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In den vergangenen Tagen gehörte die mediale Bühne auch bei uns am Schweizer Aktienmarkt ganz den Unternehmen. Zwar ist die Quartalsberichterstattung eben erst angelaufen, warteten aus dem Swiss Market Index (SMI) bislang neben den beiden Schwergewichten Roche und Nestlé doch erst ABB, Lonza und Sika mit Zwischenberichten oder aber mit konkreten Zahlen auf.

Wenn sich jetzt schon etwas mit Gewissheit sagen lässt, dann dass die Börse sich launischer kaum zeigen könnte. Selbst vermeintlich solide Zahlen werden mit schmerzhaften Kursverlusten abgestraft. Die Aktionärinnen und Aktionäre von Roche und Nestlé dürften ein (Klage-)Lied davon zu singen wissen.

Für die Marktakteure ist das Glas momentan halb leer und nicht halb voll. Mir scheint, als suche man mit aller Kraft nach Gründen, sich von Aktien zu trennen. Selten lagen Erfolg und Misserfolg an der Börse so nahe beieinander wie zuletzt.

Hinzu gesellt sich die Erkenntnis, dass einige Unternehmen es der Börse schlichtweg nicht rechtmachen können. Eines dieser Unternehmen ist Roche. Seit gestern Donnerstag ist bekannt, dass die Pharma- und Diagnostikgruppe aus Basel zwischen Januar und September gut 44 Milliarden Franken umgesetzt hat. Und das, obschon die Diagnostiksparte mit wegbrechenden Pandemieumsätzen zu kämpfen hatte und dadurch deutlich weniger als in den ersten neun Monaten des letzten Jahres zum Gruppenergebnis beitrug. Um den starken Franken bereinigt – dieser schmälerte den Gruppenumsatz um mehr als sieben Prozent – hätte im Jahresvergleich sogar ein leichtes Umsatzplus resultiert.

Kursdebakel bei den Bons von Roche seit Jahresbeginn (Quelle: www.cash.ch)

Dass die Valoren von Roche dennoch Kursverluste von bis zu fünf Prozent zu beklagen hatten, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass sich von den künftigen Wachstumstreibern nur gerade das Augenmedikament Vabysmo sowie das Krebsmittel Polivy besser als erwartet verkauften. Gut schnitten hingegen Herceptin, Avastin und Rituxan ab. Eines haben diese Medikamente allerdings gemeinsam: Für sie sind günstigere Nachahmerversionen erhältlich.

Eine weitere Erklärung für die unterkühlte Börsenreaktion dürften unerfüllte Spekulationen sein, wonach die Basler mit der Veröffentlichung der Neunmonatsumsatzzahlen die diesjährigen Finanzziele erhöhen könnten. Ins Spiel gebracht hatte die Spekulationen kürzlich der für Jefferies tätige Pharmaanalyst Peter Welford.

Ich bleibe bei meiner Einschätzung: Klammert man die Frankenstärke und das Wegbrechen der milliardenschweren Pandemieumsätze aus, schlagen sich Firmenchef Thomas Schinecker und seine Belegschaft ganz ordentlich.

Bei Nestlé musste das etwas tiefer als erwartet ausgefallene organische Umsatzwachstum als Haar in der Suppe herhalten. Mit 6 Prozent verlangsamte sich dieses im dritten Quartal etwas deutlicher, als Analysten erwartet hatten. Sie waren durchschnittlich von einem organischen Umsatzwachstum in Höhe von 6,7 Prozent ausgegangen.

Schuld waren übrigens Lieferprobleme bei der französischen Mineralwassertochter Perrier, und auch das Vitamingeschäft blieb nicht von solchen verschont. Selbst im Wissen, dass sich diese Knoten schon bald einmal lösen, tauchte der Aktienkurs in den zweistelligen Frankenbereich ab. Womöglich ist Nestlé-Chef Mark Schneider höchstpersönlich für den Kursdämpfer verantwortlich, äusserte er sich anlässlich der Analystenkonferenz doch zurückhaltender in Bezug auf die Erreichbarkeit der diesjährigen Finanzziele als zuvor.

