cash.ch: Die Kurse, das wissen wir, profitieren vom billigen Geld. Können sich Aktienanleger weiter auf die Notenbanken verlassen?

Gergely Majoros: "Verlassen" ist ein grosses Wort. 2020 erwarten wir nicht, dass Inflation ein grösseres Problem wird. Daher gehen wir davon aus , dass die Zentralbanken erst einmal akkommodativ bleiben, insbesondere nach den Erfahrungen von 2018, als eine restriktivere Politik grössere Volatilität am Markt ausgelöst hat. Damals fielen die Kurse unter anderem in der Folge der gestrafften Geldpolitik der Federal Reserve. Es sind grössere Teile der Welt zu stark verschuldet. Viele Länder, Regionen und Unternehmen können gar nicht mit höheren Zinsen umgehen. 

Carmignac sagte in einem Kommentar Ende 2018 eine baldige Rückkehr zur lockeren Geldpolitik voraus. So kam es ja 2019 auch. Sind sie Hellseher?

Grundsätzlich sind die Zentralbanken aktuell sehr akkommodativ, sie stützen die Finanzmärkte mit einer lockeren Geldpolitik. Man muss immer wieder abschätzen, wie es weitergeht.

Gehen die teils rekordverdächtigen Kursanstiege der Börsen 2019 Ihrer Meinung nach allein auf die Notenbanken zurück?

Ganz wichtig ist, dass die Federal Reserve seit Ende letzten Jahres wieder ihre Bilanz erweitert und Anleihen kauft. Zwar kauft die Fed nur kurzfristige Anleihen, aber sie gibt so dem Markt pro Monat 60 Milliarden Dollar zusätzliche Liquidität. Die Notenbanken sind nicht der einzige Treiber der Aktienmarktentwicklung, aber natürlich ein wichtiger Treiber.

Was stützt die Märkte noch?

Vor allem die Konjunktur, die unter anderem das Gewinnwachstum und zukünftige Investitionen der Unternehmen beeinflusst, und auch das Sentiment der Anleger, das zum Beispiel  von geopolitischen Themen beeinflusst wird. Diese drei Kräfte unterstützten 2019 den Markt, insbesondere als eine konstruktivere Verhandlung zwischen USA und China sich abzeichnete.

Und wie entwickeln sie die Märkte in diesem Jahr?

Die globale Wirtschaft hat sich in den vergangenen zwei Jahren verlangsamt, stabilisiert sich nun aber. Für die nächsten Monate ist unserer Meinung nach sogar eine Erholung zu erwarten. Getrieben wird dies von der Erholung in China, was auch die Wirtschaft in Europa unterstützen sollte. Dazu kommt die aktuelle Liquiditätsspritze der Fed. Beim Sentiment sollte die Unsicherheit aufgrund der Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und China tendenziell zurückgehen, nachdem der Phase-1-Deal unterzeichnet ist.

cash-Redaktor Marc Forster im Gespräch mit Gergely Majoros am Sitz von Carmignac in Paris (Foto: Miriam Dippe).

Sind Sie sich sicher, dass alle drei Faktoren positiv für den Aktienmarkt spielen werden?

Wir müssen alle drei Faktoren weiterhin verfolgen. Es kann sein, dass die Fed ihre Liquiditätseinschüsse in den nächsten Monaten reduziert oder beendet, und die Konjunkturerholung könnte nicht von langer Dauer sein. Die Unsicherheiten ausgelöst durch US-Präsident Donald Trump könnten natürlich auch wieder wachsen .

Was passiert, wenn sich die USA – wie Präsident Trump dies vor wenigen Tagen in Davos gesagt hat – nach dem Abschluss einer Übereinkunft mit China nun zolltechnisch der EU «zuwendet»? Wäre dies nicht ein massiver Unsicherheitsfaktor?

Die Erwartung, dass Trump ausser China auch andere Länder ins Visier nimmt, ist latent schon seit einer Weile vorhanden. Wir werden aber sehen, ob das wirklich so kommt – es ist nicht sicher, dass Trump China schon ausser Acht lassen und sich Europa zuwenden kann. Zudem stellt sich die Frage, welche Sektoren und Länder von solchen Zöllen betroffen wären. Die Auswirkungen am Markt werden auch davon abhängen, wie akkommodativ die Geldpolitik der Zentralbanken zu diesem Zeitpunkt sein wird .

