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Manchmal fühle ich mich vom Börsengeschehen an eine Bergwanderung erinnert. Nahe dem Gipfel ist die Aussicht stets am schönsten – bis irgendwann der Abstieg ansteht. Bloss geht die Börse den Abstieg selten gemächlich an. Vielmehr purzeln die Kurse regelrecht ins Tal. Vom Abstieg wollen die hiesigen Aktienanalysten allerdings noch nichts hören. Vielmehr überbieten sie sich gegenseitig mit immer abenteuerlichen Kaufempfehlungen und Kurszielen.

Erst vor wenigen Tagen wiederholte Patrick Wood von Merrill Lynch in einer mehrere Seiten starken Branchenstudie seine Kaufempfehlung für die Aktien von Straumann. Und um seiner Zuversicht für den Weltmarktführer aus Basel den nötigen Nachdruck zu verleihen, erhöhte er das Kursziel auf 1262 (1081) Franken. Das nächsthöhere Kursziel geht auf das Konto seines Berufskollegen Christoph Gretler von der Credit Suisse. Dieses liegt bei geradezu bescheiden anmutenden 1150 Franken.

Trotz kräftigen Kurszielerhöhungen stossen die Aktien von Straumann momentan nur auf mässiges Interesse (Quelle: www.cash.ch)

Was andere können, kann ich auch, dürfte sich der für Mirabaud Securities tätige Daniel König gedacht haben. Denn neuerdings beziffert er das Kursziel für die Aktien von Gurit auf 2715 (zuvor 2290) Franken. Unnötig zu erwähnen, dass König die Papiere des Herstellers von Hochleistungskunststoffen mit "Buy" zum Kauf anpreist. Er sieht in diesem einen Gewinner staatlicher Investitionen in neue Windkraftanlagen.

Stifel-Analyst Christian Arnold haben es hingegen die Aktien des entfernten Branchennachbarn Sika angetan. Vielversprechende Aussagen von Firmenchef Paul Schuler und seinem Finanzer Adrian Widmer reichten aus, damit er das Kursziel auf 280 (zuvor 275) Franken erhöhte und seine Kaufempfehlung wiederholte. Seit gestern Dienstag sind die Papiere des Bauchemieherstellers gar ein Bestandteil der "Swiss Focus List". Nur die Kollegen bei Morgan Stanley und Goldman Sachs sind noch optimistischer. Platz müssen übrigens die von Merrill Lynch ach so gelobten Valoren von Straumann machen.

Nicht nur bei den Aktien von Straumann, Gurit oder Sika gehen die Kursziele regelrecht durch die Decke. Was mir auffällt: Den besagten Analysten gelang es zuletzt kaum noch, neue Käufer für die Aktien zu mobilisieren. Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, glaube ich nicht, dass das ein gutes Zeichen ist.

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Erst Morgan Stanley, dann die Citigroup und nun auch noch Merrill Lynch. Die Liste der amerikanischen Banken, welche dem Schweizer Aktienmarkt im Hinblick auf das kommende Jahr bloss ein unterdurchschnittliches Gewicht in ihren Kundenportefeuilles einräumen, wird immer länger.

Die Rechnung der für Merrill Lynch tätigen Strategen ist denkbar einfach: Wenn die Zinsen in New York steigen, schneidet der Swiss Market Index (SMI) meist schlechter als andere Börsenbarometer ab. Schuld hierfür ist die geradezu erdrückende Dominanz der drei Schwergewichte Nestlé, Roche und Novartis.

Wie die amerikanische Investmentbank weiter festhält, dürfte sich der SMI bis Mitte nächsten Jahres um rund zwei Prozent schlechter als der breit gefasste Stoxx Europe 600 Index entwickeln. Und das, obwohl letzterer seit März fast 14 Prozent besser abgeschnitten hat. Die Annahmen für die Schwergewichte Roche und Novartis sprächen auf relativer Basis gar für ein zusätzliches Abwärtspotenzial von drei Prozent, so die Strategen weiter.

Da mutet etwas gar merkwürdig an, dass die Aktienanalysten von Merrill Lynch die europäischen Pharmawerte noch vor wenigen Tagen anpriesen – wobei sie nicht nur mit den guten Gewinnsteigerungsaussichten, sondern auch mit dem seit 25 Jahren nicht mehr gesehenen Bewertungsabschlag gegenüber dem breiten Markt prahlten.

Der SMI notiert noch immer in etwa auf dem Stand von vor drei Wochen (Quelle: www.cash.ch)

Bei dieser Gelegenheit erhöhten die Analysten ihr Kursziel für die Aktien von Novartis auf 99 (zuvor 95) Franken und bekräftigten ihre Kaufempfehlung. Auch die Genussscheine von Erzrivale Roche preisten sie zum Kauf an, wenn auch nurmehr mit einem Kursziel von 345 (zuvor 385) Franken.

Mir ist bewusst, dass das eine ("Top-down") nicht zwingend im Einklang mit dem anderen ("Bottom-up") stehen muss. Etwas mehr "unité de doctrine" könnte allerdings nicht schaden.

Schön ist dieser angelsächsische Schulterschluss gegen den Schweizer Aktienmarkt nicht. Wenn es aus Schweizer Sicht aber einen kleinen Trost gibt, dann dass sich die Börse doch nur selten so verhält, wie die Experten denken...

 

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