Warum sind festverzinsliche Wertpapiere aus Schwellenländern derzeit so interessant?
Polina Kurdyavko (PK): Selbst in diesem schwierigen Umfeld erwirtschaften die Schwellenländer die Hälfte des globalen BIP sowie zwei Drittel des globalen Wachstums, und die Schwellenländer-Anleihen etablierter Schwellenländer bieten - selbst in US-Dollar - eine Rendite von mehr 10 %. Dies stellt eine Verzinsung dar, wie sie seit den frühen 2000er Jahren nicht mehr zu beobachten war. Es gibt keine risikofreien Anlagen, und Diversifizierung ist auch im aktuellen Umfeld wichtig. Der Krieg in Europa könnte morgen enden - oder auch nicht. Die Gasversorgung könnte sich normalisieren, und die Rohstoffpreise könnten korrigieren - oder auch nicht. Für Anleger ist es schwierig, sich für binäre Szenarien zu positionieren, die ausschließlich von den entwickelten Märkten abhängig sind.
Gegenwärtig erhalten die Schwellenländer starken Rückenwind durch gestiegene Rohstoffpreise und eine orthodoxere Geldpolitik. Wie wirkt sich dies auf die Rohstoffexporteure der Schwellenländer aus?
PK: Zwei Drittel der Schwellenländer sind Rohstoffexporteure, und die gestiegenen Rohstoffpreise haben zur Verbesserung der Leistungsbilanzen beigetragen. Auf der einen Seite gibt es Länder, die bereits positive Leistungsbilanzsalden aufweisen – der Überschuss Saudi-Arabiens stieg von 5 % auf 15 % - doch auch Länder, die Leistungsbilanzdefizite von 3 % bis 4 % hatten, haben diese auf 1 % reduziert, wie es in einigen lateinamerikanischen Ländern der Fall ist. Dies ist ein wichtiger Indikator für eine geringere Anfälligkeit der Schwellenländer, mehr noch als in den 1980er und frühen 2000er Jahren.
Aufgrund einer strukturellen Verknappung rechne ich nicht mit einer starken Preiskorrektur bei Rohstoffpreisen, selbst wenn das “Best-Case”-Szenario von BlueBay eintritt und der Konflikt in der Ukraine demnächst endet. Dies stellt einen Pluspunkt für Rohstoffexporteure in den Schwellenländern dar.
Die größte strukturelle Veränderung in den Schwellenländern in den vergangenen 20 Jahren war der Übergang zu einer orthodoxeren Monitoring-Politik. Wie denken Sie darüber?
PK: Zweistellige Inflationsraten sind in den Schwellenländern üblich und kein "neues" Problem. Die politischen Entscheidungsträger können sich somit nicht den Luxus leisten, erst zu handeln, nachdem die Inflation ein hohes Niveau erreicht hat. Aus diesem Grund haben die politischen Entscheidungsträger in den Schwellenländern seit Anfang 2021 insgesamt 300 Zinserhöhungen vorgenommen und die Inflation präventiv und aggressiv eingedämmt. In zahlreichen lateinamerikanischen Ländern ist bereits ein Rückgang der Inflationsraten zu beobachten. Frühere präventive Maßnahmen der Zentralbanken in Verbindung mit einer positiven Leistungsbilanzdynamik bedeuten auch, dass die Währungen der Schwellenländer relativ stabil sind - ein weiterer Grund, weshalb die Schwellenländer derzeit gut aufgestellt sind.
Das Volumen festverzinslicher Wertpapiere der Schwellenländer beläuft sich gegenwärtig auf einen Gegenwert in Höhe von etwa 23 Billionen USD, wovon lediglich 4 Billionen USD in US-Dollar begeben wurden. Der Rest ist in jeweiliger Landeswährung nominiert. Dies ist ein bemerkenswerter Wandel, der sich in den vergangenen 20 Jahren vollzogen hat und der die Aufmerksamkeit der institutionellen Anleger verdient. In dem Maße, in dem die Geldpolitik orthodoxer wird und das Vertrauen in die Politik steigt, sind inländische Investoren - Pensionsfonds, inländische Banken und Versicherungsgesellschaften - eher bereit, das Haushaltsdefizit zu finanzieren, wenn es sich um die Bilanzen von Staaten oder Unternehmen handelt. Dies sorgt für zusätzliche Stabilität in Jahren wie 2022, in denen sich die Anzahl der auf US-Dollar lautenden Emissionen von Staaten und Unternehmen halbierte. Die meisten Schwellenländer mit gut etablierten Inlandsmärkten haben sich auf diese zurückgezogen, was die Abhängigkeit von den Auslandsmärkten verringert.
