Die Kolumne «Gopfried Stutz» erschien zuerst im 

Manche sagen sich: Das Coronavirus hat für einen Kurssturz an den Aktienmärkten gesorgt. Die Aktien sind deshalb billig, also decken wir uns mit Dividendenpapieren ein. Aber sind die Aktien wirklich billiger geworden?

Vor Ausbruch der Corona-Krise kosteten die Aktien der Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re bis zu 117 Franken. Heute ist das gleiche Papier für gut 60 Franken zu haben, also für etwa den halben Preis. Ein Schnäppchen also? So etwas wie ein Ausverkauf? Der Betrag von 117 Franken durchgestrichen, neuer Preis: 60 Franken!!!

Ausverkauf vielleicht schon, aber Schnäppchen nicht unbedingt.

Ob eine Aktie als teuer oder als billig gilt, hängt nicht vom absoluten Kaufpreis ab. Massgebend ist vielmehr, wie viel Potenzial man einer Aktie zutraut. Börsianer orientieren sich für die Beurteilung an Kennziffern. Eine der wichtigsten ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Dividiert man den Kurs durch den geschätzten Gewinn pro Aktie, so ergibt sich eben das KGV. Banker sprechen von Price-Earnings-Ratio, P/E-Ratio oder ganz einfach P/E. Englisch ist nun mal die Sprache der Finanzwelt.

Das KGV gibt also an, mit dem Wievielfachen des auf sie entfallenden Gewinns eine Aktie aktuell bewertet wird. Mit steigenden Kursen steigt bei gleich bleibendem geschätztem Gewinn das KGV. Ein hohes KGV deutet auf eine teure Aktie hin.

Wobei auch diese Aussage zu relativieren ist. Bei Roche beträgt das KGV rund 22, bei Swisscom 15, und bei der UBS liegt es zwischen 7 und 8. Und doch kann man nicht daraus schliessen: Roche ist teuer, Swisscom ist fair bewertet, und UBS ist ein Schnäppchen.

Massgebend ist immer auch der Wirtschaftszweig, in welchem ein Unternehmen tätig ist. Branchen ohne Wachstumsfantasie haben tiefere KGV. Umgekehrt gelten Firmen mit einem hohen Wachstumspotenzial und einem hohen KGV nicht unbedingt als teuer, wenn man eben davon ausgeht, dass ihre Gewinne in Zukunft nur so sprudeln. Dass die Grossbanken derzeit tiefe KGV aufweisen, hängt mit ihren hohen Risiken zusammen und dem Fakt, dass Investoren am Modell der Universalbank zweifeln.

Schliesslich kommen noch weitere Aspekte hinzu: In Zeiten tiefer Zinsen sind Obligationen uninteressant. Also fliesst das Geld eher in Aktien, was ein höheres KGV rechtfertigt. Zudem ist das KGV immer auch im langfristigen Vergleich zu beurteilen.

Wir fassen zusammen: Wenn die Aktie von Swiss Re nur noch halb so viel kostet wie vor zwei Monaten, so ist das damit zu erklären, dass die Investorengemeinde rund um den Globus davon ausgeht, dass die zukünftigen Gewinne nicht so hoch ausfallen werden, wie man sich das Ende Februar noch erhofft hatte.

"Alles Quatsch", sagte mir ein Rentnerkollege, mit dem ich mich etwa über Aktienmärkte austausche. "Für mich ist eine Aktie teuer, wenn sie keine Dividenden ausschüttet." Päng. Der sitzt.