Die lange Zeit herbeigesehnte Inflation zeichnet sich nun vielerorts ab: Während die USA mit einem Wert von 1,5 Prozent ihrem Ziel von 2 Prozent sehr nahe kommt, gab letzten Donnerstag die Euro-Zone mit 0,5 Prozent immerhin den höchsten Anstieg seit Juni 2014 bekannt.
Und auch in der Schweiz - wo im Oktober die Teuerung mit minus 0,2 Prozent zum Vorjahresmonat noch immer negativ war - zeichnet sich ein Anstieg ab: Die Inflationserwartungen sind deutlich gestiegen. Wie der aktuelle ZEW-Indikator der Credit Suisse zeigt, erwarten 62 Prozent der befragten Analysten für die Schweiz in den nächsten sechs Monaten eine steigende Inflationsrate, 38 Prozent eine unveränderte und keiner eine sinkende.
Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) stimmt diesem allgemeinen Grundtenor zu: 2017 liegt deren Inflationserwartung bei 0,2 Prozent und 2018 sogar bei 0,6 Prozent (Konsens-Inflationsprognosen für verschiedene Länder siehe Tabelle unten).
Die Inflation ist derzeit besonders stark im Fokus, da sie wieder zu einer gewissen Normalisierung der aussergewöhnlichen Geldpolitik zahlreicher Notenbanken führen könnte. Denn: Zieht die Inflation an, erwägen die Zentralbanken Zinserhöhungen - damit die Wirtschaft stabil bleibt. Anleger weltweit interessieren sich aktuell vor allem für die US-Inflation, da sie - neben den US-Beschäftigungszahlen - die Grundlage für den möglichen nächsten Zinsschritt der US-Notenbank am 14. Dezember bildet.
Ein Warenkorb von Gütern für private Haushalte
Doch was bedeutet Inflation überhaupt? Grundsätzlich handelt es sich um die Preisveränderung von alltäglichen Gütern über die Zeit. In der Schweiz berechnet das Bundesamt für Statistik (BFS) via Landesindex für Konsumentenpreise (LIK) die hiesige Inflation. Rund 70'000 Preise für Waren und Dienstleistungen - die für private Haushalte von Bedeutung sind - werden monatlich erhoben und mit demselben Vorjahreszeitraum verglichen.
Das Resultat zeigt auf, wie viel mehr oder weniger sich ein durchschnittlicher Schweizer in einem Jahr mit demselben Vermögen leisten kann. Kommt es zu einer Inflation, kann er sich weniger leisten als ein Jahr zuvor - bei einer Deflation ist es genau umgekehrt.
Entscheidend für den Inflationswert ist die Zusammensetzung dieses Güterkorbes. Er soll möglichst genau das nachstellen, was ein Haushalt auch wirklich einkauft. Wie stark die einzelnen Kategorien gewichtet werden, zeigt folgende Darstellung:
Quelle: BFS
Mit einem Viertel den grössten Anteil an diesem Warenkorb macht "Wohnen und Energie" aus. Dann folgt mit 16 Prozent die Gesundheitspflege, welche Dinge wie Arztleistungen, Medikamente und Kontaktlinsen beinhaltet. An dritter Stelle liegen die Ausgaben für Verkehr mit einem Anteil von ungefähr 11 Prozent (zur detaillierten Auflistung des Warenkorbes). Der so berechnete Wert zeigt die Gesamtinflation (englisch "Headline Inflation").
Die Zusammensetzung des Landesindex ist nicht statisch, sondern wird regelmässig überarbeitet. Seit dessen Einführung im Jahr 1922 gab es 10 Revisionen - die letzte im Jahr 2015. Die Bedürfnisse der Haushalte ändern sich über die Zeit, deshalb bedarf die Gewichtung im Warenkorb ab und zu einer Anpassung. Einzelne Posten, wie etwa Nähmaschinen, sind so aus dem Index gefallen. Gleichzeitig sind andere, zum Beispiel Internet-Downloads, hinzugekommen.
Einige Notenbanken und Ökonomen greifen auch auf die Kerninflation (englisch "Core Inflation") zurück. Diese lässt Güter mit kurzfristig stark schwankenden Preisen - dazu zählen Energie und Lebensmittel - unberücksichtigt. So fliessen zum Beispiel kurzfristige Ausschläge des Ölpreises nicht in die Kerninflation hinein. Es ergibt sich dadurch eine geglättete Inflationskurve. Die SNB betrachtet für ihre Politik jedoch die Gesamtinflation, nicht die Kerninflation.
