Binnen zwei Monaten haben sich die Notierungen für Elektrizität und Gas mehr als verdoppelt. Der 2023-Terminpreis für Strom liegt inzwischen bei mehr als 540 Euro je Megawattstunde. Vor zwei Jahren waren es noch 40 Euro.
“Die Energieinflation ist hier viel dramatischer als anderswo”, sagte Ralf Stoffels, Geschäftsführer der BIW Isolierstoffe GmbH, einem Hersteller von Silikonteilen für die Automobil-, Luftfahrt- und Haushaltsgeräteindustrie. “Ich befürchte eine schleichende Deindustrialisierung der deutschen Wirtschaft.”
Unter den G7-Staaten droht Deutschland in diesem Jahr bei der wirtschaftlichen Entwicklung die rote Laterne. Bei dieser Warnung verwies der Internationale Währungsfonds im vergangenen Monat auf die grosse hiesige Abhängigkeit von russischem Erdgas.
Die Regierung hat zwar Schritte unternommen, den Teuerungsschock für die Haushalte zu begrenzen. Viele Unternehmen jedoch dürften gezwungen sein, die steigenden Kosten an ihre Kunden weiterzugeben - oder sogar ganz zu schliessen.
“Die Preise belasten viele energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen”, sagte Matthias Ruch, Sprecher von Evonik Industries. Der Chemiekonzerns betreibt Anlagen in 27 Ländern. Er ersetzt in Deutschland bis zu 40 Prozent der Erdgasvolumen durch Flüssiggas und Kohle. Ein Teil des Kostenanstiegs wird an Kunden weitergegeben.
Europas grösster Kupferproduzent, die Hamburger Aurubis AG, will den Gasverbrauch minimieren und die Stromkosten an die Kunden weitergeben, wie Vorstandschef Roland Harings am 5. August ausführte. Südzucker hat nach Unternehmensangaben Notfallpläne für den Fall ausgearbeitet, dass Russland die Gaslieferungen nach Deutschland vollständig unterbricht.
Die BMW AG nutzt 37 Gasanlagen, um Werke in Deutschland und Österreich mit Wärme und Strom zu versorgen. Inzwischen erwägt der Autobauer, stattdessen auf lokale Versorger zurückzugreifen. Die Delkeskamp Verpackungswerke wird wegen der hohen Energiekosten eine Papierfabrik im niedersächsischen Nortrup schliessen. Damit werden 70 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren.
Mit einem anhaltenden Anstieg der Energiepreise werden nach Einschätzung der Brüsseler Denkfabrik Bruegel “einige Industrien unter ernsthaften Druck geraten und ihre Produktion in Europa überdenken müssen”, wie Senior Fellow Simone Tagliapietra erklärte. Für Evonik kommt das Ruch zufolge nicht in Frage,
In den ersten sechs Monaten des Jahres hat Deutschland rund 27 Prozent mehr Chemikalien importiert als im Vorjahreszeitraum, wie aus den von der Beratungsfirma Oxford Economics analysierten offiziellen Daten hervorgeht. Die Chemieproduktion war im Juni fast 8 Prozent niedriger als im Dezember.
(Bloomberg)