Monatsende voraussichtlich Aktien im Wert von 89 Milliarden US-Dollar verkaufen - ein weiterer Belastungsfaktor in den kommenden Tagen. Hinzu kommt, dass die Unterstützung durch Aktienrückkäufe angesichts der Sperrfrist vor der Berichtssaison für das zweite Quartal nachlässt.
Die Gewinne selbst werden ab Anfang Juli für Anlegerinnen und Anleger bald in den Fokus rücken, um das Ausmass des durch die Zölle verursachten Schadens zu verstehen. Diese Konstellation bringt Aktien in eine schwierige Lage, insbesondere da die Umsätze in der Sommerflaute sinken werden, wenn der S&P 500 Index typischerweise im Juli auf ein saisonales Tief fällt. Das bedeutet, dass selbst kleine Schlagzeilen grosse Auswirkungen auf die Aktien haben können.
Am Optionsmarkt ist die Lage ebenso kompliziert. Charlie McElligott, Managing Director für Cross-Asset-Strategie bei Nomura Securities, stellte letzte Woche einen schleichenden Anstieg der S&P 500-Skew und der sogenannten Volatilität fest, während die Spot-Indizes nahe an Allzeithochs kletterten. Einerseits spiegelt die Spot-Up-Volatilitäts-Aufwärtsdynamik oft einen Aufwärtsimpuls am Markt wider, da Anleger aufgrund einer deutlichen Untergewichtung einer sich entwickelnden Rallye hinterherjagen. Dieses Muster kann aber auch das Potenzial für einen Zusammenbruch der Bewegung unter ihrem eigenen Gewicht aufbauen. Der Anstieg des CBOE VVIX-Index zeigt deutlich, dass sich die Spanne der möglichen Kursschwankungen wieder vergrössert, erklärte der Derivat-Guru von Nomura weiter.
Ruhig bleiben ist das Gebot der Stunde
Es besteht ein wachsender Konsens unter Anlegern, bei Kursrückgängen zu kaufen – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Ein starker Kursrückgang bleibt aus, da Anleger, die erwarten, dass andere bei Kursrückgängen kaufen, ihre Positionen entweder halten oder sogar erhöhen - sofern kein grösseres makroökonomisches Ereignis eintritt.
«Aktienanleger sollten sich wieder mit den gleichen Problemen befassen wie vor dem israelischen Angriff auf den Iran am Freitag, darunter die Zölle von Präsident Donald Trump, sein riesiges, wunderschönes Haushaltsgesetz, Wirtschaftswachstum, Inflation, die Politik der Fed und künstliche Intelligenz», bemerkt Ed Yardeni, Gründer von Yardeni Research.
(Bloomberg/cash)