Kenneth Rogoff kennt das globale Finanzsystem bestens: Ob Internationaler Währungsfonds oder US-Notenbank – der Harvard-Ökonom hat viele Jahre in jenen Institutionen gearbeitet, die die weltweite Vormachtstellung des US-Dollars geprägt haben. In seinem neuen Buch «Our Dollar, Your Problem» warnt er nun: Die Dominanz des Greenbacks ist nicht mehr selbstverständlich.
Bloomberg: Warum widmen Sie Kryptowährungen ein eigenes Kapitel?
Kenneth Rogoff: Weil es in dem Buch nicht nur um die Geschichte, sondern auch um die Zukunft geht. Es zeichnet nach, wie der Dollar seit dem Zweiten Weltkrieg zur dominanten Weltwährung aufstieg – und wie Konkurrenten wie der Euro oder der Yen ins Hintertreffen gerieten. Der Dollar war nicht nur führend, sondern dominanter als jede Währung vor ihm. Doch dieses System beginnt zu bröckeln: Der chinesische Renminbi löst sich zunehmend aus der Dollarbindung, der Euro gewinnt an Einfluss. Und dann ist da noch Krypto. Ein bedeutender Anwendungsbereich des Dollars ist die Schattenwirtschaft – also jener Teil der Ökonomie, in dem staatliche Kontrolle kaum greift. Genau dort etablieren sich Kryptowährungen.
Kann Krypto den Dollar ersetzen?
In der offiziellen, regulierten Wirtschaft eher nicht – dafür hat der Staat dort zu viel Einfluss. Aber in der Schattenwirtschaft sieht das anders aus.
Was verstehen Sie unter der Schattenwirtschaft?
Das hängt vom Land ab. In den Industriestaaten besteht der Grossteil aus Steuerhinterziehung – oft zwischen 15 und 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In den USA liegt der Wert etwas darunter, in Europa deutlich darüber. In Entwicklungsländern erreicht die Schattenwirtschaft oft ein Drittel des BIP. Dabei verschwimmen meist die Grenzen zwischen Legalität und Steuervermeidung. Vieles läuft in Graubereichen: Barzahlungen für Haushaltshilfen, Handwerker oder private Mietverträge. Dazu kommen klassische illegale Aktivitäten wie Drogen- oder Menschenhandel – die sind zwar relevant, machen aber mengenmässig deutlich weniger aus als Steuervermeidung.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Bitcoin habe bereits die Dollar-Dominanz geschwächt. Wie?
Nicht im legalen Zahlungsverkehr – dort spielt Krypto bislang kaum eine Rolle. Aber in der globalen Schattenwirtschaft, wo früher der Dollar das bevorzugte Zahlungsmittel war, setzt sich zunehmend Krypto durch. Länder umgehen damit auch US-Sanktionen. Die These, Kryptowährungen hätten keinen «fundamentalen Nutzwert», ist daher falsch.
Was sind die Auswirkungen dieser Entwicklung?
Die globale Schattenwirtschaft macht vielleicht 20 Prozent des globalen BIP aus - nach meinen eigenen Recherchen und nach einer Literaturstudie der Weltbank. Dies ist ein grosser Markt, auf dem der Dollar besonders dominant war.
Inwiefern führt die Tatsache, dass Kryptowährungen die Dominanz des Dollars brechen, zu einer Erhöhung der Zinssätze für uns alle?
Eine geringere Nachfrage nach Dollars in der globalen Schattenwirtschaft erhöht die US-Zinsen, obwohl dies nur einer von vielen Faktoren ist, die heute die Zinsen nach oben treiben. Das «exorbitante Privileg» der Vereinigten Staaten - dank der Tatsache, dass sie die bei weitem wichtigste Reservewährung sind - wirkt sich auf alle unsere Zinssätze aus, nicht nur auf den Zinssatz für US-Treasuries, einschliesslich Hypotheken, Autokredite, Studentenkredite usw.
Und die zweite Auswirkung ist die nationale Sicherheit?
