Der cash Insider ist unter @cashInsider auch auf Twitter aktiv. Lesen Sie börsentäglich von weiteren brandaktuellen Beobachtungen am Schweizer Aktienmarkt.

+++

Wer genau hinschaute, sah den Börsenrückschlag unweigerlich kommen. Ab Mitte Dezember, spätestens aber ab Ende Januar meldete sich nämlich ein altbekannter Vorbote zurück: die Gier.

Gier, weil die Aktienanalysten bei ihren Kaufempfehlungen immer tiefer in die Effektkiste griffen. Gier allerdings auch, weil die Kurse immer weiter stiegen, während die Gewinnerwartungen fielen und fielen. Die Börse schien beliebten Firmen wie Lonza, Givaudan oder Sika fast alles zu verzeihen - egal ob enttäuschend schwache Zahlenkränze oder vorsichtige zukunftsgerichtete Aussagen.

Gerade als sich langjährige Ankeraktionäre wie etwa die altehrwürdige Familie von Finck beim Warenprüfkonzern SGS oder die Familie Jacobs beim Schokoladehersteller Barry Callebaut von grösseren Aktienpaketen trennten, hätte man eigentlich hellhörig werden müssen. Diese Aktionärskreise gelten nicht umsonst als bestens vernetzt.

Nahezu zeitgleich warfen Verwaltungsräte und Geschäftsleitungsmitglieder hiesiger Vorzeigeunternehmen wie etwa Roche, Julius Bär oder Logitech im grossen Stil Aktien des eigenen Arbeit- oder Mandatgebers auf den Markt.

Spannend ist, dass gerade die besagten Paketverkäufe in Analystenkreisen sogar als günstige Einstiegsgelegenheit gefeiert wurden. Ganz anders die mächtigen angloamerikanischen Grossinvestoren. Sie schichteten beinahe den ganzen Februar über im grossen Stil in konjunkturresistente Aktien um. Im Zuge dessen flossen Gelder in Milliardenhöhe an den Schweizer Aktienmarkt. Davon profitierte nur eine Handvoll "Gipfelstürmer" wie etwa jene von Lonza, Swisscom, Givaudan oder Roche.

Bilanz der letzten Jahre

JahrAktienfavoritenSPI
2013+40,1 Prozent+23,9 Prozent
2014+11,4 Prozent+15,2 Prozent
2015+  4,1 Prozent+  2,4 Prozent
2016-   3,7 Prozent-   1,7 Prozent
2017+23,6 Prozent+20,1 Prozent
2018-19,1 Prozent-   8,8 Prozent
2019+25,4 Prozent+30,6 Prozent
2020*-24,7 Prozent- 13,1 Prozent

* Schlusskurse vom 31. März 2020

Interessant ist, dass nun dieselben angloamerikanischen Grossinvestoren in den letzten Tagen bei genau diesen "Gipfelstürmern" den Rücktritt angetreten haben. Seit dem grossen Derivatverfall vom vorderen Freitag werden die Karten neu gemischt. Ein Zufall ist diese zeitliche Nähe zum grossen Derivatverfall wohl kaum.

Noch ist dieser Trend bloss ein kleines Rinnsal, das zu zu einem Bach anschwellen muss, der dann in einen Fluss übergeht. Ich verspreche mir diesbezüglich schon für nächste Woche wichtige Hinweise, ob dieser Trend weiter an Breite gewinnt.

Wo genau die Aktienkurse im Vergleich mit der Unternehmensgewinnentwicklung stehen, lässt sich nur schwer sagen. Die in einer Woche anlaufende Quartalsberichterstattung verspricht zwar wichtige Anhaltspunkte. Vermutlich wird sie aber bloss die Frage beantworten, wie sich die hiesigen Unternehmen in den ersten drei Monaten geschlagen haben. Ich wäre jedenfalls überrascht, würden sich die Firmenlenker bei den zukunftsgerichteten Aussagen zu sehr aus dem Fenster lehnen. Und so befinden sich die Anleger noch auf unbestimmte Zeit völlig im Blindflug.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Die Aktien von UBS und Credit Suisse dürften dabei den Weg vorgeben. Meines Erachtens eignen sich die Valoren der beiden Grossbanken ideal als vorauseilende Indikatoren für den Swiss Market Index (SMI).

An dieser Stelle noch kurz ein paar Worte zu denjenigen Publikumsgesellschaften, die lauthals nach staatlicher Hilfe schreien. Ich finde das schon ziemlich dreist, wenn Firmen wie etwa die amerikanische Boeing innerhalb weniger Jahre gut 60 Milliarden Dollar über Dividenden und Aktienrückkäufe an die Aktionäre zurückführen und sich dann auf Kosten der Allgemeinheit retten lassen wollen - bloss weil ihnen dann genau diese 60 Milliarden Dollar in Krisenzeiten fehlen.

Und Boeing ist bloss ein Beispiel für ein solches Unternehmen. Zur Erinnerung: Die 500 grössten amerikanischen Firmen haben alleine in den letzten acht Jahren für die astronomische Summe von 4500 Milliarden Dollar eigene Aktien zurückgekauft. Anstatt sich für den nächsten Abschwung zu wappnen, betrieben viele dieser Unternehmen lieber Bilanzkosmetik.

