Der Zusammenbruch der grossen Kryptobörse FTX im letzten Jahr war so etwas wie ein Lehman-Moment für die Branche. Danach herrschten Misstrauen und Angst. Es machte sich das Gefühl breit, dass niemand mehr sicher sein kann, ob selbst die bedeutendsten Institutionen der Kryptowelt morgen noch existieren. Viele Anlegerinnen und Anleger zogen ihre Guthaben von den Kryptobörsen ab.

Binance, die nach Handelsvolumen weltweit grösste Kryptobörse, versuchte, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Das Management kündigte an, es werde seine Bücher prüfen lassen, vom internationalen Wirtschaftsprüfungsunternehmen Mazars. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass Binance und andere Kryptounternehmen keine Buchprüfung im konventionellen Sinn vornehmen lassen.

So wurden bei Binance nur die vorhandenen Reserven geprüft, also wie viele Kryptoguthaben die Börse tatsächlich hält. Das alleine sagt jedoch nichts über den Zustand einer Börse aus, solange man nicht auch deren Verbindlichkeiten kennt.

Und nur kurz nachdem Mazars seinen Bericht herausgegeben hatte, zog es ihn auch schon wieder zurück. Man wolle nicht weiter mit Kryptounternehmen zusammenarbeiten, hiess es seitens der Prüfgesellschaft. Als Begründung gab Mazars an, man habe «Bedenken hinsichtlich der Art und Weise, wie diese Berichte von der Öffentlichkeit verstanden werden».

Denn oft glaubten die Stakeholder, dass es sich bei den von den Kryptobörsen veröffentlichten Berichten um konventionelle Buchprüfungen handle, quasi ein Gütesiegel, dass mit dem Unternehmen alles in Ordnung sei. 

Mazars war einer der wenigen Wirtschaftsprüfer, zusammen mit Grant Thornton und BDO, die mit den unregulierten Unternehmen in der Kryptoindustrie zusammenarbeiteten. Aber mittlerweile ist das Reputationsrisiko offensichtlich zu gross geworden.

Weitere Kursverluste wahrscheinlich

Dass sich Mazars aus dem Krypto-Business zurückzieht, dürfte ein weiterer Sargnagel für die Preise von virtuellen Währungen sein. Der Rückzug erfolgt just zu einem Zeitpunkt, zu dem die Forderungen von Kunden und Investoren nach Transparenz immer lauter werden.

Für viele institutionelle Anleger wird die Branche uninvestierbar, wenn selbst diese Scheinprüfungen wegfallen. Und auch das Misstrauen der privaten Anlegerinnen und Anleger wird mit der neuen Negativ-Nachricht neue Nahrung erhalten, was weitere Mittelabflüsse zur Folge haben dürfte.

Zumal Binance vom US-Justizministerium wegen möglicher Verstösse gegen Geldwäsche und Sanktionen untersucht wird. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete diesen Monat, dass einige Staatsanwälte glauben, genügend Beweise gesammelt zu haben, um Binance und einige Top-Führungskräfte anzuklagen.

Allerdings gibt es auch Berichte, wonach die Dinge bei Binance besser stünden als etwa bei der zusammengebrochenen Börse FTX. So konnte die Blockchain-Analyseplattform Cryptoquant offenbar den von Mazars zurückgezogenen Bericht verifizieren. Die finanzielle Position von Binance sei zumindest nicht so prekär wie diejenige von FTX, hiess es. Es habe sich gezeigt, dass die Bitcoin-Bestände von Binance vollständig besichert seien. Ausserdem zeige Binance kein «FTX-ähnliches» Verhalten, verschiebe also Vermögenswerte nicht in unzulässiger Weise auf andere Konten.

Wobei das aber nicht unbedingt Grund zur Beruhigung ist. Denn Mazars hat laut Kritikern nur genau das gesehen, was Binance zeigen wollte. Grundsätzlich gilt die weltweit grösste Kryptobörse als «black box», die aktiv zu viel Transparenz verhindert. Und Untersuchungen aus der Branche zufolge tausche Binance.com Vermögenswerte frei mit Binance.us aus, obwohl die beiden Unternehmen angeblich unabhängig voneinander seien – in dem Versuch, US-Regulierungsgesetze zu umgehen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: "Grosse Wirtschaftsprüfer gehen auf Distanz zu Kryptofirmen"