Bei Carmignac verfolgen Sie den «Conviction»-Ansatz, also suchen Sie nicht nur nach langfristigem Wachstum, sondern auch nach vom Markt tendenziell unterbewerten Unternehmen. Wo sucht Carmignac nach Gelegenheiten im Aktienmarkt?

Wir sind gut in den USA investiert, aber nicht, weil wir uns an die US-Konjunktur hängen wollen, sondern weil wir dort sehr viele interessante Unternehmen finden, die unabhängig von der Konjunktur wachsen können. Wir suchen schliesslich Unternehmen, die über die nächsten Jahre gut wachsen werden, da wir uns weiterhin in einem Umfeld mit insgesamt wenig Wachstum befinden. Die Anzahl der Firmen in den USA, in Europa und in China, die gutes organisches Wachstum für die nächsten Jahre erwarten lassen, geht Jahr für Jahr zurück.

Ist das nicht eine ernüchternde Prognose?

Am Ende bleibt man oft in den USA, wo Unternehmen wie Facebook oder Alphabet (Google) durch Innovation viel Wachstum erzeugen. Desweiteren bieten Unternehmen in den Emerging Markets, insbesondere in China, nicht nur Innovation, sondern haben dank des Aufholpotentials etwa bei Konsum oder bei Versicherungen noch Wachstumschancen.

Aber kann man bei Unternehmen wie Facebook oder Alphabet noch von Unterbewertung sprechen?

Diese Unternehmen gehörenzu unseren wichtigsten Investments. Da sind die Bewertungen nicht mehr unbedingt günstig. Wenn die Unternehmen aber weiterhin starkes Wachstum liefern, sollte dies die Bewertungen etwas relativieren.

Die zehn grössten Aktieninvestments von Carmignac Gestion 

AktieBrancheLand
HermèsLuxusgüterFrankreich
FacebookSoziale MedienUSA
JD.comInternet/OnlinehandelChina
Intercontinental 
Exchange
Finanzdienstleistungen/
Börsenhandel
USA
Constellation BrandsSpirituosenUSA
Alphabet (Google)InternetdienstleistungenUSA
Anthem KrankenversicherungenUSA
SalesforceCloud-DienstleistungenUSA
HDFC BankBanken und FinanzdienstleistungenIndien
FiservZahlungsverkehrsdienstleistungenUSA

 

Gibt es bevorzugte Sektoren?

Wenn man nach strukturellem Wachstum sucht, landet man oft bei den Sektoren Technologie, Gesundheit oder Konsum. Innovation und die demographische Entwicklung sind die wichtigsten Treiber. Da wird man in den nächsten Jahren noch schönes Wachstum finden. Wichtig sind aber auch solide Bilanzen, also keine zu hohe Verschuldung der Unternehmen, damit diese in der Zukunft flexibel auf veränderte Rahmenbedingen reagieren können.

Bei Gesundheitswerten halten Sie unter anderem die Schweizer Alcon-Aktie. Wie passt dieses Unternehmen, das seit dem Börsengang im April 2019 eher mässig performt und in einer Umbauphase ist, in die Anlagestrategie von Carmignac?

Wir glauben, dass Alcon als Marktführer in einem stark konzentriertem Wachstumsmarkt für Augenheilkunde gut aufgestellt ist für die Zukunft.

Welche Aktien werden 2020 sonst dominieren?

2019 waren Investoren auf Geschäftsmodelle mit Visibilität fokussiert und setzten daher auf Qualitätswerte wie beispielsweise Technologiewerte. Gleichzeitig vermieden sie stark konjunkturabhängige zyklische Werte wie Banken oder Industriewerte. Mindestens für die ersten sechs Monate 2020 erwarten wir eine konjunkturelle Erholung. Und da ist die spannende Frage, wie stark die zyklischen Value-Aktien davon profitieren werden.

Also setzen Sie auf Banken?

Durch die Regulierung, die disruptiven Fintechs und durch die erhöhten Kapitalanforderungen bieten Banken unserer Meinung nach derzeit keinen attraktiven Ausblick. Diese Herausforderungen werden bestehen bleiben, auch wenn die Notenbanken weiter die Märkte mit einer akkommodativen Geldpolitik stützen.

Gergely Majoros ist Mitglied des strategischen Anlagekommittees von Carmignac Gestion. 

Das Gespräch fand in Paris während einer Pressereise statt, zu der cash.ch von Carmignac eingeladen wurde.