Der Umschwung zu reinen Elektroautos geht auf dem weltweit grössten Automarkt schneller als in Europa. Dabei graben die Konkurrenten aus China den lange Zeit überlegenen westlichen Marken zusehends das Wasser ab. Als grösster Gewinner gilt derzeit BYD: Im bisherigen Jahresverlauf verkaufte der Hersteller aus Shenzhen 69 Prozent mehr Fahrzeuge als im Vorjahr und erreichte einen Marktanteil von elf Prozent. Nach einer Analyse von Handelsdaten überholte BYD damit die bislang führende Marke Volkswagen - nicht nur bei E-Autos, sondern einschliesslich Verbrennerautos.

Ein VW-Sprecher wollte die Zahlen mit Verweis auf die am Freitag anstehende Veröffentlichung der Absatzzahlen des ersten Quartals nicht kommentieren. Im vergangenen Jahr hatte die Kernmarke des grössten europäischen Autokonzerns mit einem Marktanteil von 11,4 Prozent und die gesamte VW-Gruppe mit 15,1 Prozent noch ihren Spitzenplatz in China verteidigt. Doch in der Vergangenheit war die Dominanz der Wolfsburger mit 16 bis 20 Prozent grösser gewesen. "Wir sind Marktführer in Europa und China und wollen dies auch bleiben", gab VW-Chef Oliver Blume im Geschäftsbericht die Marschrichtung vor. Für Volkswagen und die anderen deutschen Autobauer Mercedes und BMW steht viel auf dem Spiel - rund jedes dritte Auto verkaufen sie in China, ein grosser Teil des Gewinns stammt von dort.

Dass der Lack seit der Corona-Pandemie blättert, ist an der Entwicklung des China-Marktanteils der deutschen Hersteller zu erkennen: Nach Angaben des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) betrug er 2022 mit 4,4 Millionen Pkw 19,1 Prozent - ein Rückgang um 5,5 Prozentpunkte gegenüber dem Spitzenwert des Vorkrisenjahres 2019. Bei den Elektroautos spielen die Deutschen mit nur 4,9 Prozent kaum eine Rolle, vor drei Jahren stammte von ihnen immerhin noch jedes zehnte reine E- oder Hybrid-Auto.

Goldene Zeiten Vorbei

Die Lorbeeren aus der Verbrennerzeit, als chinesische Hersteller den westlichen Autobauern nicht viel entgegensetzen konnten, welken rasch: Im ersten Quartal schrumpfte der Absatz von Verbrennern nach Daten des chinesischen Autoverbandes CPCA um ein Fünftel, während die E-Autoverkäufe um 22 Prozent gegen den Markttrend zulegten. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Kearney stammten 2022 schon 46 Prozent aller Pkw und sogar drei Viertel der E-Autos von chinesischen Herstellern. Bis 2026 werden diese - etwa BYD, Geely oder Nio - ihre Dominanz nach Einschätzung der Berater noch ausbauen auf bis zu 80 Prozent bei E-Autos. Im Gesamtmarkt könnten sie dann gleichauf mit ausländischen Marken liegen.

Der VDA ist sich unterdessen sicher, dass die deutschen Autobauer nicht unter die Räder kommen. Ihr Modellangebot wachse derzeit schneller als das der nicht-deutschen Hersteller, erklärte eine VDA-Sprecherin. Aktuell stamme jedes zehnte in China angebotene E-Modell von Volkswagen und Co. "Im Zukunftsmarkt der vollelektrischen Pkw steigt seit mehreren Jahren der Marktanteil der deutschen Hersteller in China." Die deutschen Autobauer ziehen mit neuen Modellen ins Gefecht: Volkswagen kündigte auf der Automesse an, bis 2026 zehn neue Elektro-Modelle in China auf den Markt zu bringen. Mit der Elektro-Limousine ID.7 gab VW darauf einen Vorgeschmack.

Mercedes will weiter mit Luxus punkten und wartete mit dem Spitzenmodell Maybach als Elektro-SUV der Superlative auf, was Design und Komfort betrifft. Die Schwaben setzen darauf grosse Hoffnungen, nachdem die elektrische S-Klasse EQS in China vergangenes Jahr enttäuschte. BMW will sein Angebot elektrifizierter Autos bis Ende des Jahres, in die China-spezifische Annehmlichkeiten etwa zur Unterhaltung eingebaut sind, um fünf auf ein knappes Dutzend ausbauen. "Was die chinesischen Kunden heute bewegt, bewegt morgen die Welt", sagte BMW-Chef Oliver Zipse.

Doch der Kampf um den Kunden wird immer härter, hat doch der US-Elektroautopionier und weltweite Marktführer Tesla einen Preiskrieg angezettelt, der in China heftig tobt. Mehr als 40 Automarken senkten seit Januar die Preise. "Die Chinesen und Tesla schnüren auf der Preisseite den Europäern die Luft zum Atmen ab", warnte Ferdinand Dudenhöffer, Chef des Center Automotive Research. Um weiter bestehen zu können, müssten die westlichen Autobauer ihre Fahrzeugkonzepte gründlich überarbeiten - zum einen auf der Kostenseite, zum anderen bei intelligenten Cockpits und digitalen Fahrfunktionen, an die Kunden in China hohe Ansprüche stellen. Sein Fazit lautet: "Die goldenen Zeiten in China sind vorbei." 

(Reuters)