Ja, denn je mehr der Dollar Marktanteile verliert, desto schwerer wird es für US-Behörden, globale Finanzströme zu überwachen – Informationen, die oft entscheidend für die nationale Sicherheit sind. Die Dominanz des Dollars ermöglicht es den USA auch, Sanktionen effektiv durchzusetzen. Solange Kryptowährungen lediglich Papiergeld ersetzen, das ohnehin kaum rückverfolgbar war, entsteht daraus zunächst kein grundsätzlich neues Problem. Kritisch wird es aber, wenn Krypto genutzt wird, um Transaktionen zu verschleiern, die bislang über das reguläre Finanzsystem liefen. Dann wiegt der Informationsverlust deutlich schwerer – und damit auch die sicherheitspolitischen Folgen. Für die US-Regulierungsbehörden ist das besonders schwierig zu kontrollieren, weil viele Länder sich gegen die als übergriffig empfundene US-Vorherrschaft im Finanzsystem wehren. Genau dieses Unbehagen trägt massgeblich dazu bei, dass sich immer mehr Akteure vom Dollar abwenden und alternative Transaktionssysteme nutzen
Und wird die Dominanz von Kryptowährungen weiter zunehmen?
Auf jeden Fall. Kryptowährungen werden die globale Untergrundwirtschaft für Transaktionen übernehmen. Es gibt Leute, die glauben, dass Kryptowährungen abheben werden, aber es gibt auch viele Leute - Paul Krugman, Nouriel Roubini, Jamie Dimon, Warren Buffett - die vor kurzem gesagt haben, dass sie Kryptowährungen für einen Betrug halten. Im Krypto-Kapitel erkläre ich, warum das völlig falsch ist. Denn wenn die Schattenwirtschaft 20 Prozent des weltweiten BIP ausmacht, dann ist sie - je nach Wert des Dollars - eine Wirtschaft im Wert von 20 bis 25 Billionen Dollar. Dort erfüllt Krypto eine klare Funktion als Zahlungsmittel – und damit besitzt es ökonomischen Wert. Selbst mit Regulierung wird der Staat diesen Bereich nicht vollständig kontrollieren können. Deshalb ist Krypto alles andere als bedeutungslos – hier steht sehr viel auf dem Spiel.
(Bloomberg)
4 Kommentare
Die Krypto Systeme kommen, ob wir wollen oder nicht.
Laut Internet soll es über 11'000 Systeme geben, so ein Wildwuchs.
Da kann ja jeder so ein Ding aufschalten und Kohle einsammeln.
Das kann nicht im Interesse der Kunden sein, wer soll da die Übersicht behalten. Sicher nicht die Behörden, die sind masslos überfordert.
Der Missbrauch ist wie bei allem programmiert, wenn es keine Spielregeln gibt. Die Nationalbanken und die Weltbank stabilisieren die ganzen Währungen. Krypto gehört ganz klar auch unter dieses Dach.
Deshalb müssen Weltweit sehr rasch klare Regeln her, die kontrolliert werden. In den USA kann man im Moment sehr gut beobachten was passiert, wenn das Rückgrat eines Staates beschädigt wird.
15 bis 20% des BIP gehen dem Staat wegen Steuerhinterziehung verloren, das sind in der Schweiz, wenn wir nur schon mit 10 bis 15% rechnen, 60 bis 90 Miliarden. Wäre das schön wenn alle etwas ehrlicher wären. In Deutschland müsste die Regierung nicht mehr gegen Bürgergeldempfänger wettern.
Das ist einmal ein ganz andere Sicht auf Bitcoin... interessant... habe ich mir so noch nie überlegt...
Fast richtig formuliert. Nicht "Kryptowährungen" sondern Bitcoin (61% Dominanz) wird den Dollar ablösen. Bitcoins fallen nicht einfach vom Himmel wie es "Kryptowährungen" tun. Es ist proof of work. Immerhin gibt es einen kleinen Fortschritt in der Bereichtserstattung.