Nach dem massiven Skandal um die Tradingplattform FTX und der Schwester-Firma Alameda-Research kommen neue Details ans Tageslicht. Der aktuelle CEO John J Ray, ein bekannter Restrukturierungsanwalt, der u.a. für das Konkursverfahren Enrons zuständig war, hat in der Zwischenzeit eine Konkursdeklaration verfasst. Bereits in der Einleitung stellt Ray fest, dass der Fall FTX bzgl. Risikomanagement und Corporate Governance vergleichbare Fälle in den Schatten stellt:    

«Noch nie in meiner beruflichen Laufbahn habe ich ein so vollständiges Versagen der Unternehmens-  Kontrollen und ein so vollständiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen gesehen wie hier.  Von kompromittierter Systemintegrität und mangelhafter behördlicher Aufsicht im Ausland bis hin zur Konzentration der Kontrolle in den Händen einer sehr kleinen Gruppe von unerfahrenen, unbedarften und potenziell kompromittierten Personen - diese Situation ist beispiellos.»    

Je mehr man sich mit dem Fall FTX beschäftigt, desto mehr fällt auf, dass die Vergleiche zu Lehman Brothers und auch zu traditionellen Bank-Runs stark hinterherhinken. Bei FTX/Alameda hat es sich nicht um eine Inkongruenz zwischen Aktiva und Passiva gehandelt und auch nicht um einen kurzfristigen Liquiditätsengpass. FTX war auch keine Bank und hatte keinerlei rechtliche Grundlage, mit Kundengeldern zu arbeiten. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint es viel mehr, dass es sich um einen Betrugsfall massiven Ausmasses handelt. Die Abwesenheit von Risikokontrollen, einer seriösen Buchhaltung sowie einer unabhängigen Aufsicht durch den Verwaltungsrat waren allesamt Umstände, die es einer Handvoll von Insidern um den Gründer Sam Bankman Fried ermöglichte, Kundengelder zu veruntreuen. Dabei wurde laut der Konkursdeklaration eine Software verwendet, um den Transfer von Geldern zu verschleiern.    

Es ist natürlich fraglich, wie es sein konnte, dass eine Firma, die von der Belle-Etage der Hedge-Fonds und Risikokapitalgebern wie Sequoia, SoftBank, BlackRock, Temasek, Tiger Global, Brevan Howard, Paradigm, Millenium Management finanziert wurde, eine derart dysfunktionale Risiko-Kultur etablieren konnte und fundamentale Aspekte der Corporate Governance über Jahre ignorieren konnte. Teil der Antwort könnte auf das Charisma des Gründers Sam Bankman-Frieds («SBF») zurückzuführen sein. Der 30-jährige, der sich mit der Arbitrage von Kryptowährungen einen Namen gemacht hatte, ist in den letzten Jahren zu einem Aushängeschild der Industrie geworden. Politisch bestens vernetzt und finanziell von den grössten Finanzriesen unterstützt, wurde er nach und nach als akzeptables Gesicht einer unregulierten Industrie angesehen. Dabei half es wahrscheinlich auch, dass der Sohn zweier Stanford-Akademiker, einer der grössten Geldgeber der demokratischen Partei war. SBF konnte auch viele Persönlichkeiten aus Sport und der Unterhaltungsindustrie nicht nur als Investoren, sondern auch als öffentliche Befürworter gewinnen. FTX, das noch vor einigen Monaten auf eine Bewertung von USD 32 Mrd. kam, galt im Vergleich zu vielen anderen Börsen als Lichtblick nicht nur in Punkto Verlässlichkeit, sondern auch im Hinblick auf Sicherheit. Die meisten Hedge-Fonds, mit denen wir gesprochen haben, haben beispielsweise FTX als Tier-1 Börse eingestuft, was bedeutet, dass höhere interne Risikolimiten freigegeben wurden und im Endeffekt auch mehr Investorengelder auf der Plattform gehalten wurden.    