Die Mitschuld trifft auch die Regierung unter dem republikanischen Präsidenten Donald Trump. Mit ihrem schuldenfinanzierten Steuergeschenk an "Corporate America" – und das in Zeiten der Hochkonjunktur - fachte sie die Rückkauftätigkeit ungewollt an. Nun, da der Abschwung ansteht und die Staatskasse sowieso schon leer ist, muss Washington der notleidenden Wirtschaft mit weiteren 2000 Milliarden Dollar zu Hilfe eilen.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden, bin ich doch nicht grundsätzlich gegen eine Rettung wichtiger Unternehmen. Allerdings müsste man zuerst die Aktionäre zur Kasse bitten und den Gläubigern einen Teilverzicht ihrer Forderungen abringen oder ihnen eine Umwandlung von Schulden in Aktien auferlegen.

Doch auch der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung vieler Unternehmen sind nun gefordert. So kündigten jene des schweizerisch-schwedischen Industriekonzerns ABB an, auf 10 Prozent ihres diesjährigen Salärs zu verzichten. Bleibt mir nichts anderes als zu hoffen, dass dieses Beispiel Nachahmer finden wird – beispielsweise in der Chefetage der beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse. Wobei es gerne auch mehr als "bloss" 10 Prozent des Salärs sein dürfen. "Opfersymmetrie" ist das Gebot der Stunde. Das heisst soviel wie: Alle Beteiligten sollten gleichermassen Abstriche machen.

Kommen wir zu einem weiteren nicht sehr erbaulichen Thema: Meinen Schweizer Aktienfavoriten für das Börsenjahr 2020. Letztere konnten zuletzt Boden gutmachen. Errechnete sich vor knapp zwei Wochen ein durchschnittliches Minus von 40 Prozent, betrug es am gestrigen Dienstag bei Börsenschluss noch 24,7 Prozent. Dem steht ein nur etwa halb so schmerzhaftes Minus von 13,1 Prozent beim Swiss Performance Index (SPI) gegenüber.

Es ist schon ziemlich deprimierend, in den letzten Wochen vieles richtig gesehen, mit Aktien von "Unternehmen im Wandel" aber völlig schief gelegen zu haben. Rückblickend boten diese Spezialsituationen nicht den erhofften Schutz vor einem Börsenrücksetzer.

Am meisten Geld kosteten die Papiere von Klingelnberg (-59 Prozent) und Ascom (-50 Prozent), gefolgt von jenen von LafargeHolcim (-35 Prozent). Eine positive Entwicklung weisen neben dem Neuzugang AMS (+2 Prozent) nur die Valoren von Lonza (+12 Prozent) auf. Rückblickend hätte meinen Aktienfavoriten "etwas mehr Lonza" deshalb ganz gut getan.

In Bezug auf meine Kommentare zu den Einzelpositionen, vertröste ich alleine schon aufgrund des schieren Umfangs auf die Kolumne von morgen Donnerstag.

Aktuelle Positionen Aktienfavoriten

TitelAnzahlEinstandakt. Wert*ErfolgG/V
Barmittel      5'989,01  
ABB N    425  23,58    7'227,12-  2'794,38 -   27,88 Prozent
AMS I    540     9,27    5'151,60+     145,80+    2,91 Prozent
LafargeHolcim N    185  53,90    6'541,60-  3'429,90-   34,40 Prozent
Lonza Group N      28355,50  11'261,60+ 1'307,60+  13,14 Prozent
Swatch Group N   200  41,62    7'616,00-      708,00-      8,51 Prozent
Temenos N      65154,05    8'248,50-  1'764,75-   17,62 Prozent
UBS Group N   817   12,24    7'390,58-  2'609,50-   26,09 Prozent
Ascom N   930   10,74    5'068,50-  4'919,70-   49,26 Prozent
Klingelnberg N   411   24,30    4'011,36-  5'975,94-   59,84 Prozent
OC Oerlikon N   876   11,41    6'797,76-  3'197,40-   31,99 Prozent
      
Total    75'303,64 -   24,70 Prozent

* Schlusskurse vom 31. März 2020

 

Der cash Insider nimmt Marktgerüchte sowie Strategie-, Branchen- oder Unternehmensstudien auf und interpretiert diese. Marktgerüchte werden bewusst nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Gerüchte, Spekulationen und alles, was Händler und Marktteilnehmer interessiert, sollen rasch an die Leser weitergegeben werden. Für die Richtigkeit der Inhalte wird keine Verantwortung übernommen. Die persönliche Meinung des cash Insiders muss sich nicht mit derjenigen der cash-Redaktion decken. Der cash Insider ist selber an der Börse aktiv. Nur so kann er die für diese Art von Nachrichten notwendige Marktnähe erreichen. Die geäusserten Meinungen stellen keine Kauf- oder Verkaufsempfehlungen an die Leserschaft dar.