So haben sich Gesamt- und Kerninflation in der Schweiz seit 2001 entwickelt:
Daten: SNB/BFS
Inflation ist ein dehnbarer Begriff
Die ständige Überarbeitung des Warenkorbes und die unterschiedlichen Inflationsarten zeigen, dass Inflationszahlen keinesfalls in Stein gemeisselt sind. Im Gegenteil: Die Bemessungen werden sogar häufig kritisiert, auch in der Schweiz. Etwa, dass mit der Krankenkassenprämie, den Steuern und den Sozialversicherungsbeiträgen gewichtige Budgetposten eines jeden Haushalts für die Inflationsberechnung nicht berücksichtigt werden.
Die Statistiker des Bundes begründen das Weglassen dieser Ausgaben damit, dass es sich um Transferzahlungen handle, die in einer gewissen Form früher oder später wieder an die Bevölkerung zurückfliessen werden. Dies ist sicherlich ein streitbarer Punkt.
Und auch die SNB, welche die Inflation in der Schweiz gemäss ihrem Auftrag unter Kontrolle halten muss, weiss um die Schwächen der Inflationsmessung. Denn: Nicht grundlos ist das Inflationsziel bei zwei Prozent anstatt bei null angesetzt.
Gemäss eigener Erklärung lässt die SNB eine leichte Teuerung absichtlich zu, da die Messung nicht präzise sei. Messprobleme würden sich etwa bei qualitativen Verbesserungen von Gütern und Dienstleistungen ergeben, was beim Landesindex für Konsumentenpreise nur unvollständig berücksichtigt werde. Daher überzeichne die gemessene Teuerung die effektive tendenziell leicht. Sprich: Die wahre Inflation liegt eigentlich etwas tiefer als die offiziell ausgewiesene Inflation.
Die Inflationserwartungen treiben die Wirtschaft
Entscheidend zur Bestimmung der Geldpolitik ist aber nicht die aktuelle Inflation, sondern die erwartete. Dies, weil Notenbank-Massnahmen erst verzögert wirken und deshalb vorausschauend agiert werden muss. Aber auch, weil Konsumenten und Investoren in ihrem Handeln von der zukünftigen Preisentwicklung getrieben werden. Ob die nächsten Jahre die Preise teurer oder günstiger werden, wirkt sich bereits auf das heutige Verhalten aus.
Die erwartete Inflation ist noch schwerer einzuschätzen als die gegenwärtige. Viele Länder können als Annäherung die Renditedifferenz zwischen nominellen und inflationsgeschützten Staatsanleihen gleicher Laufzeit heranziehen. Da in der Schweiz aber keine inflationsgeschützten Staatsanleihen herausgegeben werden, fällt diese Option weg.
Die Einschätzung beruht hierzulande daher auf anderen Indikatoren. SNB-Delegierte führen regelmässig Gespräche mit zahlreichen Unternehmen aus allen Teilen der Wirtschaft durch. Auch andere Umfragen werden miteinbezogen, etwa die regelmässig durchgeführte Haushaltsumfrage des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).
Die SNB besitzt aber auch komplexe ökonometrische Modelle, welche Faktoren wie Wechselkurse, Geldmenge oder Kreditwachstum für ihre Prognose berücksichtigen. Aber auch hier kann es je nach Modell unterschiedliche Resultate geben. Unter Einbezug der Umfragen wird dann ein möglichst plausibler Wert festgelegt. Die Inflationsvorhersage ist daher - wie die Inflation selbst - nur eine Annäherung und kein exakt messbarer Wert.
Konsens-Inflationsprognosen für verschiedene Länder*
Prognose 2016, in % | Prognose 2017, in % | |
Schweiz | -0,4 | 0,3 |
Eurozone | 0,2 | 1,3 |
USA | 1,2 | 2,3 |
Grossbritannien | 0,7 | 2,3 |
Japan | -0,2 | 0,4 |
*Es handelt sich um die Konsensschätzung gesammelter Prognosen von Ökonomen aus der ganze Welt, Daten: Consensus Economics, London.