cash.ch: Sie leiten seit vergangenem September als Head Research bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) ein Team von Analysten. Bei der ZKB setzen Sie keine Kursziele, aber viele andere Banken machen das. Und die Kursziele werden derzeit sehr schnell erhöht. Ist dies gesund?

Omar Brem: Der Aktienmarkt hat sich seit dem März sehr schnell erholt. Bei der Analyse von Einzelaktien muss man unterscheiden, von welcher Firma man spricht.

Bei welchen Unternehmen oder Geschäftsmodellen ist der Optimismus gerechtfertigt?

Geschäftsmodelle, die strukturelles Wachstum zulassen. Ein Beispiel dafür ist Givaudan. Das Unternehmen hat sich in den ersten neun Monaten im Jahr 2020 positiv entwickelt. Knapp vier Prozent organisches Wachstum auch in der Krisensituation der Coronapandemie zu erreichen ist eine Leistung. Wir haben gesehen: Das ganze Geschäft ist so gut aufgestellt und geführt, dass auch unter widrigen Umständen Wachstum möglich ist. Auch Unternehmen wie Schindler oder Geberit sind diesbezüglich sehr gut aufgestellt.

Welche Schweizer Aktien sind nach dem Coronajahr sonst in einer besonders guten Ausgangslage für 2021?

Einen spannenden Case bietet auch der IT-Dienstleister SoftwareOne. Für mich eine 'Perle', die im Kurs noch zurückgeblieben ist. Das Unternehmen war dieses Jahr noch mit der Integration der zugekauften Firma Comparex beschäftigt und hat gewisse Aktivitäten der übernommenen Firma nicht weitergeführt. Dadurch ist das Potential noch nicht richtig sichtbar: Die Nachfrage nach Dienstleistungen zur Verwaltung und Optimierung des Software-Bestandes sowie die effizientere Bewirtschaftung der IT-Landschaft wird steigen. Eine globale und sehr gute Aufstellung sowie der Digitalisierungsschub treiben das Geschäft von SoftwareOne an.

Sie nennen ein Beispiel einer unterbewerteten Aktie, aber muss man solche in der Schweiz nicht eher suchen?

Es gibt schon noch Firmen, die wegen einer Turnaround-Situation zurückgeblieben sind. Im Technologiebereich denke ich an eine Ascom. Der Spitalkommunikationstechniker wurde jahrelang mis-gemanagt. Und die Digitalisierung hat bisher einen Bogen um den Gesundheitsbereich gemacht. Spätestens jetzt, mit der Coronapandemie, sehen wir, dass es das braucht. Ascom mag bisher nicht optimal organisiert sein: Doch CEO Jeannine Pilloud hat die richtigen Stellschrauben gefunden und stellt die Firma neu auf.

Die wirklichen Kursraketen beobachten wir im Moment aber bei Tech und das vor allem IPOs in den USA – Stichwort Doordash oder Airbnb. Warten dort die besseren Investments als in der Schweiz?

Der Markt in den USA hat sehr viel Geld von Kleininvestoren angezogen. Wenn die Disruption, die mit diesen Erwartungen an diese IPO-Firmen einhergeht, nicht unmittelbar eintritt, werden dort die Bewertungen auch wieder sinken. Wir haben auch in der Schweiz spannende Technologiefirmen. Logitech hatte einen eindrücklichen Lauf, auch AMS ist spannend. Die Visibilität ist dort zwar tiefer als bei Ascom oder SoftwareOne, grundsätzlich ist AMS aber dank der Osram-Übernahme attraktiv. Der Markt hat den Verkauf gewisser Teile von Osram noch nicht sauber eingepreist. AMS wird dadurch die Verschuldung stark reduzieren können.

Viele Tech-Unternehmen hat der Schweizer Markt aber nicht, sondern er ist defensiv geprägt. Ist das ein Nachteil?

Der defensive Charakter geht ja vor allem auf die Mega-Caps Nestlé, Roche und Novartis zurück. Klar, man kann entweder Roche oder Novartis übergewichten, und auch Nestlé ist mit CEO Mark Schneider sehr gut geführt. Aber wir haben im SMI auch Firmen wie SGS, die zyklisch getrieben sind, und doch unter anderem dank gutem Kostenmanagement ein hohes Potential haben.

Wo steht der Markt Mitte 2021?

Wenn es so weitergeht wie bisher, dann wird der SMI höher stehen. Voraussetzung ist, dass es bei den Impfungen gegen Corona keinen Rückschlag gegen wird und das Virus seinen Schrecken verliert. Zudem sollte sich die globale Konjunktur auf den Pfad der Erholung finden. Das heisst, dass Unternehmensgewinne und Dividenden wieder steigen, und die Geld- und Fiskalpolitik weiterhin Unterstützung geben.

Kann der Markt damit umgehen, dass der Rebound seit März auch die Bewertungen nach oben getrieben hat?

Die Rahmenbedingungen sprechen für höhere Bewertungen als in der Vergangenheit. Die erwartete Erholung von der Coronapandemie sorgt für Zuversicht bei den Gewinnprognosen und die Dividendenrenditen sind höher als die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen. Die Zentralbanken ermöglichen, dass weiter viel Liquidität in die Märkte fliessen wird. Die Niveaus sind gerechtfertigt.

Aber sind die vielen positiven Gewinnprognosen berechtigt?

Natürlich dürfen diese nächstes Jahr nicht zurückgehen. Wir gehen aber nicht davon aus, dass die jetzt gestellten Prognosen gesenkt werden; Wir erwarten nicht haufenweise Gewinnwarnungen.

Können sich die Firmen mit den neuen Lockdowns arrangieren?

Viele Firmen in der Schweiz haben sich 2020 sehr gut geschlagen. Sie konnten sich gut anpassen. Die Situation erinnerte mich an den Januar 2015, als die Nationalbank den Mindestkurs Euro-Franken aufhob. Da mussten sich die Unternehmen auch sofort mit einer komplett neuen Situation auseinandersetzen. Aber sie zeigten sich sehr agil und konnten zeitnah Entscheidungen treffen. Dies spricht für gute Managements. Diese haben die Unternehmen auch jetzt.

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