Hausbesitzer aus der Mittelschicht müssen zusehen, wie die anhaltende Talfahrt auf dem Immobilienmarkt ihr Geld vernichtet. Rund 70 Prozent des Vermögens der Haushalte in China ist in Immobilien gebunden, weit mehr als in den USA. Das macht es zu einem der heikelsten politischen Themen für die Kommunistische Partei.

Monatelang hat Xi versucht, hochverschuldete chinesische Bauträger zu bremsen. Das hat zu einer Vielzahl von Zahlungsausfällen geführt, Investoren weltweit verschreckt und mindestens 24 grosse Immobilienunternehmen an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Am Offshore-Anleihemarkt gingen mehr als 80 Milliarden Dollar verloren.

Doch nun protestieren einfache Chinesen öffentlich, indem sie Hypothekenzahlungen für gut 300 Bauprojekte in 91 Städten boykottieren. Sie werfen den Bauträgern vor, die Wohnungen, für die sie bereits bezahlt haben, nicht fertigzustellen. Der Wert der Hypotheken, die betroffen sein könnten, ist mittlerweile wohl auf 2 Billionen Yuan (291 Milliarden Euro) angeschwollen. 

"Chinesen legen in der Regel das Geld der ganzen Familie zusammen, um eine Immobilie zu kaufen", sagte Alfred Wu, ausserordentlicher Professor an der National University of Singapore. "Für sie geht es um Leben und Tod, wenn ihre Objekte negative Vermögenswerte werden".

Für Xi könnte der Zeitpunkt nicht schlechter sein: Es sind nur noch wenige Monate bis zum alle fünf Jahre stattfindenden Kongress der Kommunistischen Partei, auf dem er sich voraussichtlich eine dritte Amtszeit sichern will. Ausserdem muss er seine Politik als vorteilhaft für das Erreichen von "gemeinsamem Wohlstand" für ganz normale Bürger verkaufen, der Teil des Gesellschaftsvertrags ist, der die Legitimität des Einparteienregimes in China untermauert.

Schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass Xi versuchen wird, für Linderung zu sorgen. Am Montag berichtete Bloomberg, dass China Immobilienbesitzern erlauben könnte, Hypothekenzahlungen für ins Stocken geratene Projekte auszusetzen, ohne Strafen befürchten zu müssen.

"Es ist das erste Mal, dass wir diese Art von Hypothekenboykott in China sehen, und Peking nimmt das sehr wohl war", sagte Chi Lo, Senior Asia Pacific Investment Strategist bei BNP Paribas Asset Management. "Es ist entscheidend, dass Xi vor dem 20. Parteitag Stabilität bewahrt."

Auch wenn die Boykotte nur einen kleinen Teil der insgesamt ausstehenden Hypotheken betreffen, hat die schnelle Eskalation der Proteste Befürchtungen ausgelöst, dass Unzufriedenheit über fallende Preise und ins Stocken geratene Projekte auf breiterer Ebene aufflammen könnte. Die Mediengruppe Caixin berichtete, Hunderte von Baufirmen beklagten sich bereits, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, weil die Bauträger ihnen Geld schulden.

Soziale Unzufriedenheit

Selbst wenn eine kurzfristige Lösung gefunden wird, bleiben längerfristige Risiken für Xi. Der 69-jährige Staatschef sieht sich mit sozialer Unzufriedenheit konfrontiert, die ungewöhnlich weit verbreitet ist, während er versucht, die ausufernde Verschuldung im Zaum zu halten und das Coroanvirus quasi abzuschaffen. Als Folge dürfte die Wirtschaft ihr jährliches Wachstumsziel von 5,5 Prozent deutlich verfehlen.

Am Dienstag sagte Premier Li Keqiang, etwas höheres oder niedrigeres Wachstum sei akzeptabel, solange die Beschäftigung ausreichend hoch bleibe, die Haushaltseinkommen stiegen und die Preise stabil seien.

In den letzten Monaten gab es in China eine Welle von Online-Protesten zu sozialen Themen, illustriert durch zunehmende Links auf die Hymne der Demokratiebewegung "Do You Hear the People Sing?" aus dem Musical Les Miserables während der Abriegelung von Schanghai. Der Fall einer Mutter mit acht Kindern, die an ihrem Hals angekettet war, löste öffentlichen Protest zum Thema Frauenhandel aus. Einige Monate später löste ein gewalttätiger Angriff auf Frauen in einem Restaurant einen weiteren Wutausbruch gegen lokale Behörden aus.

Bei vielen der Proteste wollten die Bürger lediglich ihr Geld zurück, wie etwa bei den jüngsten Demonstrationen gegen einen mutmasslichen milliardenschweren Finanzbetrug in der Provinz Henan, so Zixue Tai, ausserordentlicher Professor an der Universität von Kentucky, der sozialen Aktivismus in China untersucht. Dennoch sieht er die derzeitige Welle von Unruhen als "eine Art spontane Entladung des aufgestauten Volkszorns auf die Xi-Regierung".

"Aus der Sicht der nationalen Regierung ist es wahrscheinlich sicherer, der Öffentlichkeit bis zu einem gewissen Grad zu erlauben, ihrem Ärger Luft zu machen, als die Stimmen der Bürger zu unterdrücken", sagte Tai.

Chinas Immobilienmarkt birgt besondere systemische Risiken und taumelt inzwischen aufgrund von Massnahmen, die ursprünglich nur auf eine Handvoll hochverschuldeter Kreditnehmer wie die China Evergrande Group abzielten. Mit dem Zusammenbruch weiterer Unternehmen wächst der Druck auf die Banken, die die Branche finanzieren, und auf die Lokalregierungen, die auf Grundstücksverkäufe angewiesen sind, um Einnahmen zu erzielen.

«Tanz auf dem Vulkan»

Laut Travis Lundy, Analyst bei Smartkarma, werden die lokalen Regierungen wahrscheinlich Unterstützung leisten, indem sie Minderheitsbeteiligungen an Projekten übernehmen und Mittel über Zweckanleihen aufbringen.

"Wenn Tausende von Hausbesitzern glauben, dass ihr grösster Vermögenswert in Schwierigkeiten ist, könnten sie in ganz China protestieren und eine ‘systemische’ politische Krise auslösen", sagte Andrew Collier, Geschäftsführer bei Orient Capital Research.

Die Zentralbank "schwankt zwischen der Unterstützung der Branche und einzelnen schmerzhaften Massnahmen zur Eindämmung der Immobilienblase", fügte er hinzu. "Es ist ein Tanz auf dem Vulkan."

(Bloomberg)