Die Kolumne "Gopfried Stutz" erschien zuerst im 

Ob Swiss Market Index (SMI), Dow Jones, S&P-500 oder Nasdaq – die Aktienbarometer steigen von Rekord zu Rekord. Der SMI legte im ersten Halbjahr 2021 um zwölf Prozent zu. Gemäss der Onlineplattform The Market war das erste Semester 2021 das fünftbeste Halbjahr für Aktien seit hundert Jahren.

Wie immer bei solchen Rekordschüben stellen sich Börsianer die bange Frage: Geht es so weiter? Ist die Rekordjagd fundamental begründet? Man findet immer Gründe, weshalb es weiter nach oben oder plötzlich steil nach unten gehen könnte.

Was tun? Verkaufen und auf eine Korrektur warten, um danach zu tieferen Kursen wieder einzusteigen? Das wäre in etwa das, was Privatanlegern normalerweise nicht empfohlen wird. Timing heisst das Stichwort dazu. Burkhard Varnholt sagte es in seinem wöchentlichen Kommentar so: «Die Wahl einer passenden Anlagestrategie ist wichtiger als Timing.» Erfolgreiche Investoren würden langfristig investieren, schreibt der Chief Investment Officer der Schweizer Einheit der Credit Suisse weiter. Je langfristiger die Gesamtbetrachtung, desto unbedeutender die Wahl des Einstiegszeitpunkts.

Dagegen gibts nichts einzuwenden. Der CS-Mann gibt hier die gängige Lehrmeinung wieder. Er sagt völlig zu Recht, dass die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für ein Investment so alt sei wie das Investieren selbst. Die Suche nach dem idealen Zeitpunkt für eine Investition sei gleichbedeutend mit der sprichwörtlichen Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.

Das deckt sich in etwa mit dem berühmten Satz von Börsenaltmeister André Kostolany: «Bestücken Sie Ihr Portefeuille mit soliden Blue Chips, schlucken Sie eine Packung Schlaftabletten, stellen Sie den Wecker auf zehn, noch besser auf fünfzehn Jahre.»

All das ist gut und recht – und zweifellos richtig. Und doch wird sich mancher die Frage stellen: Soll ich jetzt von den hohen Kursgewinnen profitieren und Aktien verkaufen?

Mich überzeugt für solche Situationen folgendes Rezept: Verkaufe die Hälfte eines Aktienpakets. Steigen die Kurse entgegen den Befürchtungen weiterhin zügig nach oben, dann sage ich mir: Gut gemacht, hast du nicht alles verkauft. Gibts aber eine Korrektur, und die Kurse sinken um über zehn Prozent, sage ich mir: Gut gemacht, habe ich einen Teil verkauft und kann nun wieder zu günstigen Preisen einsteigen.

Alles eine Frage der persönlichen Einstellung. Es ist wie mit dem halb leeren oder dem halb vollen Glas. Mag sein, dass dieses Rezept nicht wirklich rational ist und Lehrmeinungen widerspricht. Doch Lehrmeinungen sind wichtig für professionelle Investoren, die die Performance gegenüber Verwaltungsräten oder Anlagekunden rechtfertigen müssen.

Ich als Kleinanleger brauche meine Anlageentscheidungen gegenüber niemandem zu rechtfertigen. Ich muss mich wohlfühlen. Das tue ich mit einem halb vollen Glas.