Im Nachhinein muss nüchtern attestiert werden, dass Warnsignale zu genüge vorhanden waren. Aus der Konkursdeklaration und anderen Berichten gehen insbesondere folgende Punkte hervor:    

  • Outsourcing der Buchhaltung  
  • Intransparente Buchhaltung  
  • Auditoren waren keine Top-4 Firmen. FTX wurde von zwei verschiedenen Auditoren geprüft. Die Auditoren geniessen nicht den besten Ruf in der Industrie und eine der Firmen wurde in der Vergangenheit vom Public Accounting Oversight Board gerügt.  Dieselbe Firma schien auch eine gewisse Nähe zu FTX-Mitarbeitern zu pflegen  
  • Starke Vernetzung zu Alameda-Research, einem Market-Maker und Hedge-Fonds. Keine Chinese Wall zwischen den Unternehmen und Mitarbeiter  
  • Unerfahrene Führungsriege. Der COO hatte beispielsweise rund 2 Jahre Berufserfahrung ausserhalb von FTX.  
  • Kein unabhängiger Verwaltungsrat. Nur einer von drei VR-Sitzen wurde von einer unabhängigen Drittperson besetzt, einem Anwalt  
  • Exotisches Firmendomizil (Bahamas)  
  • Kein unabhängiger Audit der Verwahrung (SOC oder ISAE Reports). Die Verwendung einer ungesicherten Gruppen-E-Mail-Adresse als Root-Schlüsse für den Zugang zu vertraulichen Private-Keys und sensiblen Daten für die Unternehmen der FTX-Gruppe auf der ganzen Welt    

Quo vadis crypto?  

Der tiefe Fall eines der Vorzeigeunternehmen wird in den kommenden Monaten und Jahren auf mehreren Ebenen zu spüren sein. Kurzfristig hat der Fall FTX einen Domino-Effekt auf andere Institutionen. So sind bereits Firmen wie BlockFi und Genesis in Liquiditätsengpässe geraten. Man darf nicht vergessen, dass Wissenstand heute der Niedergang FTX seinen Ursprung bereits beim Kollaps von Terra Luna und anderen Centralized-Finance (CeFi) Plattformen im 2. Quartal dieses Jahres seinen Ursprung nahm. Dann nämlich als die Schwester-Firma Alameda Research beträchtliche Verluste hinnehmen musste und dies mit Liquiditätszuschüssen von FTX verschleierte. Weitere spektakuläre Konkursfälle sind somit kurzfristig nicht auszuschliessen. Obwohl der Zusammenbruch FTX und des Tokens FTT nichts mit der Technologie von Kryptowährungen zu tun hatte, ist das Vertrauen in die gesamte Anlageklasse stark ramponiert. Mittel- bis langfristig könnte der Konkurs FTX und anderer Unternehmen jedoch eine Katharsis für die Industrie sein. Zum einen werden Firmen mit fragwürdigen Geschäftsmodellen aus dem Markt gespült und Regulatoren weltweit in Ihren Bestrebungen, die Anlageklasse zu regulieren, bestärkt sein. Zum anderen werden Aspekte der Sicherheit bei der Verwahrung und dem Umgang mit Kundengeldern wieder verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Dies kann seriösen regulierten Firmen wie beispielsweise der SEBA Bank nur entgegenkommen.     

Gregory Mall, CFA - Head Investment Solutions SEBA Bank  

Gregory Mall verfügt über langjährige Erfahrung im Portfolio Management und in der Verwaltung digitaler Vermögenswerte auf diskretionärer Basis. Bei der SEBA Bank ist er für die Produktstrukturierung von ETPs, AMCs und strukturierten Produkten sowie für die Verwaltung der diskretionären Mandate verantwortlich.  Bevor er zu SEBA Bank stiess, war er im Bereich Multi-Asset Fund Management bei der Credit Suisse tätig. Greg hat einen Master-Abschluss in Economics von der Universität St. Gallen (HSG).