Selbst davor, gefeierte Unternehmen mit Kursverlusten abzuwatschen, schreckt die Börse nicht mehr länger zurück. Das bekamen jüngst etwa die Aktionärinnen und Aktionäre von ABB oder Aryzta schmerzhaft zu spüren. Bei ABB setzte sich nach der Veröffentlichung der Drittquartalszahlen die Erkenntnis durch, dass die Geschäftsentwicklung das Zyklushoch wohl durchschritten haben könnte. Ausserdem hatten sich einige Analysten optimistischere Vorgaben für das Schlussquartal erhofft. Dem Backwarenhersteller Aryzta wurden hingegen zwei millionenschwere Titelverkäufe aus dem Verwaltungsrat angekreidet.

Mit Lonza zählt auch ein ehemaliger Börsenüberflieger zu den Verlierern der Woche. Der Pharmazulieferer aus Basel nutzte am Dienstag die Vorabinformationen zum diesjährigen Investorentag einmal mehr, um die Erwartungen an das kommende Jahr zu dämpfen. Für 2024 geht das Unternehmen selbst neuerdings sogar von einem Übergangsjahr aus. Schuld sind mitunter die wegfallenden Umsätze mit dem amerikanischen Impfstoffhersteller Moderna.

Kurszerfall der Lonza-Aktien seit diesem Sommer (Quelle: www.cash.ch)

Ich frage mich, ob in diesem Zusammenhang nicht noch ein schmerzhafter Abschreiber folgt. Denn schliesslich wurde einst ziemlich viel Geld in die Impfstoffproduktion investiert. Abgesehen davon bleiben die längerfristigen Aussichten jedoch gut. Will man den neuen Mittelfristzielen Lonzas Glauben schenken, dann stehen uns noch viele Jahre mit zweistelligen Wachstumsraten sowie kontinuierlichen Margenverbesserungen bevor. Mich überrascht daher nicht, dass bisher nur gerade die Deutsche Bank die Reissleine gezogen und die Aktien des Pharmazulieferers von "Buy" auf "Hold" heruntergestuft hat.

Apropos Lonza: Als Barclays-Analyst Charles Pitman im Vorfeld des Investorentages die Erstabdeckung der Aktien mit "Overweight" und einem Kursziel von 540 Franken aufnahm, kosteten die Valoren um die 430 Franken. Nach dem Investorentag sieht sich Pitman nun gezwungen, bei seinen Schätzungen über die Bücher zu gehen. Nach diesen Anpassungen veranschlagt er – man ahnte es bereits – gerade mal noch ein Kursziel von 430 Franken...

Ergebnisenttäuschungen sind nicht die einzigen negativen Neuigkeiten, welche in den letzten Tagen für schmerzhafte Kursverluste sorgten. So sieht sich etwa der Spezialitätenchemiehersteller Clariant gemeinsam mit drei weiteren Unternehmen einer milliardenschweren Schadenersatzforderung des Mineralölmultis Shell konfrontiert. Kein Wunder, weisen die Baselbieter diese Forderung entschieden zurück. Es geht schliesslich um viel Geld.

Bei Sika geht hingegen die Angst vor einer saftigen Busse um, nachdem die europäische Wettbewerbsbehörde bei mehreren Bauchemieherstellern Geschäftsräume durchsucht hat. Im Raum steht der Verdacht möglicher Preisabsprachen.

Wie Vontobel-Analyst Bernd Pomrehn schreibt, ist der Ausgang der Untersuchung ungewiss. Er befürchtet, dass der Ruf der ganzen Branche darunter leiden könnte. Sollte sich der Verdacht gegen einige Unternehmen erhärten, droht ihnen dem Kartellrecht zufolge ein empfindliches Bussgeld von bis zu 10 Prozent des weltweiten Umsatzes.

Seit dem heutigen Freitagmorgen sind die Neunmonatszahlen des Bauchemiespezialisten bekannt. Diese können sich sehen lassen, insbesondere die Verbesserungen bei der Bruttomarge. Die bei dieser Gelegenheit bestätigten diesjährigen Finanzziele scheinen mir daher schon bald in trockenen Tüchern.

An diese Stelle möchte ich noch kurz auf Lindt&Sprüngli eingehen. Da scheint ein Händler am Mittwoch die Namenaktien mit den Partizipationsscheinen verwechselt zu haben – was bei den Namenaktien doch prompt zu einem sogenannten "Miss-Trade" mit einem Kurs von 9840 Franken führte. Wo gehobelt wird, da fallen bekanntlich halt auch Späne.

Uns steht eine weitere mit Ergebnissen vollgepackte Woche bevor. Unter anderem wird mit Novartis das dritte SMI-Schwergewicht seinen Zahlenkranz vorlegen. Mehr dazu am nächsten Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.

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