Die Schwellenländerwährungen haben in den letzten zwölf Jahren nominal um mehr als 60 % abgewertet, während der US-Dollar seit mehr als zehn Jahren eine Hausse erlebt. Gehen Sie davon aus, dass sich dies fortsetzen wird?
PK: Nein, ich erwarte, dass dieser Lauf zu Ende geht. Die starke Leistungsbilanzdynamik unterstützt die Währungen der Schwellenländer, die sich im bisherigen Jahresverlauf besser entwickelt haben als die Währungen der Industrieländer wie der Euro oder das Pfund Sterling. Sobald die Unsicherheit bezüglich weiterer Zinsanhebungen durch die US-Notenbank nachlässt, werden die Bewertungen der Schwellenländerwährungen unserer Meinung nach überzeugen. Ein weiterer Aspekt der Währungsbewertungen stellt der Unterschied zwischen den realen Renditen in den Schwellenländern und den realen Renditen in den Industrieländern dar, der aktuell bei etwa 5 % liegt - so hoch wie nie zuvor.
Es ist zugegebenermaßen eine Herausforderung, Bewertungsanker für lokale Schuldtitel festzulegen, was bedeutet, dass die Volatilität in lokaler Währung in unsicheren Zeiten hoch bleiben wird. Auf Sicht von fünf oder zehn Jahren bin ich jedoch sehr zuversichtlich, dass die Wertentwicklung in Landeswährung die der Hartwährung insgesamt übertreffen wird, da sich die Hausse des US-Dollars ihrem Ende nähert.
Der Anteil der Frontier-Märkte am Gesamtindex für Staatsanleihen der Schwellenländer beträgt etwa 10 % - groß genug, um im Zusammenhang mit potenziellen Abwärtsrisiken als bedeutend zu gelten. Wie sollten Anleger den Herausforderungen der Frontier-Märkte begegnen?
PK: Frontier-Märkte weisen nur wenige Emissionen von Unternehmensanleihen auf, die auf US-Dollar lautenden Staatsanleihen überwiegen. Derzeit herrscht auf den Frontier-Märkten ein perfekter Sturm, der Maßnahmen erfordert, um ein potenziell länger anhaltendes Problem zu verhindern. Dies ist die größte Herausforderung in den Schwellenländern, einschließlich des Krieges und der Geschehnisse in China.
Innerhalb des Segments der Schwellenländer waren die Frontier-Märkte in den letzten 15 Jahren die Lieblinge der Investoren, und sie haben erhebliche Schulden angehäuft. Betrachtet man die afrikanischen Länder südlich der Sahara, so stieg deren Verschuldung von 5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2009 auf 100 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021. Diese Länder werden größere Probleme im Umgang mit den höheren Leitzinsen in den USA bekommen. Der Leitzins der US-Notenbank macht die Finanzierung für diese Länder teurer und in einigen Fällen untragbar. Darüber hinaus haben sie unverändert mit niedrigen Impfraten gegen Covid zu kämpfen, und einige Länder wie Kenia und Ghana sind Rohstoffimporteure. Das derzeitige Rohstoffumfeld stellt sie offensichtlich vor große Herausforderungen. Diese Risikofaktoren könnten unabhängig voneinander wirksam gelöst werden, doch in der Summe machen sie die Schuldenlast für zahlreiche Frontier-Länder potenziell untragbar.
Es erfordert einen koordinierten Ansatz für die Umstrukturierung der kommerziellen Schulden in den Frontier-Market-Ländern, einschließlich Mechanismen, die die bestehenden Schulden neu strukturieren und sie mit wichtigen Leistungsindikatoren verknüpfen, damit die Gläubiger mehr Einblick in die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Länder erlangen. Zweitens könnten neue Finanzierungen durch hochwertige Sicherheiten besichert werden, so dass die Frontier-Länder die Krise überwinden können, anstatt ein verlorenes Jahrzehnt der fiskalischen Sparmaßnahmen sowie ein wachstumsschwaches Umfeld in den nächsten Jahren zu erleben. Derzeit sind wir auf Portfolioebene in diesem Bereich untergewichtet. Wir bevorzugen einen Barbell-Ansatz, bei dem wir qualitativ hochwertigere, exportorientierte Länder und Unternehmen – insbesondere aus dem Nahen Osten und Lateinamerika - sowie kürzlich in Verzug geratene Unternehmen, die in den nächsten drei Jahren keine Schulden zu begleichen haben, übergewichten. Wir halten dies für eine sinnvollere Portfolioergänzung als einen Frontier-Markt mit B-Rating, der anfälliger für Preiskorrekturen sein könnte.